Kurz vor dem Welt-Aids-Tag präsentiert die Frankfurter Aids-Hilfe die geschätzten Zahlen für Deutschland und Hessen 2018. Insgesamt gingen die Neuinfektionen mit dem HI-Virus zurück. Trotzdem besteht weiterhin akuter Aufklärungsbedarf.
Armin Heinrich /
In den 1980er Jahren erschütterte Aids die ganze Welt. In Deutschland wurde die Krankheit im Juli 1982 erstmals, bei einem Patienten aus Frankfurt, diagnostiziert. Viele Medien berichteten damals in reißerischen Tönen, so charakterisierte beispielsweise der Spiegel die Erkrankung als „Homosexuellen-Seuche“ oder „Schwulenpest“ und spiegelte so die sorgenvolle und unaufgeklärte Gesellschaft wider. 37 Jahre später verbreitet die Krankheit weniger Angst und Schrecken. Dank intensiver Forschung, medizinischer Fortschritte und großangelegter Aufklärungsarbeit konnte die Zahl der jährlichen Neuinfektionen vor allem in Industriestaaten verringert werden, HIV behandelbar gemacht werden und damalige Horrorszenarien abgewendet werden. Man könnte sagen, heute sind wir schlauer geworden, oder nicht?
Oliver Henrich von der Aids-Hilfe Frankfurt (AHF) berichtet, dass es auch im Jahr 2019 keine Ungewöhnlichkeit ist, wenn Menschen an seinen Beratungsstand kommen und fragen, ob der Virus durch Küssen übertragbar sei. Das vermeintliche Unwissen und die daraus resultierende Angst vieler führe zu einer Stigmatisierung von Infizierten: ob in der Familie, im Freundeskreis, im Job, in der Freizeit oder sogar beim Zahnarztbesuch, wenn Infizierte wegen einer einfachen Karies-Behandlung als letzter Patient des Tages drankommen und dann in Vollmontur behandelt werden, obwohl Standardhygienemaßnahmen ausreichend wären.
Für Christian Setzepfandt, Vorstand der AHF, ergibt sich daraus die Notwendigkeit, dass einerseits weiterhin aufgeklärt wird und andererseits Kooperationen mit medizinischen Einrichtungen und auch Haftanstalten eingegangen werden. Denn gerade Stigmatisierungen führten dazu, dass viele Betroffene aus Scham und Angst medizinische Behandlung mieden. Dabei kann heutzutage einerseits die Viruslast eingedämmt werden, damit keine Ansteckungsgefahr mehr besteht, andererseits kann ein Infizierter mit medikamentöser Behandlung ein normales Leben führen.
Carsten Gehrig, Fachbereichsleiter Psychosoziales stellte am Mittwoch die geschätzten Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) für Neuinfektionen in Deutschland und Hessen vor. In Deutschland gab es 2018 rund 2400 Neuansteckungen, etwa 200 weniger als im Vorjahr. Davon gehen zwei Drittel aus Sex zwischen Männern (MSM) zurück, rund 20 Prozent auf heterosexuelle Kontakte und 15 Prozent auf intravenösen Drogenverbrauch. Die Infektionen durch sexuelle Kontakte sind rückläufig, bei den Drogenkonsumenten stieg die Zahl. Für Hessen ergeben die geschätzten Zahlen 2018 rund 190 Neuinfizierte, davon 125 durch MSM, 40 durch heterosexuelle Kontakte und 25 durch Drogenkonsum. Weiterhin stellt das RKI fest, dass es im vergangenen Jahr weniger Menschen gab, die bei ihrer Erstdiagnose bereits an Aids erkrankt waren. Dies deutet darauf hin, dass HIV-Tests vermehrt genutzt werden. Ab Dezember steht in Frankfurt und fünf weiteren Standorten in Deutschland der S.A.M. Heimtest zur Verfügung, der es ermöglicht, HIV und andere Geschlechtskrankheiten von zuhause aus zu testen, um Hemmschwellen abzubauen.
Ein bedeutendes Zeichen im Kampf gegen Neuansteckungen und Stigmatisierungen ist weiterhin der Welt-Aids-Tag. Der erstmals 1998 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufene Tag findet jährlich am 1. Dezember statt und steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Streich die Vorurteile“. In Frankfurt findet an diesem Sonntag die deutschlandweit größte Veranstaltung ihrer Art statt, die von der AHF organisiert wird. Mit dem Titel „Achtung“ wird, wie auch in den vergangenen Jahren, der Fokus auf einen mehrdeutigen Begriff gelegt. „Achtung“ kann sowohl für Vorsicht, aber auch Respekt stehen. Schnell kann aus Vorsicht auch Ächtung werden, was wiederum zu Meidung bis hin zu Ausgrenzung führen kann. Alle drei Auslegungen spielen für Menschen, die mit dem HI-Virus in Berührung kommen, eine bedeutungsvolle Rolle. Die Aids-Hilfe Frankfurt sieht es als ihre Aufgabe, für diese Menschen da zu sein. So auch bei der Veranstaltung am 1. Dezember, die unter anderem durch Beiträge von Frauenrechtlerin Seyran Ateş, die ihr Leben dem Kampf gegen Stigmatisierungen gewidmet hat und bereits vielen Menschen helfen konnte, und Geschlechterforscherin Patsy l'Amour laLove begleitet wird. Darüber hinaus werden die Aktivistin Gianni Jovanovic, Sexarbeiterin Stephanie Klee und eine Mitarbeiterin der AHF, Jasmin Logaric, für Einzelgespräche zur Verfügung stehen.
Zuvor findet ab 16 Uhr ein ökumenischer Gedenkgottesdienst in der St. Katharinenkirche an der Hauptwache 1 statt. Wer sich darüber hinaus dem Kampf gegen Aids anschließen möchte, kann die AHF mit dem Kauf eines Solidaritätsbärchens unterstützten. Diese kosten 6,50 Euro und sind ab sofort bei der Frankfurter Aids-Hilfe verfügbar.
>> Welt-Aids-Tag, 1.12., 18 Uhr, St. Katharinenkirche, An der Hauptwache 1, Frankfurt