Das spontan geplante Shopping nach meinem Interview mit dem Pianisten Yuriy Sych für eine große Journal-Story über junge Talente in Franfurt fiel buchstäblich ins Wasser. Also schnell und früher als geplant die Flucht ins Foyer der Alten Oper. Komisch – ist heute noch ein klassischer Liederabend im Haus? Aber das geht ja gar nicht, denn wann immer im Großen Saal „lauter“ musiziert wird, ist der Mozartsaal (eine architektonische Planungsmeisterleistung) nicht wirklich bespielbar. Also alles Fans von Patrcia Kaas, die ich da beim Hereinströmen beobachten konnte. Ein irgendwie „ältliches“ Publikum, gut situiert um nicht zu schreiben saturiert. Nun ist die Französin ja aufgrund ihrer sympathischen Ausstrahlung und eher zurückhaltenden Art eine Künstlerin, wo selbst Ü40-Fans sich erlauben können, Papa oder Mama mitzunehmen. Aber das allein erklärt das Phänomen nicht. Ist’s der Name der aktuellen CD und Show, „Kabaret“, eine – wie sie sagt – „Hommage an die Dreißigerjahre“ und die Sängerinnen der Zeit, der den Schnitt in die Höhe trieb?
Das Bühnenbild hat Kabaret-Zitate, ist aber keineswegs plüschig oder mondän, fast schon eher sachlich. Auch steht da kein Upright-Piano oder gar eine raumfüllender Flügel, dafür eine große Videoscrean-Wand neben einer Art Showtreppe, ein großes Schlagzeug-Set, elektrischer Kontrabass (modernes Design) und für den Keyboarder ein großer DJ-Arbeitsplatz – es lebe die Transformation und die Transzendenz. Die Musiker spielen alle ihre Rollen, sind Clown oder Pantomime, bewegen sich zwischen Zirkus, Kirmes und edlem Maskenball. Die Show ist durch und durch designed. Wundervolle Bilder, ob Stummfilm- oder Film noir-Ausschnitte oder eigens produzierte, reale (ein Frauenakt) oder abstrakte Motive passend zu den Songs. Dazu eine (ganz sicher klassisch ausgebildete) Tänzerin und eine tolle Lichtregie, Requisiten, Accessories, Mode.. Hier werden alle Register gezogen, um die Song-Klassiker zu illustrieren und interpretieren. La Kaas im Pas de deux mit der Tänzerin und auf Tuchfühlung (während die Männer/Musiker nur leicht umgarnt werden). Während Grace Jones am Vorabend eine vertikaler Stange für ihre Performance brauchte, hat Partricia zwei horizontale, um sich mit ihrem Körper dazwischen zu winden während auf der Leinwand die erotische Interpretation der Aktion zu sehen ist. Dafür hat die Sängerin ihres Kostüms längst entledigt, betreibt – während wir bei der Jones Positive Vibrations erleben durften – Nabelschau, Inkredenzien einer Inszenierung, die nicht wirklich nur auf Nostalgie setzt.
Die Besetzung der Band ist geschmackvoll gewählt. Geige, Vibraphon, Sopransaxophon, Klarinette, Bassklarinette. Aber der Keyboarder schlägt den Bogen in die Gegenwart, arbeitet mit Sounds und Samples, TripHop-, Drum’n’Bass-, gar Techno light-Beats, kontrastiert den Klang des verstimmten alten Barpianos aus dem Keyboards mit schrillen Scratches vom Plattenspieler. Und die Kaas singt dazu, voluminös und aus dem nicht vorhandenen Bauch heraus. Das Publikum wundert sich nach wie vor, wo denn diese Stimme (deren Vibrato in den ausgesungenen Zeilenende nicht frei von Manirismen ist) her kommt. Da ist auf alle Fälle mehr Anspruch, als nur gepflegte Unterhaltung abzuliefern. Schade nur, dass Patricia Kaas bei aller Souveränität nicht wirklich glücklich wirkt auf der Bühne, eine eher strenge Rolle angenommen hat (oder ist es nur eine zurückhaltenden Art?), ein Hauch von Trauer und Tragik mitschwingt, man vor allem Zeilen wie „Spiel mit meinem Herzen“ oder „Das Glück kennt nur Minuten“ aufgreift und mit Patricia voll assoziiert. Sagt mir bitte, dass ich schön bin... Nur glaubt sie das hinterher auch?
Wer für das Konzert diesmal keine Karten mehr bekommen hat, für den gibt es mit dem Zusatzkonzert am 2. Dezember eine zweite Chance.