Beim „Music Discovery Project“ lässt sich das Electro-Pop-Duo Hundreds unter dem Motto „BeziehungsKiste“am 23. und 24.2. auf das hr-Sinfonieorchester ein – beide Termine sind ausverkauft, es gibt aber einen Livestream.
Detlef Kinsler /
Als Jon Lord, der schon im zarten Alter von fünf Jahren klassischen Unterricht bekam, 1969 sein „Concerto For Group And Orchestra“ mit Deep Purple und dem Royal Philharmonic Orchestra auf die Bühne brachte, konnte der Rock-meets-Klassik-Pionier nicht ahnen, dass noch knapp 50 Jahre später ein Projekt wie „Night Of The Proms“ alljährlich als Sensation bestaunt werden würde. Weil sich da für drei Stunden die noch immer vermeintliche Unvereinbarkeit der konträren Genres in der Wahrnehmung der Zuschauer in Wohlgefallen auflöst. Blödsinn in den Ohren jener, die nicht hierarchisch denken. Viel interessanter ist es, zu beobachten, wo sich eine Synthese wirklich anbietet. Beim Aufmarsch der Altstars in der Festhalle im Dezember war die Orchestrierung der Hits von Melanie C. oder Peter Cetera (Chicago) nur ein aufgeblasenes „Pimp My Song“ während die Supertramp-Kompositionen in den XXL-Versionen tatsächlich so interpretiert in neue Sphären vordrangen. Aber die hatten das Sinfonische schließlich schon in der Anlage.
Der Hessische Rundfunk geht andere Wege. Seit 2007 sucht der Sender das „grenzüberschreitende Musikerlebnis“, zunächst als Quasi-Live-Remix von Klassik-Klassikern wie Dvořáks „9. Sinfonie“ oder Beethovens „Fünfter“, später mit eher symbiotischem Ansatz, wenn sich wie etwa 2011 Gustav Mahler und 2raumwohnung auf Augenhöhe begegneten. Hier der Ländlerrhythmus im „Scherzo“, da der „Angel Of Germany“ mit seinem Zither-Motiv im Electro-Gewand. Da weder hr1 noch hr3, ja nicht einmal hr2 als Kulturradio der Anstalt involviert sind, sondern die Jugendwelle You FM, sind die Gäste in der jeweils zwei Mal ausverkauften Jahrhunderthalle gerne zielgruppenkompatibel wie Oliver Koletzki, Milky Chance oder Maxim. Mit künstlerisch mal mehr, mal minder stimmigem Ergebnis. Für das aktuelle Programm „BeziehungsKiste“ wurde neben dem italienischen Perkussionisten Simone Rubino das Hamburger Electro-Pop-Duo Hundreds eingeladen. Ein Glücksgriff. Aber wie passt deren minimalistischer Ansatz zur Opulenz des Orchestras?
„Die Musik von Hundreds ist in ihrer Rhythmik und Melodik genauso vielschichtig wie ein großes Orchester“, argumentiert Andreas Maul, der Chefdramaturg des hr-Sinfonieorchesters. „Da hat es sich förmlich angeboten, ihre Musik mal wirklich in ein Ensemble mit rund 100 Musikern zu packen. Beim Music Discovery Project sind wir immer auf der Suche nach spannenden Künstlern, die offen sind, sich auf ein Zusammenspiel mit unserem Orchester einzulassen.“ Wer die Geschwister Eva und Philipp Milner, die seit 2010 als Hundreds mit subtilen Songs und Soundscapes begeistern, im Dezember in der Brotfabrik erlebt hat, kann die Aussage leicht nachvollziehen.
„Als wir angerufen wurden, ob wir uns vorstellen könnten mitzumachen, mussten wir nicht lange überlegen“, erinnert sich der Pianist und Elektroniker des Duos an den Erstkontakt. „Solche Anfragen sind für uns ein großes Geschenk. Wann hat man schon die Möglichkeit, seine Stücke von einem Orchester spielen zu lassen? Das ist so wie als ob man einen Segelflieger fragt, ob er eventuell mal Lust hätte das Spaceshuttle zu fliegen.“ Auch Hundreds suchen „musikstilübergreifend“ nach Ideen. „Wir suchen wir aber ,einflusslos’, was an sich eigentlich nicht möglich ist“, erzählt Milner. „Anders gesagt: Wir setzen Scheuklappen auf und versuchen die Stilistik entstehen zu lassen, um der Musik die maximale Emotionalität zu verpassen.“ Außenstehende überraschen dann mit ihren Assoziationen und stellen Bezüge her. „Es ist es oft überraschend, welche Assoziationen zu schon Dagewesenem der Hörer hat.“
Bei den „BeziehungsKisten“ gilt es Verbindungen zu Prokofjew, Bernstein, Xenakis und den chinesischen Komponisten Tan Dun abzubilden. „Ganz ehrlich, wir waren zunächst etwas skeptisch, ob die ,West Side Story’ zu uns passen könnte, da wir nur die Gassenhauer davon kannten“, bekennt Milner. „Aber als man uns das Material, darunter die Tänze, zugeschickt hatte, war klar, dass das schön werden würde.“ Dass es auf dem aktuellen Hundreds-Album „Wilderness“ auch um Beziehungen, hier Mensch/Natur, geht, ist eher ein Zufall und eine schöne Koinzidenz. Da die Konzerte seit langen ausverkauft sind, man mit viel Glück vielleicht irgendwo noch ein restticket ergattern kann, bietet der Hessische Rundfunk einen Video-Livestream am Samstag, 24. Februar auf www.hr-sinfonieorchester.de und www.you-fm.de. Danach kann man das Konzert dort als Video-on-Demand noch mal erleben.
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt.