Mein schlechtes Gewissen war unbegründet. Als die Gruppen sich alle am Terminal 1 wieder versammeln, treffe ich auch Pfarrerin Ulrike Johanns wieder. Ich komme mit in ihr Büro und habe die Möglichkeit, noch mal allein mit ihr über die Arbeit der Kirche am Flughafen zu sprechen.
Was ist das besondere daran, eine Pfarrerin am Flughafen zu sein?
Hier passiert alles, was auf der ganzen Welt geschieht, weil sich Menschen aus der ganzen Welt hier treffen. Es gibt Todesfälle, Geburten, Abschiede und Wiedersehen nach vielen Jahren. Unsere Kirche ist mit den Kirchen auf der ganzen Welt und wir mit den Schicksalen der ganzen Welt verknüpft. Bricht irgendwo ein Schneesturm aus, kann das Hunderte Menschen am Flughafen hier betreffen. Der eine verpasst vielleicht eine Beerdigung, der andere eine Hochzeit. Wenn man hier arbeitet, kann man nicht sagen: Ghana geht mich nichts an. Jedes Land geht uns etwas an. Deswegen ist die Verknüpfung der Kirchen auch so wichtig. Einmal im Jahr treffen sich auch Vertreter aller Kirchen, dieses Mal in Sambia.
Seit wann und mit wem arbeiten sie hier am Flughafen zusammen?
Ich habe 15 Jahre lang als Krankenhauspfarrerin gearbeitet. Jetzt arbeite ich schon seit 11 Jahren als Pfarrerin am Flughafen. Nebenbei bin ich auch Supervisorin und bilde Seelsorger aus. Insgesamt hat der Lufthansa-Betreuungsdienst 350 Mitarbeiter aus 50 verschiedenen Nationen. Es gibt einen Gebetsraum für Christen, Moslems und für Juden. Doch auch die anderen Mitarbeiter am Flughafen, an den Schaltern und von den Airlines, sind in ihrer Arbeit mit seelischen Problemen der Fluggäste konfrontiert. Es gibt wenige Orte, wo so viele hilfsbereite Menschen arbeiten. Viele von ihnen hatten hier am Flughafen ihre schlimmsten und ihre schönsten Erlebnisse.
Wie kommt das?
Ich sage immer, das Leben am Flughafen ist wie ein Leben unter dem „Zoom“. Für Reisende sind häufig große Gefühle im Spiel. Hier trennen, verlieren und finden sich Menschen täglich wieder. Ich muss immer an den Film "Tatsächlich Liebe" denken. Er beginnt am Flughafen. Richard Curtis erzählt, dass er immer dorthin gehe, wenn er traurig sei. Denn es sei der Ort, an dem man Traurigkeit und Liebe am intensivsten erlebt.
Haben Sie ein Beispiel?
Ein Mann wurde von seiner Freundin am Eincheck-Schalter verlassen. Er wusste in seiner Verzweiflung nicht, wo er hin gehen sollte. Zurückfliegen oder nicht? Also blieb er ohne eine Entscheidung einfach am Flughafen sitzen – ein paar Tage lang. Dann hörte er von unserer Kirche und wendete sich an uns. Also sprach ich sehr lange mit ihm und am Ende wusste er endlich, welchen Weg er gehen wollte und flog nach Hause.
Ihre Arbeit scheint sehr bedeutend für die Gäste am Flughafen zu sein...
Die Kirche ist etwas Beständiges, was es überall auf der Welt gibt. Auch in der Fremde ist sie etwas Vertrautes, ein Ort der Heimat. Vorallem für Menschen, die hier nicht zu Hause sind und keine Freunde haben. Doch auch für die Mitarbeiter des Flughafens ist die Kirche häufig ein Ort der Zuflucht und des Abschieds. Zum Beispiel, wenn ein Arbeitskollege verstorben ist. Viele arbeiten hier schon über zehn Jahren und kommen auch bei persönlichen Problemen zu mir. Es ist wie Gemeindearbeit.