Es kann der frömmste Staatsanwalt die Anklageschrift nicht verlesen, wenn es die Verteidigung nicht will. Aber ist die Ermittlungsbehörde so fromm? Die S&K-Verteidigung spricht von Datenmanipulation.
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Von einem ganz normalen Verhandlungstag konnte am Montagmorgen beim Betrugsprozess gegen die Mitarbeiter von S&K nicht die Rede sein. Das fing schon damit an, dass einer der Angeklagten im Stau stand. Freilich als Insasse eines Gefangenentransports, nicht als wütender Autofahrer am Steuer. Mit der weiteren Verlesung der Anklageschrift – die Staatsanwaltschaft ist derzeit so ungefähr bei Seite 900, da geht also noch was – konnte somit nicht pünktlich um 9 Uhr begonnen werden. Doch auch als der Angeklagte Hauke B. endlich da war, ging es nicht weiter, die Verteidigung erbat sich eine Besprechungspause. Kein gutes Zeichen, denn dann braut sich für gewöhnlich immer etwas zusammen: ein Donnerwetter.
Und so war es. Nach der Pause will einer der Verteidiger einen Antrag stellen. Es gehe um Vorgänge, die „die Aktenmaus“ der Verteidiger – gemeint ist einer der Kollegen – bei der Einsicht der digitalen Asservaten bemerkt haben will. Das aber erbost den Staatsanwalt Thorsten Haas, der in den vergangenen Monaten schon einige zeitraubende Anträge in der Verhandlung anhören musste. Die Anklageverlesung habe „in einem Fluss“ zu erfolgen, argumentiert er. „Der Punkt ist, dass Sie nicht zu reden haben, aber ich zu verlesen habe“, wetterte Haas. Doch der Verteidiger ist unbeeindruckt, unaufschiebbar sei das Anliegen. Schon zuvor hatte die Verteidigung moniert, dass ungefähr 50 Terabyte an Daten wie etwa eMails und Protokolle nur schwer einsehbar seien, weil sie als Asservaten im Polizeipräsidium nur nach umständlicher Voranmeldung zugänglich gemacht würden und es auch an technischem Equipment mangele. Doch nun habe die Staatsanwaltschaft auch noch die Asservate bearbeitet.
84.405 „Tags“ seien gelöscht wurden, so habe der als „Aktenmaus“ und später als „Wühlmaus“ bezeichnete Anwaltskollege feststellen müssen. Es handele sich dabei vor allem um jene Lesezeichen und Anmerkungen, die den Staatsanwalt „Haas“ und das Unternehmen „PricewaterhouseCoopers (PwC)“ beträfen. Und das sei vielleicht nur die Spitze des Eisbergs. Man könne diese Vorgänge beweisen. Ein Verteidiger beantragt, dass die Kammer der Staatsanwaltschaft untersagen möge, weiter an den Akten zu arbeiten, so sei es der Verteidigung doch unmöglich sich einen Überblick über die gesammelten Akten zu verschaffen. Ein Verteidiger drohte selbst an, einen Gutachter hinzuzuziehen, der in der Lage sei, die gelöschten Dateien auf der Festplatte wieder sichtbar zu machen. Es handele sich hier um ein Beweissicherungsverfahren, das unbedingt durchgeführt werden müsse.
Man habe jedenfalls festgestellt, dass ein sogenannter „Administrator“ die Löschungen vorgenommen habe. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Ermittlungsbehörden die Verteidigung durch die kalte Küche vor vollendete Tatsachen stellen wollen“, so ein Verteidiger. Jede Veränderung an den IT-Asservaten während der Hauptverhandlung sei rechtswidrig, ja sogar strafbar.
Staatsanwalt Haas will das alles erstmal schriftlich. Da er keine Tags setze, habe er solche auch nicht gelöscht. Die Vorwürfe seien absurd. Überhaupt wisse er gar nicht, was ein Tag sei. Die Verteidigung verlangt, dass der Richter eingreift, es sei brennend eilig. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Polizei selbsttätig an den Daten arbeitet.“ Eine Verteidigerin weist darauf hin, dass permanent an den Akten gearbeitet werde, weil die Daten nicht nur das laufende Verfahren beträfen, sondern auch andere mit S&K zusammenhängende Verfahren. Das sei wie eine Cloud, eine offene Datenmasse. Dass die Asservate beim Polizeipräsidium lägen und nicht abgeschlossen beim Gericht, verstoße ihrer Meinung nach ohnehin gegen Paragraph 199 StPO. In der Strafprozessordnung heißt es: „Die Anklageschrift enthält den Antrag, das Hauptverfahren zu eröffnen. Mit ihr werden die Akten dem Gericht vorgelegt.“ Ein Verteidiger fordert vom Richter eine schriftliche Anweisung: „Lasst die Finger von den Asservaten!“. Der Richter verordnet erst mal zwei Stunden Pause.