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Foto: AdobeStock/Mathias Weil
Foto: AdobeStock/Mathias Weil

Zwangsräumungen in Frankfurt

„Wir hatten nur noch Selbstmordgedanken“

Zwangsräumungen sind in Frankfurt keine Seltenheit. Oftmals gehen dieser Maßnahme langwierige und für die Betroffenen belastende Zeiten voraus.
Laut aktuellen Zahlen der Stadt gab es im vergangenen Jahr 298 von insgesamt 664 Zwangsräumungen, die von Privatvermietern in Auftrag gegeben wurden; 209 von 404 wurden tatsächlich durchgeführt. Nicht immer kommt es allerdings zur Räumung, weil etwa die Betroffenen vorher umziehen können. Dass dem jedoch lange und psychisch belastende Monate oder sogar Jahre vorausgehen können, zeigt ein Fall aus dem Frankfurter Norden. „Offensichtlich ist jemand sehr an unserer Wohnung und dem kleinen Gärtchen interessiert.“

Mehr als 19 Jahre hat sie mit ihrem Mann in dem Mehrparteienhaus gewohnt, untereinander und mit dem Vermieter habe man sich „blendend“ verstanden, erzählt Gabriele Girulat im Gespräch. Doch als vor drei Jahren ältere Nachbarn verstorben und neue Mieter eingezogen seien, da habe der Haussegen schiefgehangen. Da hätten die Beschuldigungen des Vermieters angefangen, die sich vor allem um ein Rattenproblem drehen. Girulat vermutet: „Offensichtlich ist jemand sehr an unserer Wohnung und dem kleinen Gärtchen interessiert.“

Erneuter Rattenbefall – Löcher im Garten

Schon zuvor gab es mal Probleme mit Ratten, die in der Vergangenheit aber vom Vermieter und ihrem Mann noch gemeinsam angegangen worden seien. Ab Mai 2021 sei der Rattenbefall dann erneut aufgetreten und sie hätten Rattenlöcher im Garten gefunden und fotografiert. Der Vermieter habe jedoch nicht an die Existenz von den Nagetieren geglaubt, betont Girulat.

Da der Vermieter nichts unternommen habe, hätten sie auf Anraten ihres Anwaltes selbst das Ordnungsamt verständigt. Daraufhin sei eine einzelne Rattenfalle aufgestellt worden. Der Vermieter bat anschließend per Aushang vom Oktober 2021 (Kopie liegt dem Journal vor) alle Mieter um Mitteilung, falls „ungesicherte Köder“ gefunden würden: „Damit sollen gezielt Ratten angelockt werden, um sie dann zu filmen.“

Trotz Ratten in der Küche: Miete fristgerecht und vollständig weitergezahlt

Eine Abmahnung sei ebenfalls ergangen, nach der Tiere durch Essensreste auf der Terrasse angelockt würden, ergänzt Girulat und versichert, dass sie dort immer auf Sauberkeit geachtet hätten. Weil weitere Bemühungen ausgeblieben seien, hätten sie im Juli 2022 eine auf die Rattenlöcher gerichtete Wildkamera für nachts aufgestellt, um Beweise zu liefern. Ihr direkter Nachbar sei informiert gewesen und habe sein Einverständnis schriftlich gegeben. In einem Schreiben (Kopie liegt vor) forderte der Vermieter – auch mit Verweis auf eine Kamera – auf, „Übergriffe in die Privatsphäre der anderen Mieter zu unterlassen“.

Erneut schalteten sie das Ordnungsamt ein, worauf der Vermieter eine Kammerjäger-Firma beauftragt habe. „Allerdings erst nach vier Wochen“, gibt Girulat an. Zwischenzeitlich seien durch Fraßschäden in der Küche enorme Kosten entstanden. Die Firma habe bei der Stadt nach Plänen vom Rohrsystem fragen wollen, um herauszufinden, wie die Ratten vom Garten in die Küche kommen. Dazu sei es nicht gekommen: Ein Mitarbeiter habe später alle Maßnahmen aus Kostengründen zurückgenommen. Girulat mutmaßt, dass er und der Vermieter sich besser kennen würden. Die Miete hätten sie während alldem fristgerecht und vollständig weitergezahlt.

Der Vermieter glaubte offensichtlich nicht an einen Rattenbefall: In einem Schreiben (Kopie liegt vor) vom November 2023 des Anwaltes, der den Vermieter vertritt, steht: „Es gab keinen Rattenbefall im Garten.“ Die Schädlingsbekämpfer hätten die „vom Ordnungsamt angewiesene mehrwöchige Untersuchung wegen einer von den Schuldnern behaupteten „Rattenplage“ Mitte August 2023 ohne jeden Befund abgebrochen“.

„Wir waren in täglicher psychologischer Betreuung“

Ende Oktober 2022 wiederum ging laut Girulat dann die Kündigung samt Räumungsklage ein, in der der Vermieter ihnen das unerlaubte Filmen des Nachbargrundstückes vorgeworfen habe. Zur Verhandlung am 11. Mai 2023 hätten sie keine Ladung erhalten, betont sie. Nachfragen bei ihrem Anwalt und beim Gericht seien ergebnislos verlaufen. Somit hätten sie keine Gelegenheit gehabt, eine Richtigstellung vorzunehmen und ihren Nachbarn als Zeuge anhören zu lassen.

Die Räumung wurde vom Gericht für den 4. Oktober 2023 beschlossen, eine Berufung nicht zugelassen. Allerdings konnte ihr Anwalt die Räumung bis 10. Januar 2024 aufschieben. Sie beriefen sich dabei auf eine „psychische Belastung mit suizidaler Tendenz“, was aus einer Kopie eines Amtsgerichtsbeschlusses vom Mai 2024 hervorgeht.

„Wir waren durch diese ganzen Verleumdungen völlig am Ende, konnten an nichts anderes mehr denken, hatten nur noch Selbstmordgedanken, waren beide in täglicher psychologischer Betreuung“, schildert sie. Ihr Mann leide an verschiedenen Erkrankungen und habe für gewisse Zeit stationär behandelt werden müssen. Sie vermutet, dass sich sein Zustand aufgrund der Geschehnisse weiter verschlechtert habe.

Anwaltswechsel und Gang zum Bundesgerichtshof

Enttäuscht über die unzureichende Vertretung vor Gericht wechselten sie den Anwalt, führt sie fort. Mit seiner Hilfe traten sie mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesgerichtshof (BGH). Ein Rechtsanwalt beim BGH legte darin schriftlich dar (Kopie liegt vor), dass das Frankfurter Gericht einen groben Gehörverstoß begangen habe. Der BGH ließ das Rechtsmittel jedoch nicht zu: „Der Senat stellt allein mit dem bei ihm üblichen Textbaustein fest, dass Gründe für eine Zulassung der Revision nicht gegeben seien“, heißt es in einem Schreiben des beauftragten Juristen. Einen Gang vor das Bundesverfassungsgericht lehnten sie aus Kostengründen ab.

Abermals konnten sie den Räumungstermin aufschieben auf den 21. Juni. Indes hatten sie Aussicht auf eine neue Wohnung, die allerdings erst für Januar 2025 frei sein würde, erklärt Girulat. Einen weiteren Räumungsaufschub lehnte das Amtsgericht im oben erwähnten Beschluss allerdings ab: Unter anderem könne aufgrund der ärztlichen Einschätzung nicht von suizidalen Absichten ausgegangen werden. Zudem hätten die Schuldner zwischenzeitlich genug Zeit gehabt, sich Ersatzwohnraum zu suchen.

Vor Zwangsräumung umgezogen

Ein Antrag des Gegenanwaltes (Kopie liegt vor) greift ähnliches auf und zweifelt die Selbstmordabsichten an. Was Girulat daran besonders stört, ist die Einlassung zu ihrer neuen Wohnung: „Der „Mietvertrag“ erweckt den Eindruck, lediglich aus Gefälligkeit ausgestellt worden zu sein“, heißt es dort.

Der Vollstreckungsbeamte stand später jedoch nicht vor der Tür: Noch vor dem Zwangsräumungstermin im Juni 2024 konnten sie bei einem Bekannten außerhalb Frankfurts unterkommen. Die neue Wohnung würden sie bald beziehen können. „Ohne unsere Freunde hätten wir das nicht geschafft“, fasst Girulat zusammen. Die Streitigkeiten mit ihrem alten Vermieter würden indes weitergehen. „Er wird uns jede Schraube und jeden Fussel, der übrig war, in Rechnung stellen“, befürchtet sie. Der Vermieter wollte sich auf Anfrage nicht zu den Geschehnissen äußern.
 
14. August 2024, 15.18 Uhr
tig
 
 
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