Die Werkstatt des Siegelschnitzers und Kalligraphen Wang Ning liegt in einem Hinterhof im Frankfurter Nordend. Eine Treppe führt hinauf zu dem kleinen, alten Gebäude in der Rotlintstraße, dessen erste Etage er sich mit einer rot getigerten Katze teilt. "Manchmal komme ich mir vor wie in einem Vogelhaus", sagt der 47 Jahre alte Künstler mit dem fedrigen, langen Kinnbart. "Keine Wand ist hier gerade, das hat mir gefallen." Wang Ning hat China im Zuge der Studentenunruhen 1989 verlassen. "In China arbeitete ich in der Touristik und hatte schon damals Kontakte zu deutschen Touristen, außerdem hatte ich deutsche Freunde", erzählt er. Wang Ning packte seine Koffer und machte sich von Peking aus auf den Weg. Ein Siegel für die Mainstadt
"Am Anfang konnte ich hier in Frankfurt nicht schlafen, die Stadt war im Vergleich zu Peking so klein und so ruhig." An den Wänden seines Ateliers hängen Kalligraphiepinsel, dicke und dünne. In Vitrinenschränken hat er eine Sammlung alter, kunstvoll gefertigter Siegel untergebracht. Wang Ning ist gefragt, ist einer von nur ganz wenigen Siegelschnitzern weltweit. Gerne würde Wang Ning ein Siegel mit chinesischen Schriftzeichen für Frankfurt schnitzen, für Mannheim hat er es bereits getan. Es ziert den Partnerstädtevertrag mit Zhenjiang. Wie ein Siegel für seine Wahlheimatstadt Frankfurt aussehen könnte? Er greift zu Stift und Papier, zerlegt Frankfurt in vier Silben, die im Chinesischen jede für s ich eine Bedeutung haben: Fa-lan-ke-fu - "weil wir Chinesen kein 'R' kennen". "Fa" bedeute Gesetz, "lan" Orchidee, "ke" überwunden und "fu" Glück. Scheue Chinesen werden zu Popstars
Lauter als bei Wang Ning geht es im Westen der Stadt, im Gallusviertel, zu: inmitten junger, musikbegeisterter Chinesen. Karaoke-Fans aus ganz Deutschland zieht es vor allem an den Wochenenden in die Bar "Melody", laut Geschäftsführerin Helen Yu mit elf Räumen die deutschlandweit größte Bar dieser Art. Die 24 Jahre alte Chinesin kam mit neun Jahren nach Deutschland, seit sechs Jahren ist Frankfurt ihr Zuhause. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und betreibt ihr Lokal gemeinsam mit Ehemann Kai Chen und ihrer Mutter Lishan Zao. Es ist vor allem die junge Generation von Chinesen, die es ins Frankfurter Gallusviertel zieht. Anders als in manchen Lokalen, in denen es öffentliche Karaoke-Events gibt, bietet Helen Yu in ihrer Bar intim anmutende Kabinen an, die mit Polsterlandschaft, Bildschirm und Tonanlage ausgestattet sind. In die kleinste passen bis zu fünf Personen, in der größten fühlen sich bis zu 25 wohl. "Chinesen", weiß Helen Yu, "wollen sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen", und auch die 20 Prozent Europäer, die es ins Melody ziehe, seien eher schüchtern. Immerhin 40.000 chinesische Titel hat die Bar ihren Gästen zu bieten. Zum Mondfest zieht es Chinas Jugend in die Karaoke-Bar
Heute ist der Andrang besonders groß. Es ist Mondfest, und wie immer an chinesischen Feiertagen zieht es besonders viele Gäste zu dem Frankfurter Karaoke-Treffpunkt. Unter ihnen ist auch Ji Qi. Der junge Bauingenieur aus Wiesbaden feiert seinen 32. Geburtstag. Reste vom Geburtstagskuchen, Chips und Nüsse sind im Halbdunkel verstreut, buntes Metallkonfetti glitzert auf dem eleganten, schwarzen Steinboden. "Wenn man Stress im Beruf hat, kann man beim Karaoke-Singen alles vergessen", sagt Ji Qi. Dann ist er auch schon an der Reihe, nimmt das rote Mikrophon in die Hand und schlüpft in die Haut des in China populären Sängers Tong Ange, der in einem Video einsam durch die nächtlic hen Straßen Hongkongs streift. Der Ton kommt ein wenig schief raus, doch das macht hier gar nichts. Die Freunde begleiten Ji Qi gut gelaunt mit kleinen Rasseln. Zum Schluss gibt es Applaus. "Das Lied", sagt Freundin Bo, "ist bestimmt 20 Jahre alt, aber wir kennen es gut, schließlich sind wir damit in China groß geworden." Draußen in der eleganten Lounge des Eingangsbereiches kümmert sich Helen Yus Mutter um die nächsten Gäste. "Meine Mutter", erzählt Helen Yu, "singt wie ich auch gerne Karaoke. Am liebsten die alten Klassiker, Lieder, die von der Liebe zu China erzählen." Ob das Heimweh groß sei? Helen Yus Mutter nickt. Drei goldene Katzen winken das Glück herbei
Regelmäßig zu Gast in der "Melody"-Bar ist auch Damin Ren (37). Der Gründer der China Kultur- und Wirtschaftsservice GmbH (CKWS) im Frankfurter Stadtteil Bockenheim arbeitet hauptberuflich in Bad Homburg als Investmentstratege einer Vermögensverwaltung. Samstags trifft man ihn in seinem chinesischen Bücherladen, dem einzigen Chinapräsenzbuchladen bundesweit, in der Adalbertstraße. Drei goldene chinesische Glückskatzen winken im Schaufenster sitzend den Passanten zu, und ein riesiger Drachenkopf aus Papier flankiert eine Auswahl chinesischer Neuerscheinungen. Anliegen von Damin Ren ist es, die chinesische Community mit wirtschaftlichen und kulturellen Informationen zu versorgen und den Kontakt von Chinesen zu anderen Nationalitäten zu fördern. Ren stammt aus der Mandschurei und kam 1992 nach Deutschland. Er mag Frankfurt, sagt von der Stadt, sie habe "wahrscheinlich die beste Infrastruktur Europas". Chinesen wie Nichtchinesen können sich in Rens Laden nicht nur mit Sachbüchern und Belletristik aus und über das Land der Drachen versorgen, er ist auch eine Fundgrube für originelle Mitbringsel. Spielkarten etwa mit Motiven aus dem alten Peking. Damin Ren unterstützt außerdem die chinesische Sprachenschule Huayin, in der sich jeden Samstag mehr als 300 Schüler zum Unterricht treffen - auf dem Lehrplan steht übrigens auch Kalligraphie.