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Rosl Arnsberg führt das Werk ihres Mannes weiter
An der Wand über dem geblümten Polstersessel, in den sich selbst ein intellektueller Vielarbeiter wie Paul Arnsberg hin und wieder gesetzt haben mag, hängt ein Porträt des einstigen israelischen Außenministers Mosche Dajan, sein linkes Auge bedeckt von der legendären Augenklappe. Daneben hängt Golda Meir, gezeichnet von Günter Grass. ''Ein Geschenk von Walter Hesselbach'', sagt Rosl Arnsberg, Paul Arnsbergs Witwe. Das Bild zeigt das Gesicht der einstigen israelischen Premierministerin im Anschnitt. Auf dem Schreibtisch, der wie das gesamte Mobiliar des Büros den 50-er Jahren entstammt, steht ein Schwarzweißfoto. Es zeigt Paul Arnsberg: Ein Gesicht im Halbprofil, leicht geneigt, mit wenigen, markanten Falten, auf der Nase ruht eine dicke schwarze Hornbrille. Am 10. Dezember wird es dreißig Jahre her sein, dass der Frankfurter Jurist, Publizist, Historiker und Judentumsforscher starb. Sucht man seine Witwe Rosl auf, eine feine ältere Frau mit kräftigem silbergrauem Haar, hat man jedoch das Gefühl, als ob sein Büro, ja die ganze Wohnung im Frankfurter Westend noch immer belebt sei von ihm. Es ist, als sei die Zeit stehen geblieben. Und so passt es, wenn Rosl Arnsberg sagt: ''Ich lebe hier so, als wenn er neben mir wäre''.
Wie fanden beide zueinander - er ein Frankfurter, sie eine Berlinerin? Als die jüdischen Geschäfte von den Nationalsozialisten boykottiert wurden, fasste Rosl Arnsberg, die in Berlin-Charlottenburg als siebtes von acht Kindern zur Welt kam, den Entschluss, auszuwandern. Sie war 25 Jahre alt, durchlief gerade eine Lehre zur Modistin und arbeitete in einem kleinen russisch-jüdischen Hut-Atelier nahe des ''KadeWe''. Eines Abends marschierten die Nazis über den Kurfürstenplatz, grölten: ''Und wenn das Judenblut vom Messer spritzt...'' Da war für Rosl Arnsberg klar: ''Ich wollte nach Palästina auswandern''. Ihre älteste Schwester, verheiratet mit dem bekannten Zionisten Leo Schöner, ging bereits 1929 ins gelobte Land, und glücklicherweise überlebte die gesamte Familie den Holocaust, da alle rechtzeitig Deutschland verlassen konnten. Rosl Arnsberg ließ sich über Marseille einschiffen. Tel Aviv war damals noch ''so klein, man hat fast jeden Einwanderer zu Gesicht bekommen''. Sie erinnert all die Ärzte und Anwälte, von denen viele ''total umsattelten'', sich gar als Hühnerfarmer selbstständig machten. Ihr Schwager hatte eine Papierfabrikation und eine Filiale in Kairo. ''Damals war noch alles in Ordnung'', sagt sie, ''man konnte noch ganz normal mit den Palästinensern kommunizieren''.
Sie führte den Haushalt von Schwager und Schwester, als ein ägyptischer Vertreter seinen Besuch ankündigte: ''Damals traf man sich zu so etwas samstags im Caféhaus am Meer''. Rosl Arnsberg kam mitsamt ihren Neffen und Nichten hinzu - der ägyptische Vertreter war niemand anderer als ihr späterer Mann. Paul Arnsberg, der in Marburg Jura studierte und in Gießen promovierte, der schon in Deutschland ein bekannter Zionist war und Jugendgruppen leitete, war rechtzeitig vor den Nazis gewarnt worden. Rosl Arnsberg beeindruckte vor allem sein Mut. Sie erzählt vom Boykott der Nationalsozialisten, und dass sich ihr Mann mit einem Freund solidarisch vor eines der attackierten Frankfurter jüdischen Geschäfte gestellt habe. Auch sein ausgeprägter Intellekt hat sie beeindruckt: ''Ein Mann, der mir gefallen wollte, musste mehr sein als ich. Ich musste zu ihm hinaufschauen können''. Drei Töchter und einen Sohn brachte sie in Israel zur Welt, lebte als Ehefrau und Mutter. Ihr Mann schrieb derweil für den Jewish Chronicle und für andere deutsch- und englischsprachige zionistische Zeitungen. Seine Themen: Handel, Einwanderungsfragen, die palästinensische Entwicklung. Rosl Arnsberg holt einen dicken Ordner hervor mit Ausgaben der Wochenzeitschrift Emeth ('Die Wahrheit'), dem offiziellen Organ der Zionistischen Bewegung. Sie blättert nach der Ausgabe vom 3. November 1950, jener Nummer, in der sich ihr Mann bereits offen für das Aufnehmen von Beziehungen mit Deutschland aussprach. Paul Arnsberg war Chefredakteur. ''Vor allem die deutschen Auswanderer lasen die 'Emeth' mit Wonne'', sagt sie. Ihr Mann vertrieb auch Bücher und Schreibartikel, hatte in allen kleinen Orten Buch- und Zeitungsgeschäfte.
1958 ging das Paar zurück nach Deutschland, der Wiedergutmachungsansprüche wegen. In Frankfurt entstanden Werke wie ''Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution'' oder ''Die Jüdischen Gemeinden in Hessen''. Noch heute stapeln und reihen sich Bücher, Unterlagen und Zeitungsordner in Regalen und Schränken. Vieles hat Rosl Arnsberg weggegeben, es lagert im Keller des Jüdischen Museums. Als ihr Mann 73 Jahre alt war, schlug ihm sein bester Freund vor, die Geschichte der Frankfurter Juden aufzuschreiben. Der Bankier Walter Hesselbach, ebenfalls ein enger Freund, machte ihm Mut, gründete ein hochkarätiges Kuratorium mit Arno Lustiger und dem damaligen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann. Arnsbergs schärfste Kritikerin war stets seine Frau. Sie las die Manuskripte als erste. Gemeinsam träumten beide den Traum, bald wieder in Israel zu leben. Zuvor aber wollte Paul Arnsberg noch ein Buch über jüdische Stifter und Mäzene in Frankfurt schreiben - vier Frankfurter Stiftungen jüdischen Ursprungs verdanken ihm ihre Wiederbelebung -, doch dazu kam es nicht mehr. 1978 starb Paul Arnsberg, wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag. Seine Frau übernahm die Vorsitze aller vier jüdischen Stiftungen. Auch jenen der Moses Jachiel Kirchheim'schen Stiftung, die dafür gesorgt hat, dass Arnsbergs ursprüngliches Vorhaben nun doch noch vom Autor Hans Otto Schembs realisiert werden konnte.
Dass sie seit dem Tod ihres Mannes ein anderes Leben führt - eines, in dem sie sich selbst zu Worte meldet - hätte Rosl Arnsberg nie für möglich gehalten. ''Ich war doch immer nur neben ihm'', sagt sie. Ihre erste öffentliche Rede hielt sie zur Verleihung der Goethe-Plakette an ihren Mann. Sie hat durchgesetzt, dass man ihm die Auszeichnung - entgegen der Regel - post mortem verlieh. Begraben wurde Pauls Arnsberg auf dem alten jüdischen Friedhof Nachlat Yzhak in Tel Aviv. Seine Frau ist in Frankfurt geblieben. Sie sagt: ''Das Wort Heimat hat sich verwischt. Wir Juden sind so weit verstreut über die Welt und ich, ich bin zuhause, wo mein Mann einmal war''.
Autorin: Annette Wollenhaupt, Quelle: PIA/Stadt Frankfurt
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