„Wir kommen aus Providence, Rhode Island und wussten nicht, was uns hier in Deutschland erwartet“, zeigte sich Sänger/Texter Ben Knox Miller beim Brotfabrik-Konzert diese Woche total überrascht, über die mehr als positiven Reaktionen auf seine Musik. Ok – der Club war nicht gerade brechend voll (um es nett auszudrücken) – ein schwüler Sommerabend in der Stadt, eine Band, deren Name so bekannt noch nicht ist, aber tatsächlich schon einige Vorschusslorbeeren bekommen hat. Am Abend vorm Gastspiel in Frankfurt-Hausen war das Trio noch im Londoner Hyde Park aufgetreten. Da stand der Star der Veranstaltung andächtig lauschend an der Bühnenseite und ließ es sich nicht nehmen, seinen Landsleuten hinterher seine Begeisterung über ihr Set kund zu tun. Man stelle sich nur mal vor – The Boss, begleitet von The Low Anthem – eine musikalische Sternstunde der ganz besonderen Art wäre perfekt. Aber ehrlich: The Low Anthem braucht keinen Bruce Springsteen.
Ben Knox Miller ist ein Sänger der vielen Facetten. Wenn er Falsett singt, klingt es wie Aaron Neville zu seligen Meters-Zeiten, noch vollkommen unverfälscht ohne nerviges Tremolo. Im nächsten Moment meint man Bob Dylan zu hören – ohne Polypen allerdings. Andere hören – wenn´s knarziger wird – Tom Waits heraus. Eine beachtliche Bandbreite. Zudem sind er und seine beiden Mitstreiter Jeff Prystowsky (eigentlich Kontrabassist) und Jocie Adams (vor allem Klarinettistin) Multiinstrumentalisten – jeder Song bekommt was er verlangt – ein Bäumchen wechsel Dich-Spiel mit den Instrumenten: Akustik- und E-Gitarren, E-Bass, Schlagzeug, Kontrabass, Klarinette und on top of it einer Pump Organ (bei der Eingangsmeditation wünschte man sich, dass jemand Nähmaschinenöl hätte beisteuern können – denn die Pedale drohten das schöne, atmosphärische Intro zu übertönen, waren letztlich aber nur eins von vielen Indizien einer lebedigen, atmenden Musik), ein Althorn und ein Schwebezustände produzierendes Instrument namens Crotales. Was wie selbst gebaut aussah mit unterschiedlich großen, wie bei einem Vibraphon angeordnetem Metall, ist tatsächlich ein altes Orchesterintrument, das meist – so es zum Einsatz kommt – nicht sichtbar in den letzten Reihen untergeht, dort mit Klöpeln (Holz oder Filz) gespielt wird, hier aber mit dem Geigenbogen angestrichen wird. Antike Zimbeln, aus kleinen gestimmten Bronze- oder Messingscheiben. Wunderschön.
Was in diesem Line up für Musik entsteht, ist schwer in Worte zu fassen. Immer wieder fällt auch der Begriff Gospel neben Folk und – bedingt – Americana. Jeff kommt aus dem Jazz, Jocie hat Klassikerfahrung. Klar hat das Ganze auch den Blues. Neue Songs, die aus Altem entstehen, viel gute Vibes, Folk als Kunstform mit Gospeleinflüssen, Musik, die noch Musik ist und nicht nur eine Anzeige in einem Magazin ohne Inhalte und Hintergründe und die sich am besten per Mundpropaganda weiter verbreiten sollte – so helfen die Musik mit ihrer Eigenwahrnehmung potentiellen Fans, dem Phänomen Low Anthem näher zu kommen. Janis Elko, Frankfurter Singer/Songwriterin, die aus New Jersey stammt, spielte Support in der Brotfabrik und war nicht zuletzt auch von der literarischen Qualität der Texte begeistert, die voller – auch biblischer – Metaphern wohl den Weg zu einer eigenen Spiritualität beschreiben und das ganz sicher nicht ohne Selbstironie. Und wenn dann das neue Album noch „Oh My God, Charlie Darwin", werden wohl auch Natur, Evolutionsbiologie und die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl neuen Betrachtungsweisen unterzogen.
Wer sich so tief in die Materie nicht verstricken mag, kann indes die Musik einfach ganz ohne Assoziations- und Interpretationswut genießen und sich an ihrer Schönheit berauschen.
P.S.: Beim Zusammenspiel von Horn und Klarinette kamen tatsächlich alpenländische Gefühle auf, auch der dreistimmige Gesang hatte mitunter was von dieser Stimmung. Ein absurder Gedanke, nur weil wir deutsche Volksmusik nur im Musikantenstadl sehen? Mitnichten – denn selbst in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz gibt es kleine Täler, wo noch unverfälscht Musik gemacht wird. Und da gäbe es auch Entdeckungen zu machen, die allerdings kein deutscher Popmusiker wirklich aufgreift, um sie ähnlich wie Low Anthem zu Neuem zu gestalten. Schade eigentlich.
Übrigens: Wer The Low Anthem verpasst hat, kann sie am 18.9. wieder in der Brotfabrik erleben.