Wir kennen das Bild von Grace Jones mit dem Akkordeon geschultert. Doch wenn sie auf die Bühne geht, dann will sie doch lieber einen Profi an ihrer Seite. In Frankfurt übernahm den Job der ehemalige Paddy Goes To Holyhead-Mann Jürgen Köhler (www.journalportal.de meldete die kleine Sensation). Die Kritik über den furiosen Auftritt der Diva finden Sie hier im Pflasterstrand. Lesen Sie nun exklusiv im O-Ton, wie der Musiker den Abend in der Jahrhunderthalle erlebte:
„Es begann mit einer SMS am späten Montagabend: „Hi, ich brauche mal Deine Hilfe bei Grace Jones… Melde Dich bitte mal, Gruß Pit“. Drei Tage später kam die Zusage, ich werde am 25.3. mit Grace Jones in Frankfurt auf der Bühne stehen und sie bei einem Song auf dem Akkordeon begleiten. Es folgten Tage der Vorbereitung, ich wusste nur, um welchen Song es sich handelt und dass ich um 17 Uhr beim Soundcheck erscheinen soll. Also besorgte ich mir im Internet aktuelle Konzertmitschnitte von „I’ve Seen That Face Before (Libertango)“, um Tonart und Ablauf des Songs herauszufinden. Und dann: Üben, üben, auswendig lernen, üben….
Am Mittwoch lief ich pünktlich zum Soundcheck in der Jahrhunderthalle mit meinem Akkordeon ein, wurde vom örtlichen Produktionsleiter Pit Arnold dem technischen Leiter von Grace Jones vorgestellt, der mich zur Bühne begleitete, wo die Band (noch ohne die Grande Dame) bereits probte. Keyboarder Don-E verließ sofort seinen Platz und kam quer über die Bühne, um mich zu begrüßen. Wir hatten uns vor über vier Jahren auf einem Open Air in Sarajevo kennen gelernt, wo er mit Grace Jones und ich mit der Londoner Band ByeByeKuRt spielte. Mir wurde der Musical Director Charles (Keyboards) und der Rest der Band vorgestellt, dann ging es sofort los, Akkordeon einstöpseln, Soundcheck und „Libertango“ wurde eingezählt. Am Ende des Songs sah ich um mich herum nur breit grinsende Gesichter, die Backgroundsängerinnen, die am Bühnenrand auf einem Podest saßen und zuhörten, sprangen auf und applaudierten, alle waren happy (ich auch!). „Fantastic, do you wanna play it one more time?“ „No, I’m fine“. Ich hatte kaum das Akkordeon hingestellt, da kam Grace’ Sohn Paulo, der Percussionist zu mir, schüttelte mir die Hand und meinte grinsend „You’re probably the best accordion player we’ve had.“ Auch der Rest der Band kam zu mir, shake hands, „amazing!“. Soundcheck beendet, mir fällt ein Stein vom Herzen.
Rock’n’Roll ist 80 Prozent Warterei, so auch diesmal. Zwischendurch Dinner mit Teilen der Band im Backstage-Bereich. Wir unterhielten uns über den skurrilen Auftritt in Sarajevo, wo lediglich Don-E und der Gitarrist dabei waren. Wir erinnerten uns an unser Hotel, das auf einer Außenwand noch jede Menge Einschusslöcher hatte und dass wir die Stadt in den drei Tagen nicht alleine verlassen dürften, u.a. wegen der Minen, die immer noch rund um Sarajevo im Boden lagen. Und natürlich unterhielten wir uns über unser musikalisches Equipment, wie Musiker das immer tun.
Die Vorgruppe TRYBEZ schaute ich mir vom Rand der Bühne an, endlich passierte was! Danach wieder Warten… Irgendwann tauchte die Band auf, Grace Jones hatte ich immer noch nicht gesehen, aber sie war wohl inzwischen angekommen. Ich besorgte mir eine Setlist der Songs und erkannte, dass ich zum 6. Lied auf die Bühne musste. Dann die Anweisung an die Band, „She’s coming, everyone to his side of the stage!“, das Intro läuft von der CD, kurze Hektik, die Band geht auf die Bühne, Applaus aus dem Saal, der erste Song geht los, immer noch keine Grace in Sicht. Plötzlich leuchteten Stagehands mit ihren Taschenlampen auf die Bühne, Grace Jones erscheint im Dunkeln und wird zur Hebebühne begleitet und dann geht’s los….
Ich stand am Bühnenrand und zählte die Songs runter, bis ich dran war. Die Spannung stieg langsam in mir, kaum zu glauben, dass ich gleich dort auf der Bühne stehen werde! Bei „Demolition Man“ holte mich der technische Leiter heran, Startposition neben der Bühne, Grace verschwand in ihrer Umkleidekabine. Taschenlampen zeigten mir den Weg zu meinem Barhocker, ich schnallte das Akkordeon um und drehte den Lautstärkeregler auf. Dann kam Grace neu eingekleidet auf die Bühne und sagte, sie möchte ihren heutigen Gast vorstellen mit einer Geste in meine Richtung. Wow! Sie ging in einem kleinen Bogen auf mich zu, kam ganz dicht zu mir, nahm mich in den Arm und sprach weiter mit dem Publikum. Sie fragte mich leise nach meinem Namen, sprach ihn aber nicht aus (Jürgen ist auch echt schwer für englischsprachige Mitbürger). Dann ging sie ein Stück nach vorne, sagte „thank you“ zu mir, ich erwiderte „you’re welcome“, sie drehte sich daraufhin nochmals zu mir um und kam wieder zu mir, nahm mich noch mal in den Arm, fragte noch mal nach meinem Namen, den ich ihr ins Ohr flüsterte. Sie meinte übers Mikro, „We didn’t rehearse that“, ging vor und sagte mit einem Armschwenk in meine Richtung „Jürgen!“.
Die Band legte los. Gänsehaut. Was ein abgefahrener Moment! Langsam stieg ich in den Song mit meinem Akkordeon ein, ließ mich in die Musik fallen, schloss die Augen und spielte einfach. Die Band ist so brillant, dass man sich mühelos in ihr Spiel einbetten konnte, meine Aufgabe war zu solieren, meine Solo zu spielen, und die Band trug mich. Zwischendurch öffnete ich die Augen, weil ich dachte, es wäre dämlich, wenn sie jetzt neben mir steht und ich bekomme es nicht mit. Sie kam dann auch tatsächlich zu mir, tanzte mich an, ich wurde kurz nervös in meinem Spiel, dann fing ich mich wieder. Schlusssequenz, ich blickte auf zu Charles, den Keyboarder rechts von mir, der gab mir grinsend den Cue zum Schlussakkord. Applaus aus dem Saal. Akkordeon abschnallen, hinstellen und wieder leuchteten mir Taschenlampen den Weg. Unfassbar, was da gerade alles passiert war, ich hatte einen Adrenalinspiegel bis zum Mond und war unglaublich glücklich.
Nach den Zugaben verabschiedete ich mich hinter der Bühne von den Musikern. Die waren voll des Lobes „amazing“, „great job“, „thank you so much!“, nur lachende und grinsende Gesichter. Im Vorbeigehen gab mir der Musical Director Charles die Hand, bedanke sich ebenfalls und fragte, ob ich morgen in Düsseldorf auch dabei wäre. Ich verneinte, da wäre wohl jemand anderes gebucht. Er hätte gerne mich dabei, meinte er, ob ich Zeit hätte. Klar hätte ich Zeit! Er kläre das sofort mit dem Management. „See you“, freundliche Verbeugung zum Abschiedgruße. Keine 10 Minuten später stand ich im Produktionsbüro bei Olli Windprechtlinger, um meine Gage abzuholen und fragte, ob für morgen schon jemand fest gebucht wäre. „Ja ja, ich weiß, die hätten Dich gerne, die diskutieren gerade oben“. Huch, er weiß es schon. Wie schnell hat sich das denn rumgesprochen? Aber es kam kein Anruf mehr, einem weiteren Auftritt meinerseits stand wohl so einiges in finanziell-organisatorischer Hinsicht im Weg. Und schließlich gibt es ja auch den Kollegen in Düsseldorf, der auf seinen großen Auftritt mit Grace wartete…“