Manchmal versucht man zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Nur all zu gerne hätte ich auch die Lesung von Willy Vlautin, Folkmusiker und Bestsellerautor („Motel Life", „Northline“), in der Brotfabrik gesehen während ein Stündchen später The Kills im Mousonturm angesetzt waren. Zumal als Sprecherin der deutschen Übersetzungen Leslie Malton engagiert wurde, die zuletzt mit der Frankfurter Jazzmusikerin Petra Woisetschläger und ihrem Lebenspartner Felix von Manteuffel unter der Regie von Marlene Breuer eine wunderbare musikalische Lesung von Mendelssohn-Briefen realisiert hatte. Und das ganze Team wollte sich an diesem Abend treffen. Also fragte ich den Promoter, gibt es denn bei The Kills einen Support, sprich kann ich da auch später aufschlagen... Nein, den gäbe es nicht, aber man wünsche sich ein regionales Vorprogramm. Also gab ich da einen Tipp, denn der Musikredakteur eines Stadtmagazins soll sich schon auch aktiv in die Szene einmischen, Impulse geben, Kontakte machen. Und so ergab es sich, dass unserer liebster ehemalige Shoegazer und ganz spezielle Songwriter Boo Hoo, übrigens ein erklärter Kills-Fan (manchmal passt´s ja dann auch wirklich), zu seinem Mousonturm-Debüt kam und sich bestens aus der Affäre zog. Klar, bei leisen Supports gibt es immer einen gewissen Geräuschpegel aus dem Publikum, aber insgesamt wurde Boo Hoo bestens aufgenommen. Und wo ich das gerade erzähle, ist auch, klar, dass ich mich letztlich für den Mousonturm entschieden hatte. Schließlich ist es störend, mitten in einer Lesung den Saal zu verlassen.
Was ich verpasst, brachte Petra Woisetschläger am Tag danach auf folgenden Nenner: „Gestern abend bei Willy Vlautin und Leslie war es wirklich wundervoll. Er spielte und trug aus seinem Roman vor, ein abgründiges, morbides Werk, sein Kollege spielte auch Gitarre und Leslie trug die deutschen Passagen vor. Es war ein unglaublich emotionaler, ruhiger Abend, an dem man sich nach ein paar Minuten in irgendeiner gottverlassenen Stadt in Amerika wähnte und die Zeit vergaß. Wir waren danach alle noch unten was trinken und schade, daß Du nicht konntest!!! Ein unglaublicher Mensch, dieser Willy..... “ Schniff, also definitiv was verpasst. Aber you can´t have it all. Was ich dafür erlebt habe, war ein Duo, das sich tatsächlich als eine echte Alternative zu den White Stripes heraus stellt. Die Drums kommen bei ihnen aus zwei Sequencern. Beide Kills singen, Jamie spielt Gitarre und Alison unterstützt ihn gelegentlich auch auf den Saiten.
„The Kills sind eine Art Roadmovie. Sehr romantisch und sehr idealistisch, wie Bonnie und Clyde in einer Band“, sagen die zwei ehemaligen Kunststudenten über ihren Act. Und dass sie sich in ihren Pop Punk Bands gelangweilt hätten und nach Alternativen suchten. Aber wie die eigenen Obsessionen, Velvet Underground und 70’s Punk von der Themse und vom Hudson in neue Formen gießen? Ihr „something stripped-down“-Konzept ging schnell auf. Und selbst der folgende Anspruch konnte locker umgesetzt werden. Sexy sollte die Musik sein, sinnlich und alles andere als schüchtern. Genau so präsentierten sich VV und Hotel – so ihre Bühnennamen – im Mousonturm. „Das klingt viel fetter als auf CD“, meinte Boo Hoo dazu. Weniger hibbelig und Fußballstadion-kompatibel als die White Stripes, sind die Kills hart und laut und viel, viel erdiger. Es sind teils verschleppte, auch schwere Beats, eine Art Electro-Boogie oder auch rauer, roher 21st Century Blues. Trashig, aber nicht uncharmant dabei. Sogar in Passagen catchy und – ja, doch – auch Pop, aber eben viel Körper, Körperlichkeit. Kein Zweifel – das ist Rock’n’Roll im ursprünglichsten Sinne des Wortes – nicht nur weil Alison spuckt wie ein Kerl. Die genialen Cramps kommen Klaus und mir in den Sinn. Dank eines mächtigen Gitarrenriffs The Kinks. Oder auch The Who in ihrer wildesten Phase.
Für ein paar Songs bilden die beiden Mikrophonstative im tief roten Gegenlicht eine Choreographie – mit der Symbolkraft von gekreuzten Waffen. Das ließ sich vieles dazu finden in der Mythologie. Aber belassen wir´s für heute dabei: auch das war irgendwie sehr sexy.