In ihrer ersten Poetikvorlesung hat Autorin und Buchpreis-Trägerin Terézia Mora von der Entstehung ihres ersten Buches erzählt. Statt einer Performance verließ sich Mora auf die klassische Vortragsform.
leg /
Manchmal, etwa wenn man nicht mehr weiter weiß, kann es ganz ratsam sein, ins Kino zu gehen. Das muss kein anspruchsvoller Film sein, einer, von dem man von vornherein weiß, dass er einen auf bestimmte Gedanken bringen könnte. Nein, manchmal ist etwas Triviales nötig, damit es einen auf ganz andere Gedanken bringt. Kino darf und soll auch mal Zerstreuung sein.
Als die Schriftstellerin Terézia Mora Zweifel an ihrem Unternehmen bekam, etwas über Poetik zu schreiben, folgte sie der Filmwahl ihrer sechsjährigen Tochter und sah sich mit ihr den Animationsfilm „Die Croods“ an. Und wie das immer so ist, wenn es um die Urmenschen geht, hat das - wegen der anthropologischen Komponente - immer auch etwas mit einem selbst zu tun. Die eine Geschichte, die die Steinzeitfamilie von ihrem Vater erzählt bekommt, soll sie vor den Gefahren außerhalb der Höhle schützen. Und es ist das Kind, das diese Warnung ignoriert und sich die Außenwelt ansieht.
Kaum war Mora aus dem Kino raus, war die Idee für die erste Poetikvorlesung da: Man müsse als Autor „aus der Höhle kommen“, „man muss losgehen“, handlungsfähig sein. „Der Autor, der nicht losgeht, schafft keine Erzählung und schafft sich selbst nicht“, sagte Mora am Dienstagabend auf dem Campus Westend der Goethe-Universität. Das sei weder ein kurzer noch ein einfacher Prozess. Doch wie? Mora hat für sich eine Formel gefunden: „Als hätte es nichts gegeben; neu und herausfordernd wie die Sonne.“ So müsse man schreiben.
Doch während sie damit dem intertextuellen Bewusstsein des Autors eine Absage erteilte, behauptete sie damit nicht, dass das Schreiben bei ihr ganz voraussetzungslos sei. So schilderte Mora, wie sie ihre Erlebnisse in ihrer Kindheit und Jugend im ländlichen Ungarn der 70er und 80er Jahre zu den Erzählungen ihres ersten Buches, „Seltsame Materie“ (1999), verarbeitete. Eine bäuerliche Lebenswelt sei es gewesen, geprägt vom Katholizismus, isoliert, da Teil einer sprachlichen Minderheit, arm, verwahrlost und elend. Der Sozialismus habe „ein alles durchdringendes Gefühl der Enge“ geschaffen.
Aus diesem Erfahrungsfundus schöpfte sie, als sie das Drehbuchschreiben an der Berliner Filmhochschule erlernte und eine Szene über Liebe schreiben sollte. Sie kam auf die Idee, eine Situation zwischen einem Großvater und einer Enkelin zu erzählen, die Idee wurde später zu der Erzählung „Durst“, mit der Mora im Jahr 1997 den Schreibwettbewerb Open Mike gewann. Auf dieser Erzählung, auf diesem Verfahren bauten schließlich auch die übrigen neun Geschichten auf, die in ihrem ersten Buch versammelt sind.
Und trotzdem: Nie seien es konkrete Ereignisse gewesen, die sie beschrieben habe, betonte die Autorin. Ihr Erzählen sei immer nur ein „als ob und so wie“ gewesen. Mora berichtete, dass sie sich dieses „Wie“ in einer ständigen Selbstbefragung, in einem bewussten Prozess als Dialog mit sich selbst abrang. Man brauche einen Adressaten, und wenn es den nicht gebe, müsse man ihn eben erfinden.
So fand sie zu einer schlichten Sprache, die der von ihr geschilderten Welt gerecht wurde. Nach zehn Erzählungen war die Methode für sie ausgereizt. Eine neue musste her, um etwas Neues zu erzählen. Darum soll es in der nächsten Vorlesung gehen. Spätere Themen werden Figuren, Recherche und „extreme Inhalte“ sein, also wie man über das Schreckliche schreiben kann. Die Vorträge finden bis zum 11. Februar immer dienstags im Hörsaalzentrum auf dem Campus Westend statt. Beginn ist jeweils um 18.15 Uhr.
Wohltuend ist Moras Hang zur Einfachheit: Statt, wie einige ihrer Vorgänger, ihre Vorlesung zu einer Kunstperformance zu machen, verließ sich Mora auf eine klassische Vortragsform: Keine Schauspieler (Navid Kermani), Doppelgänger (Michael Lentz), Remix von Zitaten aus Rezensionen (Thomas Meinecke) oder fiktive Briefwechsel (Juli Zeh), sondern einfach nur ein Werkstattbericht. Trotz der relativ leichten Zugänglichkeit und der Bekanntheit durch den Gewinn des Deutschen Buchpreises im vergangenen Oktober blieben einige Plätze im Hörsaal leer.
Im „Fenster zur Stadt“, Braubachstraße 18-22, ist eine Begleitausstellung zur Vorlesung zu sehen. „Der geheime Text“ ist eine Schau zu Moras jüngsten Roman „Das Ungeheuer“, für den sie den Buchpreis erhielt. In dem Buch geht es um eine Reise eines Mannes, Darius Kopp, der nach einer Grabstätte für die Asche seiner Frau sucht. Die Seiten des Buches sind zweigeteilt: Während oben die Reise des Mannes geschildert ist, sind unten die Tagebucheinträge der Frau zu lesen. Ähnlich ist auch die Ausstellung konzipiert: Auf einer Wand erstrecken sich je sechs Tafeln oben und unten, auf denen jeweils Passagen aus dem Buch stehen. Dazwischen hängen sechs Bilder, die den Mythos von Orpheus und Euridike zum Gegenstand haben. Um etwas mit dieser Konstellation anfangen zu können, sollte man jedoch den Roman gelesen haben.