Neues Buch: 101 Frauenorte

Geballte Frankfurter Frauenpower

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Wer hätte das gedacht: Frankfurt hat eine weibliche Seite. In ihrem neuen Buch stellt die Journalistin und Kunsthistorikerin Sabine Börchers 101 Orte in der Stadt vor, die untrennbar mit Frauen verbunden sind.

Nicole Brevoord /

Selbst wenn man glaubt, Frankfurt zu kennen, kann das neue Buch der Lokaljournalistin Sabine Börchers noch faszinierende Details zum bereits gesammelten Wissen hinzufügen. „101 Frauenorte“ – ein Jahr lang hat die 49-Jährige in Büchern und Zeitungen gelesen, in Archiven gestöbert und erstaunlich unterschiedliche Plätze in Frankfurt gefunden, an denen Frauen eine Rolle spielten oder immer noch wirken. Börchers fand Geschichten, die einfach niedergeschrieben werden mussten. Bild- und Textseiten wechseln sich nun in dem ebenso handlichen wie kurzweiligen Buch ab und laden ein zu einem besonderen Stadtrundgang.

Wir treffen Sabine Börchers vor dem Dom, denn auch er ist – was uns zunächst verwundert – einer der 101 Frauenorte. Denn hier ruhen unter einer schlichten Grabplatte – direkt vor dem Korridor, der zum Altar führt, versteckt – die sterblichen Überreste der wohl ältesten Frankfurterin. Erst im Jahr 1992 wurden die Knochen und die wertvollen Grabbeigaben des mutmaßlich vierjährigen merowingischen Mädchens gefunden. Vermutlich stammt das Grab aus der Zeit zwischen 700 und 730 n.Chr. Den Schmuck, so erfährt man im Buch, kann man im Dommuseum bestaunen. Im Grab fanden sich auch die Überreste eines anderen Kindes, das in einem Bärenfell verbrannt wurde. Ja, der Fund gibt Rätsel auf.

Aber nicht nur historische Frauen, wie auch Goethes Mutter oder die ermordete Prostituierte Rosemarie Nitribitt werden in Sabine Börchers’ Buch mit den entsprechenden Orten gewürdigt, auch zeitgenössische Personen, wie Frau Schreiber vom Wurststand in der Kleinmarkthalle sind darunter oder auch Institutionen wie EVA, das evangelische Frauenbegegnungszentrum in der Saalgasse 15. „Der Treffpunkt für Frauen unterschiedlicher Konfessionen wird von zwei Pfarrerinnen geleitet, die auch lesbische Partnerschaften kirchlich segnen“, erklärt die Autorin. Man könnte ihr stundenlang zuhören bei ihren Anekdoten und Geschichten, auf die sie bei der Recherche gestoßen ist. So ist auch die Alte Nikolaikirche ein Frauenort. Man beachte die schönen Fenster! Sie wurden von der exzentrischen Künstlerin Lina von Schauroth geschaffen. Die Tochter des Bauunternehmers Philipp Holzmann muss in Frankfurt ein Hingucker gewesen sein. Gerne trug sie ein Herrenkostüm mit Bluse und Krawatte, war eine leidenschaftliche Reiterin und eben eine Künstlerin, die für die Privatkapelle der Familie Carl von Weinbergs besagte Fenster erschaffen hatte, die sie vor dem Zugriff der Nazis schützte und die später in der Alten Nikolaikirche zu neuen Ehren kamen. Schauroth starb 1970 im Alter von 95 Jahren.

Eine wundervolle Legende rankt sich auch um das Steinerne Haus. Wer vom Römerberg aus zum Café im Kunstverein geht, der entdeckt an der Ecke eine Marienfigur, genauer: die Madonna Jutta. Was heute zu sehen ist, ist eine Replik aus dem Jahr 1967. Das Original aber stammte aus dem 15. Jahrhundert. Der Handelsherr Johann von Melem ließ 1464 das Steinerne Haus errichten, seine Tochter Jutta führte nach dem Tod der Mutter den Haushalt und fand keinen Mann. Was keiner ahnte, das Herz der Patriziertochter gehörte ihrer Jugendliebe, dem Steinmetz Andreas, der leider gar nicht standesgemäß war und Frankfurt verlassen hatte. Schlussendlich gab Jutta dem Drängen des Vaters nach, der sie mit einem Kölner Kaufmann vermählen wollte und wünschte sich aber zur Hochzeit eine Madonnenfigur, die künftig da Haus schmücken und beschützen sollte. Wie es das Schicksal wollte, beauftragte der Vater just den Steinmetz Andreas mit der Arbeit. Dieser meißelte in die Madonnenfigur das Gesicht der Jutta, hinterließ sein Werk und verschwand – ohne Lohn. Jutta wollte und konnte daraufhin den Kaufmann nicht mehr ehelichen, laut der Sage heiratete sie nie. Aber Gutes soll sie getan haben, man nannte sie auch die „Madonna Jutta“. Und wer diese Geschichte in Sabine Börchers neuem Buch gelesen hat, der wird nie wieder zum Kunstverein laufen können, ohne an den Frauenort und an die unglücklich verliebte Patrizierin zu denken. Es gibt in Frankfurt eben noch viele Entdeckungen zu machen.

>>Sabine Börchers: 101 Frauenorte. Societäts Verlag, 12,80 Euro

Nicole Brevoord
Nicole Brevoord
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig
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