Ich war kürzlich im Flüchtlingslager am Frankfurter Flughafen. Das war keine leichte Erfahrung. Gerne hätte ich darüber etwas geschrieben, aber irgendetwas hielt mich ab. Vielleicht die Tatsache, dass mein Urteil ziemlich hart ausgefallen wäre. Vielleicht aber auch, weil ich das Gesehene lieber wieder verdrängen wollte. Nun bin ich ein zweites Mal am Flughafen, aber in anderer Mission. Die Evangelische Flughafen-Seelsorge hat Konfirmanden aus ganz Hessen eingeladen, hinter die Kulissen des Flughafens zu Blicken. Na, das klingt doch nach einem Friede-Freude-Eierkuchen-Ausflug ohne psychische Schwerbelastung. Treffpunkt ist Parkplatz P 36. Wie immer frage ich mich durch und stehe schon bald auf einem Busparkplatz in der Sonne. Es ist ruhig und entspannend, noch keiner ist da. Doch die frühsommerliche Harmonie nimmt ein jähes Ende, als eine riesige Gruppe von Jugendlichen sich ihren Weg auf den Parkplatz bahnt.
Ich laufe ihnen entgegen. Ein großer Fehler. Wie von einer riesigen Kuhherde übermannt, gerate ich fast unter die vielen Beine und werde zertrampelt. Ich lege den Rückwärtsgang ein und kann mich retten. Wir werden in Busse verfrachtet und ich setze mich neben Kundakami Cardoso aus Angola. Seit acht Jahren arbeitet er am Flughafen als Security. „Er passt heute auf mich auf“, erzählt unser Tour-Guide Julia Scharf.
Der Bus tuckert auf das Vorfeldgelände, wo die Flugzeuge parken. Alle 45 Sekunden starte und lande hier ein Flugzeug, in den Ferien sogar alle 25 Sekunden, erzählt uns Julia Scharf. 45 Millionen Menschen im Jahr fliegen von oder nach Frankfurt, damit sei der Flughafen europaweit auf Platz drei. Übrigens benutze der Flughafen Regenwasser zum Feuerlöschen und für die Toilettenspülung, sowohl ökonomisch als auch ökologisch. Ich habe mich immer gefragt, wieso die Turbinen von Flugzeugen in der Mitte so einen hypnotischen Kringel aufgezeichnet haben. Nach der Tour weiß ich es: Sie sollen Augen darstellen und damit das Flugzeug in einen riesigen Vogel verwandeln – zumindest für die kleinen Vögel, die ihm entgegen kommen. Kann gefährlich ausgehen, wie wir auf dem Hudson-River vor ein paar Monaten sehen konnten.
Wir fahren an der israelischen Airline El Al vorbei. Julias Stimme wird etwas schärfer: „Jetzt bitte nicht fotografieren. Kameras runter! Sonst nimmt sie der israelische Sicherheitsdienst euch noch Weg.“ Alles klar, man könnte sie ja nach Palästina rüberschicken. Ich sehe mich um, die meisten Jugendlichen schauen nach oben, unten, zu ihrem Sitznachbar oder in den Trinkbecher, nur nicht zum Flugzeug. Keine Sorge Julia! Kein Terrorist an Bord. „Wenn wir eine Bombenanschlagdrohung haben, heißt das in der Regel, dass nichts Schlimmes ist“, klingt ja beruhigend. „Wir hatten bisher außerdem noch keine Toten, nur Notlandungen.“ Immerhin. Kundakami Cardoso erzählt: „Wir haben wirklich viel Fehlalarm. Als der ehemalige Präsident von Polen in die Lounge wollte, hatten zwei seiner Leibwächter Waffen dabei, die sie nicht hergeben wollten. Wir holten die Polizei und anschließend noch den Chef für Sicherheit, das war ein riesiges Theater!“ Es hat lange gedauert, ihm diese kleine Anekdote zu entlocken.
Unser Guide Julia ist sehr begabt in anschaulichen Vergleichen. Einer der Flugzeughallen sei so groß, dass der ganze Eiffelturm reinpasse. Ein Jumbo wiege 394 Tonnen, das sei so schwer wie 100 Elefanten. Ich sehe vor meinem geistigen Auge eine Flugzeughalle mit Eiffelturm in Querlage und hundert Elefanten neben einem Jumbo aufgestapelt. Außerdem habe der Flughafen schon ein großes Staraufgebot zu Besuch gehabt. Hannah Montana habe für die Angestellten ein Ständchen gesungen. Naomi Campbell habe, wer hätte das gedacht, von der British Airways wegen aggressiven Verhaltens Flugverbot auf Lebenszeit bekommen. In den Flughafen dürfe sie aber wohl noch rein. Das größte Pech am Flughafen hatten George Clooney und der Dalai Lama, natürlich nicht gleichzeitig – hoffe ich zumindest. Sie blieben im Glasaufzug stecken. Die Befreiung habe bei beiden ziemlich lange gedauert. Wann hat man auch schon die Ehre, den Dalai Lama im Glaskasten zu bewundern? Wie im Star-Zoo.
Apropos Zoo. Neben den Stars besuchen auch viele Tiere den Flughafen. Wölfe, Giraffen, Waldbeeren und Erdbeeren (sagt Julia!). Der außergewöhnlichste Gast sei ein Baby-Orcawal gewesen. Ihm blühe aber nicht das selbe Schicksal wie Keiko alias Willy, sondern ein Auswilderungsprojekt. Wir fahren zum Parkplatz P36 zurück und ich verabschiede mich von meinem neuen Freund Kundakami Cardoso. Es war eine etwas zu warme, aber sehr aufschlussreiche Fahrt hinter die Kulissen von Stewardess-Lächeln und Wartehallen.