Maschine ohne Mensch

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esther boldt /

Im Bockenheimer Depot lässt Heiner Goebbels Maschinen die Geschichte der Moderne erzählen.



Sie werden stets als Gegenspieler verhandelt: Mensch und Natur. Mensch und Maschine. Bei der Frankfurt-Premiere von „Stifters Dinge“ nun hat Heiner Goebbels sie eng zusammengeschlossen, indem er auf Menschen auf der Bühne verzichtete: Sein Theaterabend bedarf am Anfang einiger Anschübe durch zwei Bühnentechniker, dann läuft die Bühnenmaschinerie aus fünf mechanischen Klavieren, drei Wasserbassins und –kanistern, einigen Lautsprechern auf Stativen sowie allerlei Geräuschmachern ganz von allein. Kein Körper, nirgends. Im Titel wie in einer Textpassage rekurriert Goebbels auf Adalbert Stifter, so wird anfangs Stifters „Eisgeschichte“ gelesen, die von der bedrohlichen Macht der Natur erzählt.


In wenigen Textpassagen wird der Biedermeier-Dichter mit der Geschichte der Moderne verbunden. Etwa in einem Interview mit Claude Levi-Strauss, der die Unmöglichkeit attestiert, in dieser Welt noch Unentdecktes zu finden: Die Erde ist entjungfert, basta. Allerdings gebe es da noch fremde Perspektiven auf bekannte Dinge, die sie wieder zu unbekannten Größen machten. Eine Absichtserklärung: Indem Heiner Goebbels jene Dinge zu seinen Protagonisten macht, die im Theater sonst nur Beiwerk sind, sucht er das Fremde im Bekannten. Aber leider halten sich die Entdeckungen in Grenzen. Gekonnt und mit viel Freude an der Technik, aber vielleicht allzu routiniert werden poetische Bilder geschafft, die über ihre dekorative Funktion häufig nicht hinauskommen. Auf der Suche nach unbekannten Ufern jagt er einer etwas faden Exotik nach. Denn die Bühnenmaschine unternimmt eine kleine Reise über den blauen Planeten und seine spektakulären Landschaften: So geht’s nach Afrika, wenn sich auf weißen Gazewänden gelbes Licht bricht, der Widerschein der Wasserbecken sich mit afrikanischen Gesängen verbindet. Und wenig später legt ein O-Ton von Malcom X nach, der proklamiert, die Vorherrschaft Europas in der Welt sei vorbei, die Macht habe sich dezentralisiert. Dieses explizite Anreißen von postkolonialen, globalisierungskritischen Diskursen hätte es gar nicht gebraucht. Das steckt bereits im Apparat.


Zwischen Mensch, Maschine und Natur stellt Goebbels als verbindendes Element die Kultur. So lassen sich die angesammelten Zitate auch als Selbstreflexion einer europäischen Kulturtradition lesen, die die Sehnsucht nach dem Anderen gepackt hat, die ihren eigenen Wurzeln aber nicht entkommt. So bleiben die mitunter berückenden Bilder förmlich in einer strebenden Sehnsucht stecken. Stattdessen sind es jene Momente, in denen fast nichts geschieht, die viel mehr erzählen als die Ausflüge in die afrikanische Savanne oder ins Ewige Eis: Da hängt eine schmale Nebelwolke horizontal über den Wasserbassins, sanftes Licht erleuchtet die Maschinerie aus fünf Klavieren, zwischen denen einige dünne Zweige stecken: Der deutsche Wald! Oder das, was von ihm übrig blieb. Ein paar wenige Töne fallen in die Stille, ein Bogen streicht über die bloßliegenden Saiten eines Klaviers. Goebbels’ Apparaturen wirken, wenn er sie sich selbst überlässt, wenn sie nicht von anderen Orten, sondern nur von sich selbst erzählen: Ihrer Mechanik, ihrer Materialität, in der aber stets das von Menschen gemachte durchdringt. Auch wenn keine menschlichen Körper auf der Bühne sind: In dieser hybriden Landschaft zwischen Natur und Technik sieht man überall seinen Fingerabdruck.




Foto: Mario del Curto


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