Schon mit Cassiber trat Alfred 23 Harth 1982 beim Deutschen Jazzfestival auf. Jetzt wurde er mit Hope erneut vom HR eingeladen und kehrt an seine alte Wirkungsstätte Frankfurt zurück. Heute lebt das Multitalent in Seoul.
Detlef Kinsler /
JOURNAL FRANKFURT: 2014 gab es ja eine Japan-Tournee mit Chris Cutler. Wurde da die Idee von Hope geboren oder gärte die schon länger in ihren Köpfen? Der Kontakt zwischen euch ist ja nie abgebrochen ... Alfred 23 Harth: Nicht in Japan, aber in London: November 2014 ehrten wir mit einer Tour Lindsay Coopers Kompositionen. Vor einem Konzert im Barbican Center trat die Festivaldirektion aus Frankfurt mit dieser Anfrage an uns heran.
In den Pressemitteilungen des Deutschen Jazzfestivals heißt es, Hope werde versuchen, das Cassiber-Konzept unter den Bedingungen der Gegenwart noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Kann man das so sagen und stimmt, was über Cassiber in den sozialen Netzwerken zu lesen ist: „ Ansatz von Cassiber war, vollständige Stücke zu improvisieren, die jedoch nicht in der Tonsprache des Free Jazz verfasst waren, sondern erkennbare melodische und rhythmische Strukturen enthielten, auch wenn diese wieder verlassen wurden“, und das, um zwischen Jazz, Punk, Rock und Neuer Musik eine neue Ästhetik zu finden? Ja, die Netzwerke haben in diesem Punkt Recht. Zum Cassiber-Konzept gehörten allerdings auch noch Christoph Anders und Heiner Goebbels, die jetzt leider nicht teilnehmen können. Aber Chris und ich, wir sind zwei von Cassiber, die heute wieder ihr Bestes geben werden, um zu prüfen, was noch machbar ist.
Sind es allein die elektronischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts, die genügen, um die Kollision der Genres fortzuschreiben oder ist da noch mehr im Spiel? Mit der Devise „Kollision der Genres“ hatte ich ehemals die Beschreibung dessen, was mir damals wichtig war, recht hoch gehängt und eigentlich schuf Cassiber damit ein neues Genre, auch bereits unter Verwendung von Elektronik: Christoph Anders spielte Cassetten ein mit selbst geloopten Tapes, Heiner seinen Synthesizer. Hope hat es heute technisch gesehen leichter (mit Laptop, Kaoss Pad, CD Scratcher, Effektgeräten etc.) und wird ebenso sein angestammtes Instrumentarium, Drums, Reeds & Blech, Gitarre, Bass einsetzen.
Die deutsch-britische Partnerschaft erfährt eine Blutauffrischung durch zwei japanische Klangforscher. Lag das für Sie, der seit fünfzehn Jahren in Korea lebt, näher als Musiker aus Europa oder Amerika dazu zu nehmen oder bringen Kazuhisa Uchihashi und Mitsuru Nasuno Dinge (auch aus ihrer Kultur?) ein, die dem Update zuträglich sind? Ich bin immer wieder in Frankfurt, bzw. arbeite ebenso hier und in Europa. Seoul ist die Heimatstadt meiner Frau, der Künstlerin Yi Soonjoo, dort sitzt das Herz meiner Familie und seit 15 Jahren liegt mein Arbeitsschwerpunkt im Pazifischen Raum, Korea, Japan, China, Kalifornien etc. Ich war fünf Jahre lang festes Mitglied in Otomo Yoshihides Ensembles, in deren anfänglicher Gruppe Ground Zero vor 20 Jahren auch Kazuhisa Uchihashi und Mitsuru Nasuno mitspielten. Mit Kazuhisa gab ich ebenfalls eine Reihe von Konzerten, formte mit ihm das Quartett The Expats in Tokio. Der asiatische Einfluss hat mich verändert, was ich nicht mehr missen möchte und ich hoffe, dass das Momente zeigt.
Wie kam es dazu, dass sie jetzt beim Deutschen Jazzfestival spielt? Ganz sicherlich kein Zufall, sondern fast eine „Zwangsläufigkeit“ zumal Sie ja schon mit Just Music 1970 dabei waren und vor allem auch 1982 mit den gerade erst gegründeten Cassiber... Wird ein Kreis geschlossen oder eine „Tradition“ (Innovation) fortgeführt? Bislang hatte ich fünf Auftritte beim Deutschen Jazzfestival. Zuletzt 1995 mit David Murray, Fred Hopkins und Dougie Bowne, mit denen ich eine Hommage an traditionelle koreanische Musik bearbeitete. 2005 bot ich dem Deutschen Jazzfestival das Otomo Yoshihide New Jazz Orchestra an, was leider da nicht zustande kam. Es hätte aber meinen persönlichen „Festivalrhythmus“ gewahrt und dem Publikum die Möglichkeit gegeben, die vor 10 Jahren „beste Bande der Welt“ (Kritikerwort) zu erleben. Nun trat allerdings überraschend dieser Auftrag zu Hope an uns heran. Das lässt doch hoffen...
Avantgarde gestern und heute – macht der Begriff noch Sinn und falls ja wie hat sich die Avantgarde über die Dekaden verändert? Avantgardebegriff als Abgrenzung zum Mainstream ja. Allerdings sind längst alle Grenzen aufgeweicht, es gibt keine „vorrausgehende“ Gruppierung. Das wurde bereits erkannt und durch freiwillig begrenzende Segmentierungen ästhetisch beantwortet, um nicht nur im Mashup zu landen. Das Cassiber der 80er tobte da noch an vorderster Front und wird dieser Tage von Vielen als beste Artrockgruppe jenes Jahrzehnts gesehen. Hope sollte diesen Status respektabel ehren - wenn auch ohne begnadeten Sänger - und auch der gegenwärtigen Kunst etwas hinzufügen.
Auch der Begriff „improvisierte Komposition“ wirkt nach wie vor für viele sicher irritierend ... Der Begriff scheint widersprüchlich. Treffender finde ich „instant composing“. Form und Strukturen werden ad hoc gebildet, um ausuferndem Material eine Segmentlinie entgegenzusetzen. Das gelingt natürlich eher übersichtlich gut, wenn Songstrukturen erimprovisiert werden.
Sie sind zwar ein Kronberger Bub, aber natürlich sind Sie in der Wahrnehmung (zumal international) auch Frankfurter. Was verbinden Sie mit der Stadt (na klar, Namen wie Heiner Goebbels, Rüdiger Carl, das Sogenannte Linksradikale Blasorchesters, Bob Degen, das Forum Improvisierender Musiker (FIM), das ja gerade eine Wiedergeburt erfuhr, die „Materialausgabe“ in der Batschkapp (what else?) ... Wie wichtig ist Frankfurt in Ihrer Biografie? Mit Heinz Sauer gab’s ein Duo „Parcours Bleu a Deux“ mit dem wir bis auf kalifornische Festivals kamen. 1984 komponierte und leitete ich die Frankfurter Stadtoper auf dem Römerberg mit etwa 250 Teilnehmern. Ende der 90er leitete ich die West Side Story fürs Frankfurter Schauspiel, mit dem ich noch einige andere kreative Berührungen hatte, auch mit Marie-Luise Thieles Ballettgruppe. Das Saxofonorchester, das Unterwasserkonzert im Stadtbad Mitte (1986), unsere Galerie waschSalon (1984-1991) mit einer William S.Burroughs- Ausstellung 1990 in den Räumen meines ehemaligen „centrum freier cunst“ (1966-68), meine Ausstellung im Dominikanerkloster 1990 (neben anderen) und viele Bands, die ich im Laufe der Zeit dort auf die Beine stellte. Richtig, als Kronberger Erdbeere wuchs ich in einer Stadt auf, die eine exzellente Lage hatte: im Osten die GI-Clubs mit Jazz, R&B und den Monks, im Süden die Darmstädter Ferienkurse, im Westen die Fluxusbewegung in Wiesbaden, im Norden die documenta in Kassel
Wie viel Bezug haben Sie noch zu Frankfurt oder sind Sie schon komplett von Seoul absorbiert und wie haben sich die Schwerpunkte Ihrer Arbeit dort verändert? Im Jahr 2000 gab ich erste Konzerte in Seoul und durch das Arbeitsstipendium am Ssamzie Space 2001 verlängerte sich dann mein Arm. Frankfurt ist ja meine Heimatstadt mit langjährigen Freunden, teilweise Familie und anderen Engagements. In Seoul kann ich gut meine künstlerische Tätigkeit weiterentwickeln, zum Teil durch Ausstellungen in großen Museen.
Die Planung will es, dass AACM beim selben Festival auftreten, allerdings am Vorabend. Also keine neuerlichen Berührungspunkte. Also konzentrieren wir uns wieder auf Hope. Was darf das Publikum vom Quartett erwarten und ist der Name eine Botschaft? „Die Hoffnung“ ist ja ein schöner, selbstredender Name. Allerdings bin ich sehr vom diesjährigen Festivalprogramm insgesamt angetan. In den frühen Jahren verehrte ich z.B. das AACM mit allen seinen Implikationen innig. Auf diesem Boden ist soviel gewachsen und was Hope anbetrifft, werden wir sehen & hören - ich kann nichts versprechen. Aber Unsicherheit & Risiko waren schon immer beste Vektoren für Entwicklung. Das Interview führte Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt.