Es geht voran, wenn auch zäh. Mehr als 700 Seiten der Anklageschrift im S&K-Prozess gehören nun der Vergangenheit an. Zwischen Zahlen, Konten und Hauskäufen war am Mittwoch auch von einer Nuttenparty die Rede.
Nicole Brevoord /
Die Zuschauerreihen im Gerichtssaal sind in der letzten Zeit recht leer. Die theatralischen Einlagen der Anwälte, die sich anfangs mit der Staatsanwaltschaft Gefechte lieferten, sind lange her. Rund 700 Anklageseiten ungefähr. Mittlerweile wird stur gelesen, die Staatsanwälte wechseln sich stündlich ab, nach etwa drei Minuten ist eine Seite verlesen. Ohne Betonung, meist ohne Unterhaltungswert und Pointe. Alles aus Aktenordnern mit doppelseitig bedruckten Blättern. Vieles wiederholt sich, das liegt daran, dass Jonas K. und Stephan S., denen im S&K-Prozess mit vier anderen Angeklagten bandenmäßiger Betrug und die Etablierung eines Schneeballsystems vorgeworfen werden, ihre vermeintlichen Delikte über Jahre und in Serie betrieben haben sollen.
Stellen Sie sich nun mal Ihre Steuererklärung und die Kontoauszüge des vergangenen Jahres vor und diese drögen Informationen müssen verlesen werden, stundenlang. Da ist von Überweisung X die Rede und zwar vom Konto Y bei der Blablabank auf das Konto Z am soundsovielten, gefolgt von unzähligen weiteren Überweisungen und Kontobewegungen. Ja, da driftet man als Zuhörer schon mal gedanklich ab. Nur die Schöffen halten sich tapfer, ihnen zuliebe wird dieses Lesefest zur allgemeinen Information ja auch veranstaltet. „Wenn man alle Tabellen herausrechnet, die laut einer amtlichen Entscheidung nicht gelesen werden müssen, sind es insgesamt 1200 Seiten,“ sagt Oberstaatsanwalt Andreas Hohmann. So gesehen ist schon viel geschafft.
Was? Hat hier jemand Nutten gesagt? Die Verteidiger tuscheln immer wieder, Jonas K. gähnt, die Richter und Vorsitzenden müssen schon die Köpfe auf die Hand stützen – das an sich ist beobachtenswert, der eine hält sich die Stirn, der andere die Wange – eine Person auf der Richterbank schließt (andächtig oder schlaftrunken?) die Augen. Das Sicherheitspersonal daddelt auf dem Handy, während bei der Verlesung von Immobilien in Dietzenbach, Klingenberg, Bad Camberg und in Bad Orb die Rede ist. Diese wurden bei Zwangsversteigerungen billig aufgekauft, dann mit fingierten Gutachten höher bewertet, an eine der Gesellschaften von Jonas K. verkauft, der diese dann an eine weitere Gesellschaft, die ihm ebenfalls gehörte, weiterveräußerte. Am Ende wurden den Anlegern wohl Wahnsinnswerte vorgegaukelt, die nur auf dem Briefpapier von geschmierten Gutachtern existierten. Und während die Lesung monoton vor sich hinplätschert – wäre als Hörbuch eine tolle Einschlafhilfe – hat die Staatsanwaltschaft dann doch immer mal wieder Mailkorrespondenz der Angeklagten in den Zahlenwust mit eingebunden. Da schreckt man schon mal aus der Lethargie auf, wenn es plötzlich heißt, man könne ja mal eine „Nuttenparty“ mit „zehn Nutten“ feiern.
Doch schwupps, gehen die Zahlenkolonnen wieder weiter, aber immer wieder – alle 45 Minuten etwa – ist die Anklageschrift aufgepeppt mit hochgeistigen Mailergüssen der Angeklagten, die tief blicken lassen, in denen davon die Rede ist, anderen „die Eier abzubeißen und zu essen“ oder wenn es sein müsse, anderen den – Zitat: – „Schwanz zu blasen“. Nur einmal, da kommt Staatsanwaltschaft Holger Frickmann beim Lesen dann ins Szenische und betont wie im Theater: „Der Fonds ist genehmigt. Jipppiiiiiieh!“. Letzteres melodiös vorgetragen bringt alle Anwesenden im Gerichtssaal zum Lachen. Immerhin etwas, wo die langweilige Leserei ja sonst eher einer Kollektivstrafe ähnelt.