Bertelsmann-Studie

Kinderarmut: An den Rand gedrängt

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Deutschlandweit sind 2,8 Millionen Kinder von Armut betroffen. In Frankfurt ist der Anteil in den vergangenen fünf Jahren leicht gesunken. Grund zur Entwarnung ist das aber nicht. Besonders die Corona-Krise hat gravierende Spuren hinterlassen.

Johanna Wendel /

Am Mittwoch veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie zu Kinderarmut in Deutschland. Demnach sind rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche von Armut betroffen, das ist deutschlandweit rund jedes fünfte Kind. Die Zahl sei über die vergangenen Jahre konstant geblieben, heißt es in der Studie. 2018 schätzte der Deutsche Kinderschutzbund die Zahl mit einer eingerechneten Dunkelziffer von 1,4 Millionen auf rund 4,4 Millionen von Armut betroffene Kinder und Jugendliche. Für drei Millionen Kinder zahle der Staat Sozialleistungen. „Zählt man aber auch diejenigen Familien hinzu, die Anspruch auf Hartz IV, Kinderzuschlag oder Wohngeld haben, dies aber nicht nutzen, ist die Zahl der in Armut lebenden Kinder noch deutlich höher“, so der Kinderschutzbund.

Im hessischen Landesdurchschnitt beläuft sich der Anteil auf 3,6 Prozent und damit rund 141 000 betroffene Kinder und Jugendliche. In Frankfurt ist der Anteil im Vergleich zum Dezember 2014 von 21,5 Prozent auf 17,7 Prozent gesunken. Somit ist dort ungefähr jedes sechste Kind von Armut betroffen. Dass die Zahl in Frankfurt gesunken ist, deutet Daniel Schröder, Regionalleiter des Kinderhilfswerks Arche in Frankfurt, grundsätzlich als gutes Zeichen. „In den vergangenen Jahren wurde viel unternommen. Die flächendeckende Einführung von Schulessen war dabei ein wichtiger Schritt.“ Es werde immer mehr verstanden, dass man Maßnahmen gegen Kinderarmut auch direkt an die Schulen binden müsse, um nicht nur vereinzelt und ungeregelt Hilfen zu verteilen.

Die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion in Frankfurt Ayse Dalhoff sagte, dass im Anbetracht der Bertelsmann-Studie von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit nicht die Rede sein könne. „Hessenweit sind Kinder und Jugendliche aus armen Familien vor allem in Bezug auf Mobilität, Freizeit und soziale Teilhabe unterversorgt. Das muss in Frankfurt nicht sein“, so Dalhoff.

Situation in Frankfurt besser als in anderen hessischen Großstädten

In Darmstadt, Wiesbaden und Offenbach ist der Anteil der in Armut lebenden Kinder größer als in Frankfurt. In Darmstadt sind es aktuell 19,9 Prozent, in Wiesbaden sind es 21,4 Prozent und in Offenbach 24,5 Prozent; also fast ein Viertel der dort lebenden Kinder. 2014 lag der Anteil in Offenbach noch bei 33,9 Prozent. Gesunken waren die Zahlen in den letzten fünf Jahren jedoch überall. Am geringsten ist der Anteil der von Armut betroffenen Kinder in Fulda mit 8,6 Prozent und dem Main-Taunus-Kreis mit 8,7 Prozent. Überraschend hoch fiel der Anteil dagegen in Kassel aus: Zwischen 2014 und 2019 ist dieser von 23,2 auf 26,2 Prozent gestiegen.

Warum die Zahl in Frankfurt geringer ausfällt als in anderen hessischen Großstädten, erklärt Schröder auch durch steigende Mietpreise. „Ich vermute, dass die ärmeren Familien dadurch in die äußeren Stadtteile gedrängt werden. Sie können sich keine Wohnung leisten und die Probleme verlagern sich zunehmend in Stadtteile wie Griesheim oder die Nordweststadt sowie ins weitere Umland.“ So sei auch die gesunkene Zahl in Frankfurt alleine nicht aussagekräftig, erst die Verteilung auf die unterschiedlichen Stadtteile würde ein eindeutiges Bild der Probleme zeigen, betont Schröder.

Die Corona-Krise verschlimmert die Lage der Familien

Die Corona-Krise habe in den vergangenen Monaten „ein Schlagloch mit existenziell gravierenden Auswüchsen“ hinterlassen, die aktuell noch nicht absehbar seien, erläutert Schröder. „Wir kennen einige Väter, die als Taxifahrer am Flughafen arbeiten. Sie sind eine der letzten Berufsgruppen, die wieder voll ins Arbeitsleben zurückkehren können.“ Schröder befürchtet, dass sich die Situation, auch mit einer eventuellen zweiten Welle weiterhin verschlechtern wird.

Der Gründer der Arche, Bernd Siggelkow, fand für die Ergebnisse der Studie auf gesamtdeutsche Sicht vor allem drastische Worte. Der neueste Armutsbericht der Bertelsmann Stiftung sei „ein Schlag ins Genick“ für alle sozial benachteiligten Familien in Deutschland. Auch die Corona-Krise habe gezeigt, dass gerade die Kinder, die in die Mitte unserer Gesellschaft gehörten, an den Rand gedrängt worden seien. „Immer mehr Kinder, immer mehr Familien stürzen in Armut und nichts wird dagegen getan“, so Siggelkow. „Das Homeschooling hat bei ihnen häufig versagt, da niemand da war, der sie unterstützt hat.“ Dem pflichtet auch Daniel Schröder bei: Kinder, die während der Corona-Krise zu Hause schulisch unterstützt wurden, gingen stärker aus der Krise heraus. „Da kommen gerade noch einmal viele Defizite hoch, weil das Homeschooling nicht funktioniert hat. Die Schere zwischen Arm und Reich wird noch größer. Und dabei geht es nicht nur um Finanzielles, sondern um die Unterstützung, die man zu Hause bekommt“, sagt Schröder.

Um den Kindern und ihren Eltern während dieser belastenden Zeit ein wenig Entspannung und Abwechslung zu bieten, hat die Arche Frankfurt einige Erholungsangebote geschaffen, in die bewusst die ganze Familie eingebunden wird. „Von Montag bis Freitag fahren wir zu einer Holzhütte und betreuen die Kinder, während die Eltern mal in Ruhe durchatmen können. Es ist sehr wichtig, dass alle mal raus aus der engen Wohnung kommen.“ Während solche Fahrten in den vergangenen Jahren noch mit einer geringen Eigenbeteiligung der Familien verbunden war, verzichtet die Arche in der Corona-Zeit vollständig darauf und finanziert diese alleine durch Spenden. Für die Kinder werden zudem Lerncamps eingerichtet und regelmäßige Ausflüge in die Natur mit Lagefeuern organisiert.

Johanna Wendel
Johanna Wendel
Jahrgang 1993, Technikjournalismus-Studium an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, seit Januar 2019 beim Journal Frankfurt.
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