Der Kunde ist Knecht

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the luke /

 steinberg1.jpgEs ist wieder soweit: Das Wintersemester hat begonnen. Es ist wohl das teuerste Semester, das es je in Hessen gegeben hat. Etwa 750 Euro musste ich mit meinen Kommilitonen berappen, um ein weiteres halbes Jahr lang in den Genuss des Wissens und der Weisheit des aufgeklärten Abendlandes zu kommen. 750 Euro für das Gefühl, zur Bildungselite des Landes zu gehören. Johann Wolfgang Goethe persönlich schaut auf uns herab und vermittelt uns die Gewissheit, dass wir ein schweres Erbe antreten und die Zukunft des Landes in unseren Händen liegt. Da stehen wir nun, wir armen Toren, und glauben, dass uns die Uni entgegenkommt und bessere Bedingungen für das schafft, was von uns abverlangt wird, nur weil wir einmal tief in die Tasche gegriffen haben. Weit gefehlt.

Heute um 8.15 auf dem Campus Westend. Ich komme pünktlich zum ersten Seminar. Vor einem ehemaligen Kloraum des IG-Farben-Gebäudes, der 20 Personen fassen kann, lümmeln drei Kommilitoninnen herum, als wüssten sie nichts mit sich anzufangen. Ich öffne die Tür und sehe den Grund: Der Raum ist brechend voll, die Tischplätze längst belegt, die Studenten sitzen an der Wand, auf dem Boden, versperren Zugänge und Fluchtwege, die Luft ist schon verbraucht, bevor das Seminar überhaupt angefangen hat. Die Dozentin steht am anderen Ende des länglichen Raums und spricht, doch ist sie kaum zu verstehen. Sie selbst habe mit einem solchen Ansturm nicht gerechnet. Ich eile in einen Nebenraum und hole mir einen Stuhl, doch als ich wieder zurückkomme, hat sich vor dem Seminarraum eine solche Menschentraube gebildet, dass ich selbst nicht mehr durchkomme. Ein Teil des Seminars findet also bei offener Tür auf dem Flur statt. "Hier vorne ist noch Platz," sagt die Dozentin, und verweist auf dem Platz vor der Tafel. Ich nutze die Gelegenheit und freue mich, dass die Dozentin das Seminar im Stehen hält und ich ihren Stuhl haben darf.

Erfahrungsgemäß ist die erste Sitzung nur für das Organisatorische da und daher glücklicherweise verkürzt. Die Dozentin verspricht, sich bis zum nächsten Mal um einen anderen Raum zu kümmern. Doch die Aussichten dafür sind schlecht. "Trotz 500 Euro Studiengebühren haben wir immer noch nicht genug Räume," stellt sie fest und fügt hinzu: "Und noch nicht einmal richtige Tafeln." Nachdem die Institute sich mit den Studiengebühren teure Laptops und Beamer zugelegt haben, hängen in vielen Seminarräumen immer noch erbärmliche Tafeln, klapprig und schäbig, deren Fläche kaum ausreicht, um mehr als ein paar Begriffe anzuschreiben. Naja, wer braucht im 21. Jahrhundert schon Tafeln, wenn es schick animierte Powerpoint-Präsentationen gibt, die alle Sinne ansprechen, während der mündliche Vortrag lahmt, weil sich die Sprachkompetenz des Redners auf bunten Bildern ausruht? Niemand. Vor allem Geisteswissenschaftler scheinen so primitive Hilfsmittel wie "Bücher", "Stifte" und "Papier" immer weniger nötig zu haben, solange es "Wireless-Lan" gibt und das Wissen scheinbar zum Download auf die neurale Festplatte bereit steht. Die Dozentin gibt Auskunft über einen Kommentar der Uni-Leitung: "Das Tafelproblem ist uns bekannt." Das ist immerhin gut zu wissen. Aber wie man ein so prekäres Problem richtig anpackt, das bedarf anscheinend einer reiflichen Überlegung und einer sensiblen Herangehensweise. Anders lässt es sich nämlich nicht erklären, warum seit Jahren schon NICHTS passiert.

Bilanz: Spätestens jetzt scheint die Uni in Geld zu schwimmen und ist spendabel wie nie. Grundbedüfnisse wie einfache Sitzplätze an Tischen werden damit aber nicht gedeckt. Der Campus-Westend wächst zum modernsten Campus der Welt heran, während es an vernünftigen Tafeln mangelt. Die Uni vermietet Räume im IG-Farben-Gebäude an irgendwelche (gut zahlenden!) Wirtschaftsunternehmen während sich nebenan (und nicht nur dort) die Studenten stapeln. Der schöne Campus wird teuer gepflegt und gehegt, während die Bibliotheken kaum wachsen. Und wir Studenten? Wir zahlen und zahlen. Die Uni sitzt leider am längeren Hebel. Der Kunde ist Knecht.

Von "Exzellenz" und "Elite" findet man an der Goethe-Uni bislang immer noch keine Spur...


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