Im Dezember erklärte das Verwaltungsgericht Frankfurt die Mahnwachen vor der Schwangerschafts-Beratungsstelle von Pro Familia für rechtmäßig. Der Vorstand des Ortsverbands hält das Urteil für falsch und hofft nun, dass die Stadt mit ihrer Berufung erfolgreich ist.
Laura Oehl /
„Damit geht alles wieder von vorne los, was überwunden geglaubt war“, sagt Ursula auf der Heide. Sie ist die erste Vorsitzende von Pro Familia Frankfurt, deren Beratungsstelle in der Palmengartenstraße Schwangeren Beratung vor einem möglichen Schwangerschaftsabbruch bietet. Bereits seit mehreren Jahren sind Schwangere und Mitarbeitende dort mit regelmäßigen Mahnwachen von Abtreibungsgegnern konfrontiert. Im Dezember erklärte das Verwaltungsgericht Frankfurt nun die Mahnwachen aus dem Jahr 2020 für rechtmäßig.
„Das Urteil halten wir alle für falsch“, so auf der Heide. Zweimal im Jahr demonstrieren die Abtreibungsgegner 40 Tage lang während der Öffnungszeiten der Beratungsstelle. „Sie stehen da mit riesigen Plakaten mit unverhältnismäßig großen Föten darauf, mit Rosenkränzen und Kreuzen und beten und singen laut“, beschreibt die erste Vorsitzende die Situation während der Mahnwachen. „Die Frauen müssen ja zu einer solchen Beratung gehen. Durch die Mahnwachen werden sie stigmatisiert und haben überhaupt keine Anonymität. Laut Gesetz soll der Zugang zur Beratung aber eigentlich frei und unbeeinträchtigt sein.“ Das beklemmende Gefühl durch die Mahnwachen sei häufig auch Thema während der Gespräche mit den Schwangeren. Für viele stellt die Konfrontation mit den Abtreibungsgegnern auf dem Weg zur Beratung eine zusätzliche Hürde dar. So bestehe auch die Gefahr, dass die Frauen wieder umkehren und die Zeit für Beratung und einen möglichen Schwangerschaftsabbruch knapp werde, sagt auf der Heide.
Innenministerium: „Eingriff in Meinungs- und Versammlungsfreiheit zulässig“
Anfangs noch direkt vor der Tür der Beratungsstelle, müssen die Mahnwachen seit 2019 während der Öffnungszeiten außer Sicht- und Rufweite stattfinden. In der Handreichung des hessischen Innenministeriums hieß es damals, außerhalb der Öffnungszeiten der Beratungsstelle stehe die Meinungs- und Versammlungsfreiheit über dem Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen, während der Öffnungszeiten allerdings sei ein Eingriff in diese Freiheiten „zulässig, wenn nicht sogar geboten“. Das gelte vor allem für Mahnwachen in unmittelbarer Nähe von Beratungsstellen. Zudem dürfe der Ort der Mahnwache laut Innenministerium nicht selbst gewählt werden, wenn er „darauf ausgerichtet ist, die schwangere Frau in ihrer Konfliktsituation und im Zustand hoher Verletzlichkeit einer Anprangerung und Stigmatisierung auszusetzen.“
Die Stadt setzte den Abtreibungsgegnern also örtliche und zeitliche Grenzen: Während der Öffnungszeiten durften sie ihre Mahnwachen nur noch mit Abstand, an der Ecke Bockenheimer Landstraße/Beethovenstraße, abhalten. Diese Beschränkungen sah das Verwaltungsgericht nun als rechtswidrig an. Noch im Dezember kündigten Ordnungsdezernentin Annette Rinn (FDP) und Frauendezernentin Rosemarie Heilig (Bündnis 90/Die Grünen) an, Berufung einlegen zu wollen. Der Antrag auf Zulassung sei gestellt, die Begründung solle nun innerhalb der Frist abgegeben werden, erklärte Annette Rinn auf Anfrage. „Frauen haben ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz das Recht auf eine ergebnisoffene, kostenlose und anonyme Beratung. Das müssen wir als Stadt sicherstellen“, ergänzt Rosemarie Heilig. Es handele sich um eine „Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung“, so die Dezernentinnen.
Nächste Mahnwache für März angekündigt
Das sehen auch die Verantwortlichen von Pro Familia so. „Hier sind zwei Grundrechte miteinander in Konflikt geraten“, sagt die zweite Vorsitzende Noreen von Schwanenflug. „Diese Rechtslage ist noch nicht abschließend geklärt. Deshalb muss auch die Berufung der Stadt zugelassen werden.“ Bis dahin kann es allerdings noch dauern. Unterdessen wurde für März bereits eine neue 40-tägige Mahnwache angekündigt. Die Hoffnung von Pro Familia, dass die Stadt ihrer Linie aus den vergangenen Jahren treu bleibt, bestärkte Annette Rinn: „Für die für März angekündigten sogenannten Mahnwachen sollen die gleichen Auflagen gelten wie in den vergangenen Monaten, also insbesondere der Abstand von der Beratungsstelle von circa 150 Metern“, so die Ordnungsdezernentin. Wie es nach einem möglichen Berufungsverfahren weitergeht, ist unklar. Sollte die Berufung der Stadt gar nicht erst zugelassen werden, will die Stadt weitere juristische Schritte prüfen.
Jahrgang 1994, Studium der Musikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, Journalismus-Master an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, seit Dezember 2020 beim JOURNAL FRANKFURT.