S&K-Verhandlung, Tag 4

Platzt der Prozess?

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Zwei Jahre und achte Monate sitzen die Angeklagten im S&K-Prozess nun schon in Untersuchungshaft. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft, wenn denn das Verfahren fortgesetzt wird. Doch darüber muss noch entschieden werden.

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Die Stimmung im Gerichtssaal ist aufgeheizt. Schon jetzt, noch bevor die 1770 Seiten starke Anklageschrift des wohl größten Wirtschaftsstrafverfahrens Deutschlands, bei dem es um bandenmäßigen Betrug und 240 Millionen Euro Schaden geht, verlesen wurde. Die rund 20 Verteidiger der sechs Angeklagten und die drei Vertreter der Staatsanwaltschaft liefern sich scharfe und nicht immer sachliche Redegefechte. So mussten sich die Staatsanwälte auch schon anhören, ihre Anmerkungen seien „dümmlich“ und ihre Stimmen „süß“. Am Donnerstag noch hatte der vorsitzende Richter gemahnt: „Im Fokus sollten die Angeklagten stehen, das sind die Hauptdarsteller, um die geht es.“ Meist gehe man im Verlauf eines langen Verfahrens ohnehin aufeinander zu, eine „angemessene Gesprächsatmosphäre könnte es einfacher machen. Wir wollen doch alle der Sache dienen.“ Doch diese weisen Worte verhallten am Freitag, dem vierten Prozesstag – vielleicht sogar dem Schlüsseltag der ganzen Verhandlung. Denn diese könnte ganz auf der Kippe stehen, doch dazu später mehr.

„Grinsen Sie doch nicht ständig so. Ich weiß, dass Sie keine Gesichtslähmung haben! Jetzt nehmen Sie das doch mal wenigstens ein bisschen ernst!“, schmetterte der Strafverteidiger von Stephan S. einem der Staatsanwälte entgegen. Zu diesem Zeitpunkt sah sich die scheinbar unbeeindruckte Anklage noch im Recht.

Zusammengefasst wirft die Verteidigung der Staatsanwaltschaft vor, die 1770 Seiten umfassende Anklageschrift stimme entgegen der Bestimmungen inhaltlich nicht mit dem Eröffnungsbeschluss überein. Ferner sollen fünf bestimmte Passagen, vornehmlich zu den vier Nebenangeklagten, daraus nicht verlesen werden, weil sie in dem Prozess nicht zur Verhandlung stehen und auch die Schöffen davon nicht irregeleitet werden sollen. Daher solle eine neue Anklageschrift verfasst werden.

„Es sei verfahrensunökonomisch auf eine neue Anklageschrift bestehen zu wollen“, entgegnet die Staatsanwaltschaft. Es sei aber nun mal nicht gesetzeskonform, argumentieren die Verteidiger und verweisen auf Paragraph 207, Absatz 2.3. der Strafprozessordnung, die eindeutig sei. Dort stehen die Bedingungen geschrieben, unter denen eine neue Anklageschrift erforderlich ist und ebendie sieht die Verteidigung erfüllt. Die Staatsanwaltschaft glaubt aber, dass der Gesetzestext einen „deklaratorischen“ Charakter habe, es gehe bei der Anklageschrift nur um die Information der Prozessbeteiligten. Eine Grundlage für eine Revision bestehe nicht.

„Was ist denn das für ein Rechtsverständnis?“ poltert da Stephan S.’ Strafverteidiger. Und die Staatsanwaltschaft entgegnet, dass sie nicht gegen das Gesetz verstoße und schon gar nicht bewusst. Zudem gelte das Beschleunigungsgebot in Haftsachen – was für Gelächter bei der Verteidigung sorgt, letztlich hatte es ganze zwei Jahre und drei Monate bis zur Anklageerhebung gebraucht. Der Strafverteidiger droht den Anklägern: „Sie sitzen in der Falle!“ Und der eher zurückhaltende Richter unterbricht das Gefecht: „Vielleicht atmen wir alle mal durch!“

Es wird der Antrag gestellt, die Hauptverhandlung auszusetzen, um dann die nachgebesserte Anklageschrift studieren zu können. Außerdem wird das Gericht aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass die Staatsanwälte „abgelöst und ersetzt werden, durch welche, die rechtstreu sind.“ Es folgt eine einstündige Pause, danach erscheint der Richter: Die Anträge seien erwägenswert, noch sei keine abschließende Entscheidung gefallen. Der Prozess wird bis Dienstag vertagt.

Ein Verteidiger eines Nebenbeteiligten erläutert später außerhalb des Verfahrens, dass seine Kollegen auf eine Haftentlassung der Angeklagten hinauswollten. Seiner Einschätzung nach würde eine neue Anklageschrift eine Verfahrensaussetzung bedeuten. Und auch wenn man wegen der Verlesung einer beanstandeten Anklageschrift allein keine Revision einlegen könne, dass das Gericht ein angeblich gesetzeswidriges Vorgehen toleriere, könne man letztlich als Revisionsgrund nehmen, dann könne man ja Befangenheit unterstellen. Jetzt hat der Richter das Wort.


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