Pflegenotstand

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Christoph Schröder /

Manchmal hängt an einer Nichtigkeit ein ganzer Rattenschwanz von Konsequenzen. Anders gesagt: Ohne sein Auto glaubt der Mensch sich heutzutage nicht nur kaum noch lebensfähig – er ist es auch nicht. Frau E. ist 59  Jahre alt und promovierte Biologin; eine kleine, leicht abgerissen aussehende Person mit ungewaschenen Haaren und nervösem Blick. Ihr wird vorgeworfen, im vergangenen Jahr im Nordend beim Ausparken ein Auto schwer beschädigt und sich anschließend aus dem Staub gemacht zu haben. Rund 2500 Euro beträgt der Schaden; drei Monate Fahrverbot hat Frau E. dafür kassiert. Und das ginge ganz und gar nicht, sagt Frau E: Sie versorgt nicht nur ihre kranke, neunzigjährige Mutter, sondern auch deren Nachbarschaft. Berufstätig ist Frau E. nicht mehr; sie lebt im Haus der Mutter und von ihren Ersparnissen. Ohne Führerschein käme da ein ganzes soziales Gefüge ins Wanken. Ganz davon abgesehen: „Ich hab’s nicht bemerkt“, behauptet die Beschuldigte. Das sei, erwidert die Richterin, aufgrund der Zeugenaussagen und des Unfallhergangs ganz und gar unglaubwürdig. „Ich weiß nicht, ob Sie sich hier einen Gefallen tun“, schiebt die Richterin nach. Frau E. ist relativ verzweifelt. Sie sei gerade aus dem Krankenhaus gekommen, sei etwas verwirrt gewesen. Die Zeugin, die den Ausparkvorgang von A bis Z beobachtet hat, belastet Frau E. schwer: Nicht nur, dass es ein lautes Knirschen gegeben habe und Frau E. mehrfach vor- und zurückgestoßen sei, um ihr verkeiltes Auto zu befreien – anschließend habe sie auch noch das Fenster heruntergekurbelt, um sich den Schaden zu betrachten und sei dann erst weggefahren. Alles, sagt Frau E. in ihrem Schlusswort, würde sie akzeptieren, „vielleicht ein paar Punkte in Flensburg“, aber kein Fahrverbot. Doch die Richterin hat keine Wahl: 30 Tagessätze à 20 Euro urteilt sie aus plus einen Entzug der Fahrerlaubnis für drei Monate. Ein ausgesprochen mildes Urteil angesichts des Schadens. Frau E. ist dennoch geknickt. Für die häusliche Versorgungslage ist das eine Katastrophe.Christoph Schröder


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