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Freitagnacht Jews
L’Chaim! Unbehaglich, aber gut
Seit wenigen Wochen zeigt der WDR mit „Freitagnacht Jews“ eine Show, die unangenehmer kaum sein könnte – zumindest für Nicht-Jüd:innen. Das ist keinesfalls als negative Kritik zu verstehen. Im Gegenteil, die Sendung legt den Finger in Wunden, die längst aufgerissen gehören.
Dieser Tage wird wieder viel über den „Konsens des Sagbaren“ diskutiert. In den Feuilletons dieses Landes ist bereits seit Jahren in nicht enden wollender Regelmäßigkeit wahlweise über die „Grenzen des Sagbaren“ oder die „Räume des Sagbaren“ zu lesen. Beide, so sind sich sämtliche Blätter einig, werden zusehends durch die Tabubrüche der neuen Rechten immer weiter verschoben beziehungsweise ausgeweitet.
Natürlich sind diese Feststellungen richtig und wichtig, sie offenbaren aber auch eine gewisse Verzweiflung in den Reihen derer, die sich für die Bewahrung der Demokratie stark machen, aber zunehmend an die Grenzen des eigenen Sprachvermögens stoßen. Denn wenn Antisemitimus, Islamophobie, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Rassismus und all die anderen Formen widerwärtiger Diskriminierung zusehends salonfähig werden, wie effektiv kann dann die Gegenwehr in Form gebetsmühlenartig wiederholter Sätze noch sein?
Diese Grenzen offenbaren sich insbesondere beim Umgang mit Antisemitismus. Der befindet sich seit geraumer Weile wieder auf dem Vormarsch in Deutschland – einige Betroffene möchten an dieser Stelle möglicherweise ergänzen, er sei nie weg gewesen. Doch worin zeigt sich überhaupt Antisemitismus? Anschläge, wie der auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 oder, knapp ein Jahr darauf, der Angriff mit einem Spaten auf einen jungen jüdischen Mann in Hamburg, zeigen den vollends eskalierten Judenhass. Die alltägliche Gefahr, denen sich Jüdinnen und Juden ausgesetzt sehen, beginnt jedoch bereits viel früher.
Es ist das Bagatellisieren antisemitischer Vorfälle, das Witzeln über jüdische Menschen und ganz allgemein die Unkenntnis über Lebensrealitäten seitens deutscher Nicht-Jüd:innen, die den Graben zwischen „uns“ und „den anderen“ immer tiefer werden lassen. Das gilt nicht exklusiv im Kontext der Judenfeindlichkeit, nimmt in Deutschland aufgrund unserer Geschichte aber eine besondere und besonders hervorzuhebende Rolle ein. Ach ja, die deutsche Geschichte. „So langsam muss es doch auch mal gut sein“, ist nur einer dieser Sätze, der vorgenannte Probleme weiter wachsen lässt und deutschen Jüdinnen und Juden zurecht den Eindruck vermittelt, Antisemitismus werde hierzulande nicht ausreichend bekämpft.
Sichtbarkeit jüdischer Lebensrealitäten
Was ist also die Lösung? Bildung, natürlich, Begegnung, Austausch, ein lautes, entschiedenes Verteidigen der zu Beginn genannten Räume und eines gesellschaftlichen Sprachkonsens. Und es braucht Jüdinnen und Juden, die mit sämtlichen Facetten ihrer jeweiligen Lebensrealitäten für die Mehrheitsgesellschaft sichtbar werden. Insofern kommt das kürzlich beim WDR angelaufene Talkshow-Format „Freitagnacht Jews“ gerade richtig. Jeden Freitag, zum Schabbat, lädt sich der Schauspieler und Musiker Daniel Donskoy (aktuell als Liebhaber von Prinzessin Diana in der Netflix-Serie „The Crown“ zu sehen) Gäste ein, um mit ihnen zu essen, zu trinken und vor allem über das Jüdischsein zu diskutieren.
Wer sich nun die Frage stellt, ob es denn wirklich so ein Format braucht, dem sei versichert, dass es nur eine Folge braucht, um mit einem klaren „Ja“ antworten zu können. Donskoy liefert mit „Freitagnacht Jews“ eine Sendung, die gleichermaßen erheiternd wie schockierend ist. „Eine Show zwischen Antisemitismus und Hühnersuppe“, sagt Daniel Donskoy selbst über „Freitagnacht Jews“. Auch die jüngste Folge, in der mit Helene Braun und Laura Cazés (die unter anderem regelmäßig für das JOURNAL FRANKFURT schreibt) gleich zwei meinungsstarke und ausgesprochen spannende Gesprächspartnerinnen zu Gast waren, versäumte nicht, den Finger in gleich mehrere Wunden zu legen.
Das geht schon los mit dem Intro, das im Wesentlichen ein Rap des „jüdischen Homeboys“ Daniel Donskoy ist. „Jude, Jude, Jude, Jude, einfach nur ein Wort, aber Antisemitismus ist in Deutschland Sport“, reimt er da zusammen und wiederholt dann immer wieder, fröhlich singend und tanzend, „Jude, Jude, Jude“. Absolut drüber, nennt man das umgangssprachlich, aber zugegeben auch ziemlich witzig. Bloß: Darf man als nicht-jüdische Deutsche über eine Antisemitismus-Parodie lachen?
Wie im Zoo
Diese Frage begleitet, in leicht abgewandelten Formen, die Zuschauenden praktisch während der gesamten Sendung. So befragt Donskoy die 23-jährige Helene Braun, ihres Zeichens jüngste angehende Rabbinerin in Deutschland, gleich zu Beginn zu ihrer Familiengeschichte. Wie so viele deutsche Jüd:innen haben auch Brauns Vorfahren „nur mit sehr viel Glück“, wie sie selbst sagt, die Shoah überlebt. Und schon kommt der erste Holocaust-Witz auf den Tisch. „Wir haben es schon fünf Minuten geschafft, nicht über den Holocaust zu sprechen“, stellt die Runde lachend fest und stößt mit klirrenden Weingläsern und einem herzlichen „L’Chaim“ an. Der Autorin dieses Textes bleibt da erstmal für einige Sekunden das Herz stehen. Mitlachen wäre ja schließlich absolut unangebracht und pietätlos – oder?
Es ist genau dieses Unbehagen, das „Freitagnacht Jews“ so wertvoll und sehenswert macht. Der/die nicht-jüdische Zuschauer:in wird dermaßen schonungslos mit den eigenen, zwar durchaus lobenswerten, aber doch voyeuristischen Absichten konfrontiert, dass sich mehr als einmal das Bedürfnis regen kann, einfach abzuschalten. Es lohnt sich, dabei zu bleiben! Wenn Donskoy mit verstellter Stimme über die typischen Sendungen des deutschen Fernsehens spricht, in denen „der Jude in seinem natürlichen Habitat“ gezeigt wird, ist das wahnsinnig komisch und gleichzeitig unfassbar unangenehm. Denn schließlich sitzt man ja gerade selbst vor dem Bildschirm wie vor einem Zoo-Gehege und schaut „dem Juden“ beim Vertilgen seiner Schabbat-Mahlzeit zu. Wie exotisch und aufregend.
Doch trotz dieses ständig vorgehaltenen Spiegels schaffen es Daniel Donskoy und seine Gäste wundersamerweise, nie den berühmten Zeigefinger hochzuhalten. Ganz im Gegenteil bricht die Sendung mit den sonst gültigen Normativen und schafft einen Raum, in dem die Diskussion Vorrang hat vor Dogmen und Dezenz. Das liegt zum einen an den hochspannenden und intelligenten Positionen, die Helene Braun und Laura Cazés, aber auch die Gäste der übrigen Folgen verkörpern. Zum anderen ist es die Ungezwungenheit, mit der alle Beteiligten auftreten und zeigen, es geht hier nicht um „den Juden“ und „den Deutschen“ – es geht um die Mehrheitsgesellschaft und deren Umgang mit gesamtgesellschaftlichen Problemen und Fragestellungen.
Und so zeigt „Freitagnacht Jews“ nicht einfach jüdische Menschen, die über Judenfeindlichkeit sprechen. Die Sendung zeigt Menschen, die über die Gesellschaft diskutieren. LGBTQI, Feminismus, Glaube, Migration gehören in diesem Kontext genauso dazu, wie das Einblenden von Begriffserklärungen. Wussten Sie, dass der Trinkspruch „l’Chaim“ übersetzt „auf das Leben“ bedeutet? „Freitagnacht Jews“ treibt einem, abhängig von der Perspektive, aus der man zuschaut, wahlweise das Lachen in Form von Tränen in die Augen oder aber als dicken Kloß unangenehm in den Hals. So oder so hat man am Ende der Sendung, ganz unbemerkt und ungeplant, etwas gelernt: über jüdisches Leben und Erleben, über die Gesellschaft – und ganz besonders über sich selbst und die eigene Wahrnehmung.
Alle bisherigen Folgen von „Freitagnacht Jews“ finden Sie online in der ARD-Mediathek.
Natürlich sind diese Feststellungen richtig und wichtig, sie offenbaren aber auch eine gewisse Verzweiflung in den Reihen derer, die sich für die Bewahrung der Demokratie stark machen, aber zunehmend an die Grenzen des eigenen Sprachvermögens stoßen. Denn wenn Antisemitimus, Islamophobie, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Rassismus und all die anderen Formen widerwärtiger Diskriminierung zusehends salonfähig werden, wie effektiv kann dann die Gegenwehr in Form gebetsmühlenartig wiederholter Sätze noch sein?
Diese Grenzen offenbaren sich insbesondere beim Umgang mit Antisemitismus. Der befindet sich seit geraumer Weile wieder auf dem Vormarsch in Deutschland – einige Betroffene möchten an dieser Stelle möglicherweise ergänzen, er sei nie weg gewesen. Doch worin zeigt sich überhaupt Antisemitismus? Anschläge, wie der auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 oder, knapp ein Jahr darauf, der Angriff mit einem Spaten auf einen jungen jüdischen Mann in Hamburg, zeigen den vollends eskalierten Judenhass. Die alltägliche Gefahr, denen sich Jüdinnen und Juden ausgesetzt sehen, beginnt jedoch bereits viel früher.
Es ist das Bagatellisieren antisemitischer Vorfälle, das Witzeln über jüdische Menschen und ganz allgemein die Unkenntnis über Lebensrealitäten seitens deutscher Nicht-Jüd:innen, die den Graben zwischen „uns“ und „den anderen“ immer tiefer werden lassen. Das gilt nicht exklusiv im Kontext der Judenfeindlichkeit, nimmt in Deutschland aufgrund unserer Geschichte aber eine besondere und besonders hervorzuhebende Rolle ein. Ach ja, die deutsche Geschichte. „So langsam muss es doch auch mal gut sein“, ist nur einer dieser Sätze, der vorgenannte Probleme weiter wachsen lässt und deutschen Jüdinnen und Juden zurecht den Eindruck vermittelt, Antisemitismus werde hierzulande nicht ausreichend bekämpft.
Sichtbarkeit jüdischer Lebensrealitäten
Was ist also die Lösung? Bildung, natürlich, Begegnung, Austausch, ein lautes, entschiedenes Verteidigen der zu Beginn genannten Räume und eines gesellschaftlichen Sprachkonsens. Und es braucht Jüdinnen und Juden, die mit sämtlichen Facetten ihrer jeweiligen Lebensrealitäten für die Mehrheitsgesellschaft sichtbar werden. Insofern kommt das kürzlich beim WDR angelaufene Talkshow-Format „Freitagnacht Jews“ gerade richtig. Jeden Freitag, zum Schabbat, lädt sich der Schauspieler und Musiker Daniel Donskoy (aktuell als Liebhaber von Prinzessin Diana in der Netflix-Serie „The Crown“ zu sehen) Gäste ein, um mit ihnen zu essen, zu trinken und vor allem über das Jüdischsein zu diskutieren.
Wer sich nun die Frage stellt, ob es denn wirklich so ein Format braucht, dem sei versichert, dass es nur eine Folge braucht, um mit einem klaren „Ja“ antworten zu können. Donskoy liefert mit „Freitagnacht Jews“ eine Sendung, die gleichermaßen erheiternd wie schockierend ist. „Eine Show zwischen Antisemitismus und Hühnersuppe“, sagt Daniel Donskoy selbst über „Freitagnacht Jews“. Auch die jüngste Folge, in der mit Helene Braun und Laura Cazés (die unter anderem regelmäßig für das JOURNAL FRANKFURT schreibt) gleich zwei meinungsstarke und ausgesprochen spannende Gesprächspartnerinnen zu Gast waren, versäumte nicht, den Finger in gleich mehrere Wunden zu legen.
Das geht schon los mit dem Intro, das im Wesentlichen ein Rap des „jüdischen Homeboys“ Daniel Donskoy ist. „Jude, Jude, Jude, Jude, einfach nur ein Wort, aber Antisemitismus ist in Deutschland Sport“, reimt er da zusammen und wiederholt dann immer wieder, fröhlich singend und tanzend, „Jude, Jude, Jude“. Absolut drüber, nennt man das umgangssprachlich, aber zugegeben auch ziemlich witzig. Bloß: Darf man als nicht-jüdische Deutsche über eine Antisemitismus-Parodie lachen?
Wie im Zoo
Diese Frage begleitet, in leicht abgewandelten Formen, die Zuschauenden praktisch während der gesamten Sendung. So befragt Donskoy die 23-jährige Helene Braun, ihres Zeichens jüngste angehende Rabbinerin in Deutschland, gleich zu Beginn zu ihrer Familiengeschichte. Wie so viele deutsche Jüd:innen haben auch Brauns Vorfahren „nur mit sehr viel Glück“, wie sie selbst sagt, die Shoah überlebt. Und schon kommt der erste Holocaust-Witz auf den Tisch. „Wir haben es schon fünf Minuten geschafft, nicht über den Holocaust zu sprechen“, stellt die Runde lachend fest und stößt mit klirrenden Weingläsern und einem herzlichen „L’Chaim“ an. Der Autorin dieses Textes bleibt da erstmal für einige Sekunden das Herz stehen. Mitlachen wäre ja schließlich absolut unangebracht und pietätlos – oder?
Es ist genau dieses Unbehagen, das „Freitagnacht Jews“ so wertvoll und sehenswert macht. Der/die nicht-jüdische Zuschauer:in wird dermaßen schonungslos mit den eigenen, zwar durchaus lobenswerten, aber doch voyeuristischen Absichten konfrontiert, dass sich mehr als einmal das Bedürfnis regen kann, einfach abzuschalten. Es lohnt sich, dabei zu bleiben! Wenn Donskoy mit verstellter Stimme über die typischen Sendungen des deutschen Fernsehens spricht, in denen „der Jude in seinem natürlichen Habitat“ gezeigt wird, ist das wahnsinnig komisch und gleichzeitig unfassbar unangenehm. Denn schließlich sitzt man ja gerade selbst vor dem Bildschirm wie vor einem Zoo-Gehege und schaut „dem Juden“ beim Vertilgen seiner Schabbat-Mahlzeit zu. Wie exotisch und aufregend.
Doch trotz dieses ständig vorgehaltenen Spiegels schaffen es Daniel Donskoy und seine Gäste wundersamerweise, nie den berühmten Zeigefinger hochzuhalten. Ganz im Gegenteil bricht die Sendung mit den sonst gültigen Normativen und schafft einen Raum, in dem die Diskussion Vorrang hat vor Dogmen und Dezenz. Das liegt zum einen an den hochspannenden und intelligenten Positionen, die Helene Braun und Laura Cazés, aber auch die Gäste der übrigen Folgen verkörpern. Zum anderen ist es die Ungezwungenheit, mit der alle Beteiligten auftreten und zeigen, es geht hier nicht um „den Juden“ und „den Deutschen“ – es geht um die Mehrheitsgesellschaft und deren Umgang mit gesamtgesellschaftlichen Problemen und Fragestellungen.
Und so zeigt „Freitagnacht Jews“ nicht einfach jüdische Menschen, die über Judenfeindlichkeit sprechen. Die Sendung zeigt Menschen, die über die Gesellschaft diskutieren. LGBTQI, Feminismus, Glaube, Migration gehören in diesem Kontext genauso dazu, wie das Einblenden von Begriffserklärungen. Wussten Sie, dass der Trinkspruch „l’Chaim“ übersetzt „auf das Leben“ bedeutet? „Freitagnacht Jews“ treibt einem, abhängig von der Perspektive, aus der man zuschaut, wahlweise das Lachen in Form von Tränen in die Augen oder aber als dicken Kloß unangenehm in den Hals. So oder so hat man am Ende der Sendung, ganz unbemerkt und ungeplant, etwas gelernt: über jüdisches Leben und Erleben, über die Gesellschaft – und ganz besonders über sich selbst und die eigene Wahrnehmung.
Alle bisherigen Folgen von „Freitagnacht Jews“ finden Sie online in der ARD-Mediathek.
3. Mai 2021, 13.28 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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