Studentenproteste

Favorisieren Teilen Teilen

Alicia Lindhoff /

balkonquer
Am Montag hat der große Bildungsstreik begonnen. In ganz Europa besetzen Studenten ihre Universitäten, um gegen Leistungsdruck, Ökonomisierung der Bildung, Studiengebühren und unsoziale Zulassungsbedingungen zu protestieren. Zum Auftakt fand auf dem Campus Westend eine Studenten-Vollversammlung statt. Ich war da.

Schon einige hundert Meter vor dem Ziel wummern mir Elektrobässe entgegen. Ein Bekannter, der meinen Weg kreuzt, wünscht mir viel Spaß auf der Party. Wieso Party?
Hatten die Kritiker doch Recht? Machen die faulen Studenten aus dem Ganzen eine große Sause und scheren sich in Wirklichkeit nicht um die Politik? Wir werden sehen.

campusobenquer
Der gesamte Campus ist voller Studenten, die aussehen, wie Studenten auszusehen haben. Sie tragen ausgelatschte Turnschuhe und riesige Schals. Viele rauchen selbstgedrehte Zigaretten. Aus der Rolle fällt da nur die Gruppe geschniegelter junger Herren in Jackets und glänzenden Schuhen, die sich auf ihrem Weg vom „House of Finance“ in die Mensa einen Weg durch die Menge bahnt. Sie scheinen sich über ihre protestierenden Kommilitonen zu amüsieren. Die ihrerseits haben für die Jung-Yuppies nur abschätzige Blicke übrig. Uni, der Mikrokosmos der Gesellschaft. Jemand, der später mal ein wichtiger Manager sein will, kann sich nicht mit Streiks identifizieren und Geisteswissenschaftler haben in der Regel ein natürliches Misstrauen gegen alles, was nach Kapitalismus riecht.
bannerquer
Ich frage einen der Umstehenden, was hier jetzt passiert. „Wird jemand reden? Gehen wir irgendwohin?“ Er weiß es auch nicht, „das weiß glaub ich niemand so genau, das ist meistens so bei diesen Veranstaltungen.“ Wir warten. Dann pustet jemand in ein Mikrofon.

rednerinhochIch versuche auszumachen, wo sich die Redner befinden, ergattere einen Platz ganz vorne. Nadia Sergan, die Sprecherin des Asta begrüßt erstmal eine Dame, die als eine Art Botschafterin der Studenten im Iran fungiert. Sie erzählt von Demonstranten, die verhaftet werden, im Gefängnis Folter oder sogar Vergewaltigungen überstehen müssen. Sie erzählt, dass die religiösen Hardliner männliche und weibliche Studenten trennen will und auch von dem jungen Mann, der zusammengeschlagen wurde, nur weil er sich auf dem Campus mit seiner Verlobten unterhielt. Alle sind etwas betreten. Im Vergleich zu den Verhältnissen im Iran kommt es einem fast ein wenig pingelig vor, gegen volle Hörsäle und Studiengebühren zu kämpfen. Die Frau scheint das aber nicht so zu sehen, sie bedankt sich für die Anteilnahme und ruft zu Solidarität mit den Studenten aller Länder, vor allem aber mit denen im Iran auf. Sie bekommt viel Beifall.

treppequer
Die nächsten Redebeiträge befassen sich sehr fundiert mit den Missständen an der Goethe-Uni und dem ganzen internationalisierten Hochschulsystem. Neben Skurrilitäten (was hat der Vorsitzende des Vereins für die Bewahrung ostpreußischen Grundbesitzes im Hochschulrat der Goethe-Uni zu suchen?) wird hierbei aber vor allem eines klar:Wenn ab heute die Studenten ihre Uni besetzen, dann haben sie ganz unterschiedliche Motive dafür.
Viele hier sind mit dem ganzen System unzufrieden. Für sie ist das große Übel die Neoliberalisierung unserer Gesellschaft. Leistungsdruck, Stiftungsuniversitäten und Bachelor sehen sie nur als Symptome dieser Entwicklung. Der wahrscheinlich größte Teil der Anwesenden ärgert sich einfach über die persönlichen Studienbedingungen und wäre schon mit kleineren Verbesserungen wie der Abschaffung von Studiengebühren zufrieden.

Und dann gibt es die, denen es weniger um Inhalte, als ums Gefühl geht. Schon 1995 sangen Tocotronic: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein.“ Damit drückten sie eine ganz große Sehnsucht meiner Generation aus. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Idealen, nach Rebellion. Viele fragen sich: „Wofür soll man denn heute noch kämpfen?“, was natürlich eine sinnlose Frage ist, weil die Welt sicher nicht wesentlich „besser“ ist, als in den 70ern. Trotzdem: Die 68er sind mittlerweile gesetzte Herrschaften, Punk ist tot und Techno hatte nie das Zeug zu einer richtigen Jugendbewegung, weil er nicht politisch war. In solchen Zeiten ist es ein unglaubliches Gefühl, auf die Straße zu gehen und zusammen mit Tausenden „Bildung für alle“ zu rufen. Bis spät in die Nacht im Hörsaal auf Isomatten liegend, hitzige Diskussionen zu führen, während irgendwo jemand Gitarre spielt. Und gemeinsam die Türen zu verrammeln, wenn der Feind den Saal räumen will. Und jetzt, mit dem Wissen, dass gerade unzählige Gleichgesinnte in ganz Europa dasselbe tun, wird das schöne Gefühl immer größer: Zusammen gegen den Rest der Welt!
Wenn es den Protestierenden und Besetzern jetzt noch gelingt, auch inhaltlich an einem Strang zu ziehen und sich mit konstruktiven Änderungsvorschlägen Gehör zu verschaffen, dann wird daraus vielleicht sogar ein „Zusammen FÜR den Rest der Welt!“


Anzeige
Anzeige

Mehr Kultur-News

Anzeige
Anzeige

Ausgeh-Tipps

 
Anzeige
Anzeige

Kalender

Anzeige