Cabaret im English Theatre

Liebe und Schmerz in politischen Zeiten

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„Willkommen, Bienvenue, Welcome“ - Mit Cabaret bringt das English Theatre eines der bekanntesten Musicals weltweit auf die Bühne. In der mehr als zweistündigen Show ist alles dabei: Gute Musik, starke Darsteller und eine Inszenierung, die aktueller ist denn je.

Nicole Nadine Seliger /

Es ist der Silvesterabend 1929. Der amerikanische Autor Cliff Bradshaw (charismatisch gespielt von Ryan Saunders) kommt in Berlin an, um dort Ideen für sein neuestes Werk zu sammeln. Durch die Bekanntschaft mit dem Deutschen Ernst Ludwig (Matt Blaker) taucht Bradshaw schnell ins Nachtleben der deutschen Hauptstadt ein – und mit ihm der Zuschauer. Es ist zunächst ein offenes, freizügiges, farbenfrohes Berlin, das auf der Bühne des English Theaters gezeigt wird. Mittelpunkt des Nachtlebens ist der Kit Kat Club, in dem Jeder eigentlich Jeden liebt. Männer küssen Männer, Frauen küssen Frauen, Hemmungen gibt es hier keine. Dementsprechend leicht bekleidet und lasziv tanzen und singen die Darsteller auf der Bühne und versprühen eine Mischung aus Lebensfreude und Frivolität. Dass die meisten Darsteller ein Englisch mit bewusstem deutschen Akzent sprechen, irritiert zunächst, dient aber der Authentizität der Geschichte.



© Martin Kaufhold

Greg Castiglioni führt als Conférencier Emcee des Kit Kat Clubs mit Witz und starkem Ausdruck in die Welt des Cabarets ein, gleich am Anfang bringen die Schauspieler das berühmte „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ auf die Bühne. Auf die Nummernrevue folgen mit Beginn der Romanze zwischen Bradshaw und der englischen Sängerin Sally Bowles (ausdrucksstark: Helen Reuben), dem Star des Kit Kat Clubs, nachdenklichere Songs und Momente; das Stück gewinnt an Tiefe und Schwermut. Die letzte Szene vor der Pause zeigt dann deutlich, wie sich die Stimmung im Berlin der 1930er Jahre verändert: Weg von der Ausgelassenheit der Goldenen Zwanzigern und hin zum aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland.



© Martin Kaufhold

Der zweite Akt geht diesen Weg konsequent weiter: Der Amerikaner Bradshaw wird in der wandelnden Gesellschaft zunehmend desillusioniert und plant, zurück in seine Heimat zu gehen. Die politisch desinteressierte Bowles dagegen will bleiben, um ihre Karriere als Sängerin in Schwung zu bringen – es ist das Ende ihrer gemeinsamen Liebesbeziehung. Für eine der emotionalsten Szenen sorgt allerdings ein anderes Pärchen auf der Bühne: Im Herbst ihres Lebens beschließen Bradshaws Vermieterin Fräulein Schneider (Sarah Shelton) und der Marktverkäufer Herr Schultz (Richard Derrington) zu heiraten. Doch dazu wird es nicht kommen, denn Schultz ist Jude, die Verlobung wird gelöst. In „What would you do?“ versucht sich Fräulein Schneider für ihre Entscheidung zu rechtfertigen.



© Martin Kaufhold

Das Musical beruht auf den Erinnerungen des amerikanischen Schriftstellers Christopher Isherwood, der seine Erfahrungen in der deutschen Hauptstadt der 1930er Jahre in den beiden Novellen „Mr. Norris changes trains“ von 1935 und „Goodbye Berlin“ von 1939 verarbeitet hat. Die Frankfurter Version unter der Regie von Tom Littler folgt dabei stärker der Bühnenfassung von 1966 als das oscarprämierte Film-Musical mit Liza Minelli in der Rolle der Sally Bowles. In allen Varianten ist das Ende das gleiche: „The party is over“, sagt eine der Figuren am Schluss. Auch wenn die Charaktere um Sally Bowles weiter im Kit Kat Club singen und tanzen, wird klar: Die Welt hat sich verändert. Und so bleiben gebrochene Herzen und Traurigkeit zurück – und beim Zuschauer das beklemmende Wissen, was die Figuren in den kommenden Jahren im nationalsozialistischen Berlin erwartet hätte.

>> Cabaret, bis 19. März 2019, English Theatre, Gallusanlage 7, www.english-theatre.de


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