Das Jodeln wie auch andere Formen heimischer Volksmusik ist vielen Menschen eher suspekt. Jazzmusiker Christian Muthspiel hat einen ganz eigenen Zugang zur Volkskultur des Alpenraumes gefunden. Mit der Yodel Group präsentiert er seine Interpretation am 19.6., 17 Uhr in der Justinuskirche in Frankfurt bei Höchster Orgelsommer und spricht im interview mit dem JOURNAL FRANKFURT über seine Liebe zum Blues der Alpen.
Detlef Kinsler /
Wenn Kubaner, Brasilianer, Inder oder Afrikaner „jazzen“, ist es das Normalster der Welt, dass sie sich im reichen Fundus ihrer eigenen „Folklore“ bedienen... Zugegeben: auch sie brauchen manchmal etwas länger, nach Ausflügen in die internationale Jazzwelt „zuhause“ anzukommen. Der „Westen“ dagegen haben sich immer schon gerne auf anderen Kontinenten bedient – je exotischer je lieber. Wenn ein Dave Evans Bluegrass auf dem Deutschen Jazzfestival präsentiert, ist die Irritation, nicht nur unter Puristen, groß... Aber dass Musiker aus der GAS-Regional (Germany Austria Switzerland) auf die eigene Folk music zurück greift, ist für viele immer noch ein absolutes No go? Geschichtsbedingt? Imagebedingt? Vor allem historisch und politisch bedingt: Die Volksmusik und Volkskultur des Alpenraumes wurde von den Nazis insofern auf das Gröbste missbraucht, als sie vereinnahmt wurde und Heimat gleichgesetzt wurde mit Nationalsozialismus. Aber eigentlich war authentische Volksmusik nie die Musik der Macht, sondern die Musik der kleinen Einheiten, Regionen, Täler, Dörfer, die unter Macht und Ausbeutung durch politische und geistliche Obrigkeit litten. Einen weiteren Beitrag zum schlechten Image der Volksmusik hat natürlich die Kommerzialisierung Richtung volkstümliche (=volksDÜMMLICHE) Musik beigetragen. Wenn man sich die guten VolksmusikerInnen und SängerInnen anhört: Das ist das schiere Gegenteil von Musikantenstadel und Co. Vielleicht eine schwierige Frage, aber wären Sie ohne die familiäre Prägung, ohne Jugenderinnerungen auf alpenländische Motive für Ihre Musik gestoßen? Jede künstlerische Äußerung ist zumindest zum Teil auch biographisch. In meinem Fall und im speziellen Fall des Jodel-Projektes ganz eindeutig: Da das Musizieren und Singen von alpenländischem Liedgut ein ganz wichtiger Teil meines Aufwachsens und des familiären Miteinanders war, sind diese Lieder seit früher Kindheit in meinem Blutkreislauf. Was ist für Sie besonders reizvoll für Sie an Stuben- und Tanzbodenmusik, dem speziellen Klang der Stimmen (auch über Jodeln hinaus), der Zither, des Hackbretts und des Alphorns? Es geht bei der Yodel-Group nicht um Stuben- und Tanzbodenmusik, sondern um a-capella-Jodler, die im Original von kleineren Gesangsgruppen aber auch von Chören gesungen werden. Jodler werden nie zum Tanz gesungen und kommen aus dem Naturraum, nicht aus der Stube. Der Ursprungsort ist somit ein Gipfel, eine Almwiese, eine Felswand. Der Anlass, einen Jodler zu singen, kann Kommunikation von Alm zu Alm sein, aber auch quasi ein rituelles Besingen der Natur, der Berge. Insofern ein spiritueller Vorgang, der an Naturreligionen erinnert. Der Macht der Natur die eigene Stimme entgegensetzen… Sie vermeiden (bewusst) den Einsatz des traditionellen Instrumentariums, haben auch nicht Erika Stucky als Gast dazu gebeten (die ja viel für das internationale Image des Jodels tut), sondern „transzendieren“ die Stimmen. Immerhin haben sie kleine klassische Jazzbesetzung. Und sie haben Musikern aus unterschiedlichen Kulturen. Wichtig in diesem Zusammenhang? Wie gesagt: das traditionelle Instrumentarium beim Jodeln ist die Stimme. Und die verwende ich ganz bewusst NICHT: Um einerseits einen möglichst weiten Weg vom Original zur Bearbeitung zurücklegen zu müssen, andererseits um mittels eines gänzlich nicht-volksmusikalischen Instrumentariums die Jodler als reine melodisch-harmonische Grundlage meiner Metamorphosen zu sehen. Das verhindert zu große, von mir unerwünschte Nähe zum Original und lässt vor allem auch die übergeordnete Verbindung zu Volksmusiken in anderen Teilen der Erde erkennen. Überall, wo es Berge und somit auch natürliche Echos gibt, zeigen sich Verwandtschaften im Volksgesang. Dass meine Band mit Musikern aus den USA, Frankreich, der Schweiz und Österreich besetzt ist, hat schlicht und einfach mit der Tatsache zu tun, dass meine musikalischen Weggefährten der letzten 25 Jahre aus aller Herren Länder kommen (was symptomatisch für die Jazzszene ist) und ich mir mit der Yodelgroup ein Dreamteam zusammengestellt habe. Sie haben einmal vom Blues der Alpen gesprochen? Blues wie der Fado, der Flamenco Recital, der Rembetiko und der Klezmer auch der Blues (aber eben auch der Soul oder gar Gospel) ihrer Region sind? Harmonisch und strukturell haben Jodler und Blues frappierend viele Ähnlichkeiten. Auch atmosphärisch sind die langsamen Jodler eine Art „Lamento“, ein Innehalten und zugleich auch Beschwören der Schönheit und Flüchtigkeit des Moments. Dass viele Regionen der Erde noch ihre eigene, authentische musikalische Form und Aussage haben, pflegen und weiterentwickeln, ist ein schöner Widerpart zur ästhetischen Globalisierung der Welt. Wenn man die Kritiken so liest, scheinen viele Kollegen überrascht, dass man der alpenländischen Musik respektvoll und auf Augenhöhe begegnen kann... Viele vermuteten bis dato wohl, das ginge nur mit Ironie und als Parodie oder gar Provokation. Auch eines dieser eigentlich nicht erklärbaren Phänomene... Meine Herangehensweise an die Jodler hat gar nichts von Ironie, Parodie, Dekonstruktion oder gar Sarkasmus: Ich liebe diese Musik und mache sie mir mittels meiner Bearbeitungen und Transformationen zueigen. Dass man bei einem Projekt dieser Art zuerst einmal Parodie etc. wittert hat sicher auch damit zu tun, dass eben viele Musiker sehr leichtfertig damit umgegangen sind und umgehen. Auch bei meinen Arbeiten über Musik der Renaissance war zuerst der Respekt vor und die intensive Beschäftigung mit dem Original. Ich kann doch nicht einfach hergehen, mir etwas aus der Musikgeschichte herauspicken und ohne Vertiefung und „mir nichts dir nichts“ mit ein paar Zitaten und Scherzen über etwas Großartiges herfallen. Mir sind die vielen kabarettistischen Tendenzen in der heutigen Jazz- und Improvisationsszene eindeutig unangenehm. Humor ist etwas sehr schwieriges, vielleicht das schwierigste Thema in der Kunst überhaupt. Sich über etwas lustig zu machen ist leicht; aus sich und dem künstlerischen Material heraus lustig zu sein dagegen sehr sehr schwer.