Bildungsstätte Anne Frank zeigt Sonderausstellung

"Die Meisten würden schweigen" - Verhandlungen über den NSU-Komplex

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Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe: Jeder kennt diese Namen. Doch was ist mit ihren Opfern? Die Bildungsstätte Anne Frank zeigt eine Ausstellung zum NSU-Komplex und stellt das Leben der Opfer ins Zentrum.

Tamara Marszalkowski /

"In seiner Freizeit spielte er Fußball und Backgammon. Er war Fan des Fußballvereins Fenerbahçe Istanbul. An den Wochenenden ging er gerne tanzen." Der Mann, von dem hier die Rede ist, heißt Süleyman Taşköprü. Sein Name dürfte den wenigsten ein Begriff sein. Er ist eines der Opfer der NSU-Morde.

Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter: In der Sonderausstellung "Es sind noch zu viele Fragen offen..." widmet sich die Bildungsstätte Anne Frank den Opfern der NSU-Morde - wenn sonst nur die Täter im Mittelpunkt des öffentlichen und medialen Interesses stehen. Die Ausstellungsmacher nehmen die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen ein. Sie machen die Ermordeten greifbar.

Nachbarn beschreiben Herrn Özüdoğru als "ganz, ganz lieben Menschen", der immer zu einem Späßle bereit" gewesen sei.

Die Ausstellung ist in vier Kernteile gegliedert. Ein Teil erzählt aus dem Leben der Opfer. Die Geschichten sind aus der Wanderausstellung "Die Opfer des NSU und die Aufklärung der Verbrechen" des Nürnberger Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung e.V.. Sie zeigen Fotos der Opfer und ihrer Lieben. Sie lassen die Angehörigen zu Wort kommen, die den Menschen beschreiben, den sie verloren haben.

"Es geht uns zunächst darum, das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen anzuerkennen", sagt Oliver Fassing von der Bildungsstätte Anne Frank. Auch gehe es darum, auf institutionellen Rassismus aufmerksam zu machen. Die Ausstellungsmacher wollen auf rassistische Mechanismen in den Behörden und der Öffentlichkeit hinweisen. Die hätten befördert, dass bei den Ermittlungen und der Berichterstattung ein rechtsradikales Motiv geflissentlich ignoriert worden sei, so Fassing.

Jahrelang hätten die Angehörigen die Erfahrung machen müssen, dass Väter, Ehemänner, Söhne und Brüder verdächtigt und kriminalisiert wurden. Vorrangig ermittelte man in Richtung organisierter "Ausländerkriminalität". Die meisten Medien übernahmen unreflektiert diese Sicht und betitelten die Morde als sogenannte "Döner-Morde". Nicht nur, dass Angehörige verdächtigt wurden, wiesen sie auf mögliche rassistische Motive hin, wollte ihnen niemand Gehör geben.

Ein weiterer Teil der Ausstellung zeigt O-Töne der Angehörigen. Monitore geben Eindrücke der Demonstration "Kein 10. Opfer" wieder, die nach der Ermordung von Halit Yozgat stattfand. Dazu werden Interviews gezeigt, in denen Zeuginnen und Zeugen des Nagelbombenattentats in Köln zu Wort kommen und ein Überlebender des von Neonazis verübten Brandanschlags in Mölln 1992. Die Ausstellungsmacher wollen damit zeigen, dass eine klare Kontinuität rechter Gewalt gibt.

Ein weiterer wichtiger Teil der Ausstellung ist die Aufklärungsarbeit von NSU-Watch Hessen. Das Projekt begleitet den Untersuchungsausschuss in Wiesbaden. Die Mitglieder bemühen sich kritisch zu sein und Öffentlichkeit herzustellen. Sie twittern und protokollieren die Sitzungen. Die Protokolle sind online einsehbar. Am 20. Mai wird eine Exkursion zu einer öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses organisiert (Anmeldung nötig).

Das Rahmenprogramm ist in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen entstanden. Für die Stiftung stehen besonders die offenen Fragen im Zentrum. Was könne noch geklärt werden? "Welche Ungereimtheiten bleiben?", sagt Margret Krannich von der Stiftung. Die Schlussfolgerungen aus dem NSU-Prozess seien zentral für eine zukünftige Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Besonders vor dem Hintergrund eines zunehmenden Rechtsrucks.

"Die meisten würden schweigen", sagt Oliver Fassing, "wenn man fragen würde, wer die Namen der Opfer kennt".

>>> "Es sind noch zu viele Fragen offen..." Verhandlungen über den NSU-Komplex, April bis Juni 2016, Bildungsstätte Anne Frank e.V., Hansaallee 150. Mehr Informationen unter: www.bs-anne-frank.de


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