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30 Jahre Punk in Frankfurt
Nils Selzer und die Strassenjungs zwischen Sicherheitsnadeln und Stadtflucht
In diesem Jahr feiern die Strassenjungs ihre 40. Geburtstag im Bett. Zum 30. Jubiläum des Punks, besuchte der Musikredakteur des Journal Frankfurt Nils Selzer in seinem Pfälzer Domizil. Hier noch mal der Text, der dazu 2o07 erschien.
Der Weg nach Ransweiler führt über die A 61 von Mainz und die Ausfahrt Gau-Bickelheim in Richtung Nordpfalz – weites hügeliges Land voller strahlend gelber Rapsfelder, Hänge mit Weinreben und mächtige Windräder bestimmen die Landschaft. Ransweiler liegt in einer geschützten Talmulde, das Dorf – urkundlich 1190 zum ersten Mal erwähnt – hat eine geschmackvolle Grillhütte, eine Gemeinschaftshalle, aber keine Kneipe für seine 318 Einwohner. Einer von ihnen ist Nils Selzer. Musik & Software steht auf seiner Visitenkarte. Die Nachbarn und auch der Bürgermeister grüßen freundlich beim Vorübergehen. Für sie ist Selzer Musikproduzent. Von den Strassenjungs und ihren Texten ahnen sie nichts.
„Zwei Drittel meines Lebens habe ich in der Großstadt verbracht, das hat mir dann gereicht. Ich hatte mal Lust auf was Anderes“, suchte Selzer zunächst in der näheren Umgebung von Frankfurt ein neues Domizil, was sich aber als unbezahlbar erwies. Beim Besuch eines Musikerkollegen, der Frankfurt schon den Rücken gekehrt hatte, lernte er die Gegend südwestlich von Mainz kennen. „Ich suchte eine abwechslungsreiche, hügelige Landschaft mit weiten Blicken und kein Dorf, in dem es enger war als in der Großstadt.“ Nach einem Jahr Suche fand er Ransweiler – noch nah genug zu den Freunden in Frankfurt gut 100 Kilometer entfernt, und vor allem viel näher zur Freundin, die in Bingen lebt.
In die Dorfgemeinschaft musste er sich nicht integrieren. „Es gibt hier jede Menge Feiern, wo viel gesoffen, gefressen und fürchterliche Musik gespielt wird – da bin ich nicht dabei. Und auch Pfälzer Saumagen – da könnt ich gerade kotzen. Die Leute sind deswegen nicht merkwürdig oder gar feindselig zu mir“, malte sich Nils vor seinem Umzug vor dem geistigen Auge schon Jagdszenen aus Niederbayern als Horrorvision aus. „Aber die Leute sind schon freundlich, auch mir als Städter und dann noch Musiker gegenüber. Die Gegend mögen sie gern mit mir teilen.“ Kulturelles Leben findet woanders statt. Das nächste Kleinstädtchen heißt bezeichnenderweise Rockenhausen. „Da dachte ich, hier muss ich bleiben“, lacht Nils. Doch selbst in der einzigen Rockkneipe dort war er noch nie. Schon lange dem Alkohol abgeschworen, sind Kneipenbesuche für den Musiker noch langweilige als früher. Und auf das Theater vor Ort und die Kastelruther Spatzen in der Donnersberghalle kann er genauso gut verzichten. Der nahe Donnersberg, der höchste Berg der Pfalz, ist da mit seiner mystischen, keltischen und germanischen Vergangenheit viel spannender.
Die ersten 14 Jahre seines Lebens verbrachte der Soziologe (seine Diplonarbeit schrieb er über „Die Auswirkung von Kleinkinderziehung auf gesellschaftliche Strukturen“) und ausgebildeter Kindergärtner in Hamburg, zog dann nach Frankfurt, wohnte in Bornheim, Bockenheim, im Westend, hat „alles durchgemacht außer Sachsenhausen“. Geprägt haben ihn vor allem die 12 Jahre in der Kaiserhofstraße, rechts die Drogenszene zwischen Alter Oper und Stadtbad Mitte (heute das Hilton Hotel) und links die Fressgass, die noch heute aus der räumlichen wie zeitlichen Distanz einen „gruseligen Reiz“ ausübte. „Wenn du damals die Leute bei Feinkost Plöger für 100 Gramm Käse locker 30 Mark bezahlten und selber auf Stütze warst und mit sehr wenig Geld auskommen musstest, dann war das schon eine sehr krasse Situation“, erinnert sich Selzer. „Die Musik hat schon sehr viel geholfen, dass nicht die Scheiben vom Plöger zu Bruch gingen, weil ich die Aggression auf der Bühne austoben konnte.“ Und die Fressgass bekam ihre musikalische Widmung im gleichnamigen Song: „Auf der Fressgass fiese Fressen, fett und feist vom vielen Fressen, hohle Masken, nicht zu retten, zieh'n vorbei wie Marionetten.“
Bevor Selzer die Strassenjungs zu seinem Sprachrohr und zu einer Institution des deutsprachigen Rock’n’Rolls machte, die 30 Jahre kontinuierlich in der Szene präsent war und jetzt Jubiläum feiert, galt es die turbulenten Anfangstage zu überstehen. Authentisch wie sie später wahrgenommen wurden, waren sie eigentlich eine gecastete Band und das Baby zweier Freunde, Eckehard Ziedrich, einem späteren Drehbuchautor, und Axel Klopprogge, einem frustrierten Deutsch-Rocker, der Genesis-ähnliche Musik gespielt hatte. Sie schmiedeten im verträumten Hofheim am Taunus 1976 den Plan, Deutschlands Antwort auf die Sex Pistols an den Start zu bringen und „ihre kindliche Lust am Schockieren“, so Ziedrich, auszuleben. Songs wie „Ich brauch meinen Suff (wie der Spießer den Puff)", „Nachts auf Tour" oder „Jet-Set Ficker" entstanden, Musiker der aufgelösten Power-Rock-Trios mit Glam-Appeal, Tiger B. Smith, wurden engagiert und Nils Selzer, der dann Mario Nett hieß, stieß dazu. CBS Schallplatten witterten die Chance, mit deutschem Punk die Charts zu erobern, aber der erhoffte Erfolg blieb aus, denn trotzdem gemeinsame Tour mit The Clash bleibt es nur bei Achtungserfolgen.
1972 hatte Udo Lindenberg schon den „Daumen im Wind“, nur wenig später textete Selzer auch deutsch und als sein „Drummer mit dem Holzbein“ bei der Bellaphon erscheinen sollte, meinte die Plattenfirma, das sei Punk. „Mir war die Schublade scheißegal, mir war wichtig, was die Leute damit verbinden“, kümmerten sich der ehemalige Beatmusiker, der die Leute vor allem zum tanzen bringen wollte, wenig um modische Genrebezeichnungen. Als CBS den Vertrag nicht verlängern wollten, verlor das Autoren- und Produktionsteam Ziedrich/Klopprogge die Lust am Pun und schenkten Selzer zu Weihnachten 1978 den Namen Strassenjungs. „Ich fand den Namen gut, den hätte ich mir auch selber ausdenken können, weil es auch mein Konzept ist: er bedeutet für mich Freiheit im weitesten Sinne. On the road sein, mobil sein, nicht nur auf der Autobahn, sondern auch in Gedanken reisen. Das macht mir Spaß“, nahm sich Nils Selzer der Strassenjungs an, suchte sich passende Musiker, schrieb die Songs jetzt komplett selbst und gründete sein eigenes Tritt Records Label mit eigenem Studio in der eigenen Altbauwohnung. „Wir fanden alle den etablierten, pompösen Glamour Rock scheiße und hatten Lust auf erdige, authentische Sachen, auf Selbstständigkeit und darauf, als Band die Freiheit zu haben, keine Verträge mit großen Firmen einzugehen zu müssen“, formulierte Selzer die durchaus auch politische Haltung hinter Tritt Records. „Es ging ja nicht nur darum, vom Saufen bis zur Bewusstlosigkeit zu singen, sondern auch davon, sein Gehirn weiter einzusetzen.“ Der Auftritt beim Rock gegen Rechts-Festival in Frankfurt war da fast zwangsläufig.
Das erste richtige Strassenjungs-Album "Wir ham ne Party" gilt heute als Klassiker und der Ruf der Strassenjungs als gute Liveband hält sich nun über drei Jahrzehnte, trotz vielfach wechselnder Besetzungen, zu denen auch mal der heutige hr3-Chef Jörg Bombach als Bassist gehört, und obwohl sich der Kopf der Band zwischenzeitlich für 13 lange Jahre von der Bühne zurück gezogen hatte, Andi Mengler für ihn sang und Bassist Volker „Pickup“ Picard als Mann der zweiten Stunde die Strassenjungs live verkörperte, während Selzer die Songs schreib und im Studio dabei war. Als jedoch 2003 überraschend die Einladung zu einer Rockplast-Produktion kam, sollte Nils dabei sein, kam, sang und hatte wieder Blut geleckt. Seitdem ist er wieder auf der Bühne dabei. „Da haben wir mit einer jungen Punkband gespielt aus Köln, die hatten ihre 17-jährigen Fans dabei. Die kannten uns nicht, fuhren aber trotzdem auf unsere Songs ab“, erkannte Selzer da die Zeitlosigkeit seiner Zeilen, nicht nur der über Suff und Sex, sondern auch der Texte über Atomkraftwerke, vergiftete Natur und Gentechnik. „Im Prinzip hat sich die Situation in letzten Jahrzehnten eher noch verstärkt.“
Wenn er heute auch nicht mehr für ein Konzert in Flensburg oder Garmisch-Partenkirchen einen ganzen Tag auf der Autobahn verbringen würde, macht ihn das Touren wieder Spaß, alte, treue Fans zu treffen, aber auch kleine Punks mit Sicherheitsnadeln im Publikum zu entdecken. Von einem Generationskonflikt ist da nichts spüren und bis jetzt war auch noch kein Teenie so frech, ihn mit einem „Geil gemacht, Opa“ für ein gutes Konzert zu loben. Am 14. März, Einsteins Geburtstag, ist Selzer 60 Jahre alt geworden. „Das hat für mich keine Bedeutung“, wiegelt er ab. „Mir kommt’s sowieso ganz anders vor, man fühlt sich irgendwie, nicht so alt, wie man vom Lebensalter her ist. Zum Glück habe ich keine gesundheitlichen Probleme, außer, dass die Zähne sich langsam verabschieden.“ Zu viele Süßigkeiten. Er wirkt in seinen Jeans und dem roten ärmelloses T-Shirt fit wie ein Turnschuh und wenn er die Stones – Jagger/Richards sind beide vier Jährchen älter – auf der Bühne sieht, empfindet er sie als „erstaunlich lebendig – sie spielen ja sehr lange...“ und auch Iggy Pop – sein Jahrgang – zollt er Respekt.
Die haben alle gut Geld verdient und Selzer neidet ihnen nichts. Er hat von kontinuierlichen Plattenverkäufen und GEMA-Tantiemen gelebt und zusätzlich Geld verdient mit dem Programmieren eines Finanzbuchhaltungsprogrammes für Musiker und Labelbesitzer. „Ich war nie verheiratet, hab’ keine Kinder, bin kein Mensch, der jedes Jahr ein dickes Auto braucht oder irgendwelche Wohnlandschaften. All den ganzen Scheiß brauch ich nicht, also komm ich mit ziemlich wenig Geld gut hin“, hat sich Selzer seine Unabhängigkeit in ziemlich jeder Hinsicht bewahrt. Ob das ein Campino von den Toten Hosen, die auch gerne mal von Pressevertretern boshaft als geschickte Epigonen der Strassenjungs bezeichnet wurden, mit 60 noch von sich behaupten kann? Zum 30-jährigen Jubiläum kommt Ende Juni die CD „Straßenfeger Hitbox“ und im Herbst eine Video-DVD über das Bandleben seit 1977 auf den Markt.
www.diestrassenjungs.de
„Zwei Drittel meines Lebens habe ich in der Großstadt verbracht, das hat mir dann gereicht. Ich hatte mal Lust auf was Anderes“, suchte Selzer zunächst in der näheren Umgebung von Frankfurt ein neues Domizil, was sich aber als unbezahlbar erwies. Beim Besuch eines Musikerkollegen, der Frankfurt schon den Rücken gekehrt hatte, lernte er die Gegend südwestlich von Mainz kennen. „Ich suchte eine abwechslungsreiche, hügelige Landschaft mit weiten Blicken und kein Dorf, in dem es enger war als in der Großstadt.“ Nach einem Jahr Suche fand er Ransweiler – noch nah genug zu den Freunden in Frankfurt gut 100 Kilometer entfernt, und vor allem viel näher zur Freundin, die in Bingen lebt.
In die Dorfgemeinschaft musste er sich nicht integrieren. „Es gibt hier jede Menge Feiern, wo viel gesoffen, gefressen und fürchterliche Musik gespielt wird – da bin ich nicht dabei. Und auch Pfälzer Saumagen – da könnt ich gerade kotzen. Die Leute sind deswegen nicht merkwürdig oder gar feindselig zu mir“, malte sich Nils vor seinem Umzug vor dem geistigen Auge schon Jagdszenen aus Niederbayern als Horrorvision aus. „Aber die Leute sind schon freundlich, auch mir als Städter und dann noch Musiker gegenüber. Die Gegend mögen sie gern mit mir teilen.“ Kulturelles Leben findet woanders statt. Das nächste Kleinstädtchen heißt bezeichnenderweise Rockenhausen. „Da dachte ich, hier muss ich bleiben“, lacht Nils. Doch selbst in der einzigen Rockkneipe dort war er noch nie. Schon lange dem Alkohol abgeschworen, sind Kneipenbesuche für den Musiker noch langweilige als früher. Und auf das Theater vor Ort und die Kastelruther Spatzen in der Donnersberghalle kann er genauso gut verzichten. Der nahe Donnersberg, der höchste Berg der Pfalz, ist da mit seiner mystischen, keltischen und germanischen Vergangenheit viel spannender.
Die ersten 14 Jahre seines Lebens verbrachte der Soziologe (seine Diplonarbeit schrieb er über „Die Auswirkung von Kleinkinderziehung auf gesellschaftliche Strukturen“) und ausgebildeter Kindergärtner in Hamburg, zog dann nach Frankfurt, wohnte in Bornheim, Bockenheim, im Westend, hat „alles durchgemacht außer Sachsenhausen“. Geprägt haben ihn vor allem die 12 Jahre in der Kaiserhofstraße, rechts die Drogenszene zwischen Alter Oper und Stadtbad Mitte (heute das Hilton Hotel) und links die Fressgass, die noch heute aus der räumlichen wie zeitlichen Distanz einen „gruseligen Reiz“ ausübte. „Wenn du damals die Leute bei Feinkost Plöger für 100 Gramm Käse locker 30 Mark bezahlten und selber auf Stütze warst und mit sehr wenig Geld auskommen musstest, dann war das schon eine sehr krasse Situation“, erinnert sich Selzer. „Die Musik hat schon sehr viel geholfen, dass nicht die Scheiben vom Plöger zu Bruch gingen, weil ich die Aggression auf der Bühne austoben konnte.“ Und die Fressgass bekam ihre musikalische Widmung im gleichnamigen Song: „Auf der Fressgass fiese Fressen, fett und feist vom vielen Fressen, hohle Masken, nicht zu retten, zieh'n vorbei wie Marionetten.“
Bevor Selzer die Strassenjungs zu seinem Sprachrohr und zu einer Institution des deutsprachigen Rock’n’Rolls machte, die 30 Jahre kontinuierlich in der Szene präsent war und jetzt Jubiläum feiert, galt es die turbulenten Anfangstage zu überstehen. Authentisch wie sie später wahrgenommen wurden, waren sie eigentlich eine gecastete Band und das Baby zweier Freunde, Eckehard Ziedrich, einem späteren Drehbuchautor, und Axel Klopprogge, einem frustrierten Deutsch-Rocker, der Genesis-ähnliche Musik gespielt hatte. Sie schmiedeten im verträumten Hofheim am Taunus 1976 den Plan, Deutschlands Antwort auf die Sex Pistols an den Start zu bringen und „ihre kindliche Lust am Schockieren“, so Ziedrich, auszuleben. Songs wie „Ich brauch meinen Suff (wie der Spießer den Puff)", „Nachts auf Tour" oder „Jet-Set Ficker" entstanden, Musiker der aufgelösten Power-Rock-Trios mit Glam-Appeal, Tiger B. Smith, wurden engagiert und Nils Selzer, der dann Mario Nett hieß, stieß dazu. CBS Schallplatten witterten die Chance, mit deutschem Punk die Charts zu erobern, aber der erhoffte Erfolg blieb aus, denn trotzdem gemeinsame Tour mit The Clash bleibt es nur bei Achtungserfolgen.
1972 hatte Udo Lindenberg schon den „Daumen im Wind“, nur wenig später textete Selzer auch deutsch und als sein „Drummer mit dem Holzbein“ bei der Bellaphon erscheinen sollte, meinte die Plattenfirma, das sei Punk. „Mir war die Schublade scheißegal, mir war wichtig, was die Leute damit verbinden“, kümmerten sich der ehemalige Beatmusiker, der die Leute vor allem zum tanzen bringen wollte, wenig um modische Genrebezeichnungen. Als CBS den Vertrag nicht verlängern wollten, verlor das Autoren- und Produktionsteam Ziedrich/Klopprogge die Lust am Pun und schenkten Selzer zu Weihnachten 1978 den Namen Strassenjungs. „Ich fand den Namen gut, den hätte ich mir auch selber ausdenken können, weil es auch mein Konzept ist: er bedeutet für mich Freiheit im weitesten Sinne. On the road sein, mobil sein, nicht nur auf der Autobahn, sondern auch in Gedanken reisen. Das macht mir Spaß“, nahm sich Nils Selzer der Strassenjungs an, suchte sich passende Musiker, schrieb die Songs jetzt komplett selbst und gründete sein eigenes Tritt Records Label mit eigenem Studio in der eigenen Altbauwohnung. „Wir fanden alle den etablierten, pompösen Glamour Rock scheiße und hatten Lust auf erdige, authentische Sachen, auf Selbstständigkeit und darauf, als Band die Freiheit zu haben, keine Verträge mit großen Firmen einzugehen zu müssen“, formulierte Selzer die durchaus auch politische Haltung hinter Tritt Records. „Es ging ja nicht nur darum, vom Saufen bis zur Bewusstlosigkeit zu singen, sondern auch davon, sein Gehirn weiter einzusetzen.“ Der Auftritt beim Rock gegen Rechts-Festival in Frankfurt war da fast zwangsläufig.
Das erste richtige Strassenjungs-Album "Wir ham ne Party" gilt heute als Klassiker und der Ruf der Strassenjungs als gute Liveband hält sich nun über drei Jahrzehnte, trotz vielfach wechselnder Besetzungen, zu denen auch mal der heutige hr3-Chef Jörg Bombach als Bassist gehört, und obwohl sich der Kopf der Band zwischenzeitlich für 13 lange Jahre von der Bühne zurück gezogen hatte, Andi Mengler für ihn sang und Bassist Volker „Pickup“ Picard als Mann der zweiten Stunde die Strassenjungs live verkörperte, während Selzer die Songs schreib und im Studio dabei war. Als jedoch 2003 überraschend die Einladung zu einer Rockplast-Produktion kam, sollte Nils dabei sein, kam, sang und hatte wieder Blut geleckt. Seitdem ist er wieder auf der Bühne dabei. „Da haben wir mit einer jungen Punkband gespielt aus Köln, die hatten ihre 17-jährigen Fans dabei. Die kannten uns nicht, fuhren aber trotzdem auf unsere Songs ab“, erkannte Selzer da die Zeitlosigkeit seiner Zeilen, nicht nur der über Suff und Sex, sondern auch der Texte über Atomkraftwerke, vergiftete Natur und Gentechnik. „Im Prinzip hat sich die Situation in letzten Jahrzehnten eher noch verstärkt.“
Wenn er heute auch nicht mehr für ein Konzert in Flensburg oder Garmisch-Partenkirchen einen ganzen Tag auf der Autobahn verbringen würde, macht ihn das Touren wieder Spaß, alte, treue Fans zu treffen, aber auch kleine Punks mit Sicherheitsnadeln im Publikum zu entdecken. Von einem Generationskonflikt ist da nichts spüren und bis jetzt war auch noch kein Teenie so frech, ihn mit einem „Geil gemacht, Opa“ für ein gutes Konzert zu loben. Am 14. März, Einsteins Geburtstag, ist Selzer 60 Jahre alt geworden. „Das hat für mich keine Bedeutung“, wiegelt er ab. „Mir kommt’s sowieso ganz anders vor, man fühlt sich irgendwie, nicht so alt, wie man vom Lebensalter her ist. Zum Glück habe ich keine gesundheitlichen Probleme, außer, dass die Zähne sich langsam verabschieden.“ Zu viele Süßigkeiten. Er wirkt in seinen Jeans und dem roten ärmelloses T-Shirt fit wie ein Turnschuh und wenn er die Stones – Jagger/Richards sind beide vier Jährchen älter – auf der Bühne sieht, empfindet er sie als „erstaunlich lebendig – sie spielen ja sehr lange...“ und auch Iggy Pop – sein Jahrgang – zollt er Respekt.
Die haben alle gut Geld verdient und Selzer neidet ihnen nichts. Er hat von kontinuierlichen Plattenverkäufen und GEMA-Tantiemen gelebt und zusätzlich Geld verdient mit dem Programmieren eines Finanzbuchhaltungsprogrammes für Musiker und Labelbesitzer. „Ich war nie verheiratet, hab’ keine Kinder, bin kein Mensch, der jedes Jahr ein dickes Auto braucht oder irgendwelche Wohnlandschaften. All den ganzen Scheiß brauch ich nicht, also komm ich mit ziemlich wenig Geld gut hin“, hat sich Selzer seine Unabhängigkeit in ziemlich jeder Hinsicht bewahrt. Ob das ein Campino von den Toten Hosen, die auch gerne mal von Pressevertretern boshaft als geschickte Epigonen der Strassenjungs bezeichnet wurden, mit 60 noch von sich behaupten kann? Zum 30-jährigen Jubiläum kommt Ende Juni die CD „Straßenfeger Hitbox“ und im Herbst eine Video-DVD über das Bandleben seit 1977 auf den Markt.
www.diestrassenjungs.de
1. März 2017, 10.00 Uhr
Detlef Kinsler
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