Das Konzept Schrebergarten erfährt seit einigen Jahren wieder Aufwind. Dank der Corona-Krise sind die Gärten nun begehrter und schöner als je zuvor. Ein Besuch bietet Einblick in eine Welt fernab von Gartenzwergen und Heckenspähereien.
Johanna Wendel /
Die Kleingärtnerin oder der Kleingärtner, seine Angehörigen und Gäste sind verpflichtet, alles zu vermeiden, was die Ruhe, die Ordnung oder den Frieden in der Anlage stört oder das Gemeinschaftsleben beeinträchtigt.“ So steht es in der Kleingartenverordnung der Stadt Frankfurt. Bei Kleingarten, da schwingt noch immer ein Hauch Spießigkeit mit. Doch von Feierverboten oder Heckenspähereien neugieriger Nachbarn, hat man sich schon ein ganzes Stück entfernt. Die Vorsitzende des Kleingartenvereins Marbachweg in Eschersheim, Alexandra Fege, tut, was sie tun muss, drückt aber auch mal ein Auge zu. „Lieber in der Gartenlaube schlafen, als nach einem Bier zu viel ins Auto steigen“, sagt sie – solange es nicht zur Gewohnheit werde. Bei Partys am Abend halte sich in den Schrebergärten ohnehin niemand mehr auf. Beschwerden gebe es wenige. Lediglich die Mittagsruhe genießt da noch einen besonderen Status.
„Eine Welt im Kleinen“, nennt Fege ihre Anlage. Und ja: Die Schrebergarten-Anlage wirkt wie ein kleiner, etwas beschlagener Taschenspiegel der Gesellschaft. Mittlerweile gibt es mehr junge Familien, mehr Menschen unterschiedlicher Nationen, sozialer Schichten und Interessen. Nach dem Krieg galt der Obst- und Gemüseanbau im eigenen Garten als überlebenswichtig, heute ist der Schrebergarten für manche ein Luxusobjekt, das vor allem kostbare Zeit verlangt. „Natürlich gibt es immer diejenigen, die sagen ,früher war alles besser‘, aber so wirklich spießig war diese Anlage noch nie“, sagt Fege. Sie befindet sich in ihrem elften Jahr als Obfrau der Anlage, nur ein Jahr hatte es vom ersten gemieteten Garten bis zum Vorsitz gedauert. Dass eine Frau den Posten übernahm, war damals noch eher die Ausnahme – lange trugen Obfrauen noch den Titel Obmännin. Von den Bewohnern anerkannt zu werden, das habe sich Fege auch erst verdienen müssen. „Kleingärten sind eine soziale Institution, die mit dem Engagement und dem Zusammenhalt seiner Mitglieder steht und fällt.“ Als Vorsitzende sei man dafür verantwortlich, die Grundlage dafür zu schaffen; doch auch das habe sich über die Jahre verändert. Es sei wichtig, mehr Angebote für Kinder zu schaffen, bei Feiern auf die unterschiedlichen Ernährungsweisen der Mitglieder einzugehen und immer mal Abwechslung zu bieten.
Alexandra Fege (links) ist die Vorsitzende des Kleingartenvereins Marbachweg in Eschersheim
Durch die Corona-Krise erfuhr das Konzept Kleingarten-Verein schließlich einen unerwarteten Schub. „Die Menschen haben gemerkt, was es ausmacht, wenn man sein eigenes Stück Natur hat“, sagt die Vorsitzende. Während der Pandemie seien die Gärten viel gepflegter und auch im Allgemeinen schöner geworden. „Es fällt auf, dass die Menschen in den vergangenen Monaten mehr Zeit hatten.“ Zuvor habe es Jahre gedauert, die Anzahl der freien Gärten auf Null zu bringen, mittlerweile sind alle vier Anlagen des Kleingartenvereins voll besetzt und es existiert eine mehrseitige Warteliste.
Als Familie Stenglein vor sieben Jahren in die Gartenanlage zog, mussten sie als erstes den Unrat des Vormieters aus einem übergroßen Komposthaufen beseitigen. Schicht für Schicht kamen neben einer rostigen Mistgabel und einem alten Messer auch ein Vorschlaghammer zum Vorschein. „Der Vormieter hat seinen Müll einfach nur immer wieder darauf geworfen“, lacht Christian Stenglein heute. So wie fast alle Gartenlauben, stammt auch die der Stengleins aus den 70er-Jahren; anstelle des ursprünglich unschmeichelhaftem Braunton, ist ihre aber freundlich hellblau. Nur die in die Wände eingeritzten Herzchen und Liebeserklärungen ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner verraten ihr Alter.
Das hessische Kleingartengesetz sieht vor, dass ein Drittel des Gartens als Nutzfläche, ein Drittel als Rasenfläche und ein Drittel für die feststehende Gartenlaube dienen. Stengleins Garten hat sich dabei eine charmante Wildheit bewahrt: der Mohn sprießt, die Tomatenpflanzen bahnen sich ihren Weg durch das übrige Gestrüpp, an einem krummen Apfelbaum hängen farbenfrohe Nistkästen. „Wenn eine Pflanze kaputt geht, dann können wir manchmal auch nichts dagegen tun. So ist das eben in einem Garten“, sagt Nina Stenglein. Nur der Regen, der komme in den vergangenen zwei bis drei Jahren auffällig selten, so bekomme man den Klimawandel ganz klar zu spüren. Ohne unter der Woche nach der Arbeit zum Gießen vorbeizukommen, gehe es nicht mehr. Dennoch ziehen die Stengleins den Schrebergarten einem herkömmlichen Garten vor. „Es ist nicht zu Hause. Im Hintergrund ruckelt keine Waschmaschine und es klingelt nicht an der Tür. Man vergisst die Zeit und aus zwei Stunden werden schnell fünf.“
Wenige Gehminuten von Stengleins entfernt befindet sich der Garten von Liselotte und Herbert Lindner. Eine andere Generation, ein anderer Garten: Ein Türbogen aus Pflanzenranken führt über einen akkurat gepflasterten Gehweg an in Reih und Glied bepflanzten Gemüsebeten vorbei, dahinter folgt ein gepflegter, saftig grüner Rasen. Auf die Frage, ob Schrebergärten noch typisch deutsch seien, nickt die 68-jährige Liselotte Lindner entschieden: „Sind sie immer noch. Nur eben nicht mehr so sehr wie früher einmal.“ Sie erlebte auch die Zeit als in Vereinssitzungen lautstarke Streitereien über die Grashalmlänge des Nachbarn ausbrachen. So etwas gebe es heute nicht mehr.
In alten Fotoalben aus den 80ern und 90ern sind die Lindners fast ausschließlich in ihrem Garten zu sehen: wie sie mit 20 Gästen Spanferkel grillen, ihre Neffen in einer Wassertonne baden oder beim Schwedenfeuer an Heiligabend mit der ganzen Familie und Gästen aus Portugal. „Vielleicht hatten wir die Idee für das Schwedenfeuer damals auch nur, um den Besuch aus Portugal zu beeindrucken“, lacht Frau Lindner. Für das Paar, das in wenigen Jahren seine Goldene Hochzeit feiert, haben sich ein großer Teil und viele wichtige Ereignisse ihres Lebens in der Schrebergarten-Anlage in Eschersheim abgespielt. Als Liselotte Lindner den Schrebergarten in den 70ern von ihrer Mutter erbte, rechnete sie noch nicht damit, sich eines Tages mal als Gärtnerin zu bezeichnen. Als ihre Mutter krank wurde, war der Garten ein Ruheort bevor sie ins nahegelegene Markus-Krankenhaus fuhr; an den Tagen, die sie dort mit der Familie verbrachte, war es ein liebenswertes Zuhause. Jedes ihrer Enkelkinder hat einen eigenen Obstbaum, der nach ihnen benannt ist. Vor einigen Jahren fing Liselotte Lindner zudem an zu imkern. Das verraten ein Bienenstock und eine bunte Blumenwiese – der einzige Ort im Garten, an dem etwas Wildwuchs gern gesehen ist. Vor der Wiese wurde zudem eine zweieinhalb Meter hohe Hecke angelegt, damit die Bienen auf Weghöhe nicht direkt den Vorbeilaufenden ins Gesicht fliegen. Im Verein wird eben an alles gedacht. Mittlerweile sind sie mit Herbert Lindners großem Gemüsegarten schon fast zu Selbstversorgern geworden, Fleisch kommt bei ihnen nur noch selten auf den Tisch. Stattdessen: bunte Zucchini, Paprika, im Winter Feldsalat aus dem Hochbeet, Rotkohl und Bohnen, die ihre Abendessen kreativ und spontan machen oder in einem mannhohen Gefrierschrank auf ihren Einsatz warten. Als die Corona-Regelungen gelockert wurden, war der erste Ort, an dem sich Liselotte Lindners Frauenstammtisch treffen konnte, der Schrebergarten – mit frischer Luft und Mindestabstand.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 08/2020 des JOURNAL FRANKFURT erschienen.