Am Aschermittwoch war alles vorbei

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Andreas Dosch /

herr_p2Herr P. fährt Bahn

TAG 1: Pünktlich zum Aschermittwoch erwischte ihn der Virus. Als Herr P. da so über der Toilettenschüssel hing und zwei Gläser Weißbier, einige Pfläumchen plus Restbestände des gestrigen Schweinebratens den Abfluss hinuntergehen sah, kam er zu einem Entschluss: Warum nicht das gesundheitliche Manko zum eigenen Vorteil nutzen und aktiv in die Fastenzeit einsteigen? Feste Nahrung konnte man einstweilen sowieso nicht zu sich nehmen. „Gute Idee“, dachte Herr P. und übergab sich noch einmal.
TAG 2: Der Magen grummelte noch, aber Herr P. war bereits wieder in der Lage, einen Kräutertee zu sich zu nehmen. Er verließ das Haus nicht und aß vor dem Zubettgehen einen Zwieback.
TAG 3: Die Lebensgeister kamen zurück, was man von den Nahrungsmittelvorräten nicht behaupten konnte. Also stieg Herr P. in die U-Bahn und fuhr zum Supermarkt. Hinter der Grilltheke mit dem einladenden Duft von heißem Leberkäse und frischen Grillhähnchen stand Frau Kloppenschürtz, und als sie Herrn P. das obligatorische Gammelfleischbrötchen reichen wollte, winkte der ab. „Was issen los, Herr P.?“, fragte sie ungläubig. „Diät?“ „Nein, ich faste.“ Die Fleischereifachverkäuferin schmiss sich weg vor Lachen, während Herr P. Knäckebrot, Streichkäse, allerlei Grünzeug und stilles Wasser zur Kasse trug.
TAGE 4–6: Morgens: Käsebrot. Mittags: Tomatenbrot. Abends: Käse-Tomatenbrot. Dazu Tee und stilles Wasser. An Bahnfahren war nicht zu denken.
TAGE 7–9: Herr P. zappte durch die TV-Kanäle und schaute sich eine Kochsendung nach der anderen an. Sein Magen knurrte so laut, dass die Nachbarn an die Wände klopften. Sie dachten wohl, er habe eine läufige Katze.
TAG 10: Herr P. konnte kein Knäckebrot mehr sehen, der Gedan-ke an Bio-Karotten machte ihn aggressiv, stilles Wasser trieb ihn zur Verzweiflung. Und als Johann Lafer gerade im Fernsehen einen mediterranen Lammrücken mit Barolosoße zubereitete, war es um ihn geschehen. Herr P. lief wie rasend zum Telefon, ließ sich über die Auskunft die Supermarktnummer geben und rief Frau Kloppenschürtz an den Hörer: „Hier P., drei Fleischbrötchen bitte. Bin gleich da!“ Er rannte zur U-Bahn, erreichte das Lebensmittelgeschäft, stürmte zur Metzgertheke und riss Frau Kloppenschürtz die erste Semmel aus der Hand. Gierig biss er in das reich mit totem Tier belegte Teil, kaute genüss-lich, lächelte und machte glücksversunken die Augen zu.


Erschienen im Journal Frankfurt, Ausgabe 5/2007; Illustration: Stephan Rürup


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