Die Liste der Konzerte 2007, die mehr Besucher verdient gehabt hätten, kann seit gestern um ein weiteres ergänzt werden. Chip Taylor ist eine Legende. Seine Songs wurden von den Troggs ("Wild Thing", wer kennt es nicht?!) und Johnny Cash gesungen. Sein „Angel Of The Morning” war ein Hit für P.P. Arnold, Nina Simone und Juice Newton. Gitarrist John Platania, der schon auf Van Morrisons „Moondance“ zu hören war, ist ebenso eine große Nummer für echte Musikfreaks. Und die junge Dame, die sich auf dem Poster zwischen die beiden alten Herren gemogelt hat, Kendel Carson (Gesang, Geige), gilt als ein kommender Star der US-Country-Szene. Gründe genug für ein volleres Haus. Aber denkste. Eine Handvoll treuester Megafans, ein paar eingeweihte Musikfreaks und noch ein paar Neugierige - das war´s. Dafür war die Stimmung im familiären Rahmen sehr intim, sehr schön, sehr nah.
Über eine Stunden spielte Chip Taylor’s Train Wreck Revue bis sie eine Pause einlegten, und danach gab´s noch mal so viel Musik plus Zugaben. "Das ist unser letzter Abend der Tournee – haben Sie morgen etwas vor? Dann spielen wir weiter, solange sie mögen", kosteten die Musiker die warmherzige Atmosphäre in der Brotfabrik voll aus. Chip Taylor alias James Wesley Voight, Onkel von Angelina Jolie (die gab´s dann als Zugabe nachts noch im TV – immer diese Zufälle!), und seine Understatement-Musiker (jeder ein Virtuose, aber keiner ein Selbstdarsteller) lieferten ein wunderbar rundes Country-Folk-Blues-Konzert ab. Taylor konnte aus seinem reichen Songschatz wählen, brillierte zudem als Anekdotenerzähler und politisch kritischer Mensch (viel hat er gegen den Irakkrieg geschrieben) und ließ0 seinen Mitmusikern viel Raum für Solospots.
So konnte die erst 23jährige Kendel Carson ausgiebig ihr Soloalbum "Rearview Mirror Tales" promoten, zu dem ihr Taylor die Songs geschrieben und das Album auch produziert hat. Balladen wie "Take Me Down To The River" interpretierte das hübsche blonde Cowgirls aus Kanada genauso beeindruckend - gesanglich wie mit der Fiddle - wie Radiohits à la "I Love Trucks" (so hat jede/r seien Vorlieben). John Platanias Soloalbum - meist Instrumental eingespielt und von den Weiten Texas` inspiriert - heißt "Blues, Waltzes And Badland Borders" und besticht durch brillante Gitarrenarbeit der Marke Weniger ist mehr, dafür ist jeder einzelne Ton gefühlsecht.
Der gebürtige New Yorker Taylor, der trotz seiner Herkunft Countrystar werden konnte, gab mit seiner Band auch einen Chuck Berry zum Besten, verneigte sein Haupt vor Johnny Cash und ließ sein Publikum mitmachen. In einer mitreißenden Version von "Wild Thing" mussten die Fans mitsingen ("Act like a bunch of drunken folks!") und sollten sich so verausgaben, dass der Sitznachbar, selbst wenn es der langjährige Partner sein sollte, überrascht werden sollte, zu was der Mensch da nebendran fähig und im Stande wäre. "Singen im Konzert ist Therapie", kommentiert Taylor die Versuchsanordnung. Der von Chip immer wieder beschworene "Spirit" des Abends stimmte. Wie gesagt: dieses Konzert hätten mehr genießen können. Aber ehrlich gesagt: Ich war auch eher zufällig da.