Kinderschutzambulanz nach 1 Jahr

Geschundene Seelen

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Die medizinische Kinderschutzambulanz der Uni-Klinik hat täglich mit tragischen Schicksalen zu kämpfen. Jetzt wurde sie ein Jahr alt. Matthias Kieslich und sein Ärzteteam haben seitdem 153 Fälle behandelt

Julia Lorenz /

Die großen, gelben Türen der Kinderambulanz des Uniklinikums werden aufgerissen. Ein Mitarbeiter des Frankfurter Jugendamts stürmt herein. Auf dem Arm: Ein bewusstloser Säugling – übersät mit Blutergüssen, Verbrennungen und Schnittverletzungen. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Matthias Kieslich, Leiter der vor einem Jahr gegründeten medizinischen Kinderschutzambulanz, nimmt das kleine Wesen in seine Obhut und untersucht es sorgfältig. Es geht zum Röntgen. Alle Blessuren werden mit einer Fotokamera festgehalten. Ein Gynäkologe wird hinzugezogen. Die Spuren werden gesichert wie an einem Tatort. Alles wird akribisch dokumentiert. „Kommt es zu einer Gerichtsverhandlung, kann das Jugendamt ohne unsere medizinischen Befunde nichts beweisen“, erklärt Kieslich.

Er sieht nicht weg, sondern handelt. Knochenbrüche, Schnittverletzungen, Verbrennungen, Blutergüsse, Veränderungen im Genitalbereich und Verwahrlosung gehören zum Tagesgeschäft des Arztes. Denn er und sein vierköpfiges Team suchen die Ursachen für all diese Blessuren. Sie behandeln Kinder und Jugendliche, bei denen der Verdacht auf Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch vorliegt. „Unser Fokus richtet sich nur auf die Kinder. Es geht uns nur um ihr Wohl. Die Täter sind sekundär.“ Die Kinderschutzambulanz ist die Anlaufstelle im Rhein-Main-Gebiet für Jugendämter, Justiz und Polizei. Er und sein vierköpfiges Team sind 24 Stunden, sieben Tage die Woche im Einsatz - und das seit einem Jahr. "Ich bin überrascht, wie gut das Angebot angenommen wurde und wie hoch der Bedarf ist", sagt Kieslich. "Wenn man die telefonische Beratung mit einbezieht, haben wir 153 Fälle behandelt. Gesehen und begutachtet haben wir 104 Kinder."

„In den seltensten Fällen ruft uns jemand direkt an und sagt, sein Nachbarskind komme nicht an die frische Luft oder werde geschlagen.“ Und niedergelassene Ärzte wenden sich an sie, da viele Angst vor einem falschen Verdacht oder schlicht und einfach zu wenig Zeit für die geschundenen Kinder haben. „Das ist eine zeitraubende Geschichte. Manchmal ist ein Arzt eineinhalb Tage mit einem kleinen Patienten beschäftigt. Denn nichts darf übersehen werden. Kein Kind darf durchs Raster fallen.“

Und so sind Kieslich und sein Team 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche im Einsatz. Immerhin gebe es ein bis zwei Verdachtsfälle in der Woche. Sind die Untersuchungen abgeschlossen, die Protokolle geschrieben, setzten sich die Ärzte gemeinsam mit anderen Fachabteilungen an einen Tisch, um den Fall zu beurteilen und die sogenannte Kinderwohlgefährdung einzuschätzen. Kommen sie zu dem Urteil, dass dem Kind Gewalt zugefügt wurde, wird das Jugendamt informiert. Das weitere Vorgehen wird geplant. Wohin mit dem Kind? Zurück zu den Eltern, in eine Pflegefamilie oder in ein Kinderheim? Dabei sei das Frankfurter Kinderschutznetzwerk ganz wichtig. „Jeder Fall ist schlimm. Doch sobald das Kind den Schutz der Klinik verlassen hat, können wir nichts mehr tun“, bedauert Kieslich. Und so nimmt auch der erfahrene Arzt immer ein Stück der Kinderschicksale mit nach Hause.

>> Erste Hilfe gibt’s bei Frankfurter Kinder- und Jugendschutztelefon 0800-2010111 (gebührenfrei).


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