Drogen, Müll, Verwahrlosung: Die Situation im Bahnhofsviertel respektive in der gesamten Stadt sei beschämend, sagt Chefredakteurin Ronja Merkel. Der zunehmende Verfall sei jedoch wenig überraschend, denn weder Politik noch Justiz scheinen ihren Aufgaben nachkommen zu wollen.
Ronja Merkel /
Eine Million Euro wird die Stadt Frankfurt in diesem Jahr voraussichtlich allein für die Reinigung des Bahnhofsviertels ausgeben müssen. 400 000 Euro mehr als in einem Corona-freien Jahr. Nun kann man sich ein wenig wundern, was genau diese Unsummen verschlingt. Nicht etwa, weil solche Kosten übertrieben erscheinen, sondern, weil Frankfurt so versifft ist, wie gefühlt schon seit Jahren nicht mehr. Und das will etwas heißen, ist unsere Stadt doch für vieles bekannt, aber sicherlich nicht für ihre Sauberkeit. Wenn ich am Fenster meines Büros stehe, blicke ich direkt auf die Rückseite des Alten Polizeipräsidiums. Welch eine Schande, dass dieses einst so schöne Gebäude nun derart vergammelt. Und welch eine Schande, dass es innerhalb eines halben Jahres nicht möglich war, den Dreck, der nach einem Brand am Gebäude entstanden ist, wegzuräumen. Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit ärgere ich mich angesichts der zwei rußgeschwärzten Einkaufswagen, die gut sichtbar unter einem Vordach des Präsidiums an der Ecke Ludwigstraße/Mainzer Landstraße vor sich hin modern.
Noch mehr ärgere mich, wenn ich, meist zu später Stunde, den Rückweg durchs Bahnhofsgebiet antrete und mich dabei regelmäßig am Saar-Karree oder am Platz der Republik durch Dealergruppen boxen muss. Angetrunkene Kerle, die zu zwanzigst, dreißigst auf den Straßen stehen, aggressiv und übergriffig werden – gibt es etwas Schöneres? Die Situation im Bahnhofsgebiet respektive in der gesamten Stadt ist beschämend, aber wenig überraschend. Wäre ich Dealer, würde ich mich durch das abgefuckte Stadtbild und das weichgespülte Betäubungsmittelgesetz auch ermutigt fühlen, mein Zeug an jeder beliebigen Ecke zu verticken. Und wäre ich Polizistin, hätte ich schon lange keine Lust mehr, in diesem versifften Viertel meinen Dienst zu verrichten, während weder Politik noch Justiz es für nötig zu halten scheinen, ihren Aufgaben nachzukommen. Glücklicherweise bin ich weder das eine noch das andere. Unglücklicherweise schlägt mir der schleichende Verfall dieses eigentlich so wunderbaren Quartiers zunehmend aufs Gemüt.
Ich hätte da eine Idee: Wie wäre es, wenn wir alle – Anwohnende, Gastronomien, in der Nachbarschaft Arbeitende – den ganzen Dreck des Bahnhofsgebiets einsammeln und vor dem Römer abladen? Wir finden unterwegs sicherlich auch noch das ein oder andere Päckchen Crack, das wir dazu werfen können. Ich steuere auch zwei Einkaufswagen für den Transport bei. Und dann schauen wir mal, wie lange es dauert, bis sich die Verantwortlichen zu einem Fototermin im Viertel treffen.
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin.