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Polizeigewalt vs. Gewalt gegen die Polizei

Cop Culture

NSU 2.0, rechtsradikale Chats, unverhältnismäßiger Gewalteinsatz: In der hessischen Polizei jagt derzeit ein Skandal den nächsten. Über eine Institution, die mit ihrem Selbstverständnis zu kämpfen hat.
Gerhard Bereswill ist ein beherrschter Mann. Der Polizeipräsident strahlt Ruhe und Bodenständigkeit aus, ganz gleich, wonach man ihn fragt. Das muss er auch, erlebte die Frankfurter Polizei unter seiner Leitung doch einen der größten Skandale der vergangenen Jahre. Im Dezember 2018 wurde bekannt, dass sechs Beamte und Beamtinnen des 1. Polizeireviers in einem Whatsapp-Chat rechtsradikale Nachrichten ausgetauscht haben. Die gleiche Gruppe wird auch verdächtigt, mehrere Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz geschickt zu haben. Unterschrieben waren die Briefe, in denen unter anderem mit der Ermordung von Basay-Yildiz’ Tochter gedroht wurde, mit „NSU 2.0“. In Anspielung auf die NSU-Prozesse, während derer die Anwältin mehrere Opferfamilien vertreten hatte. Anklage wurde bisher nicht erhoben. Es blieb nicht bei dem Frankfurter Fall, inzwischen wird gegen 28 hessische Polizisten und Polizistinnen wegen Rechtsextremismusverdachts ermittelt.

Dennoch sprechen Innenministerium und Polizeipräsidium nach wie vor von Einzelfällen, die hessische Polizei habe kein strukturelles, geschweige denn ein Neonazi-Problem. Informationen zu den Ermittlungen dringen kaum an die Öffentlichkeit, das Vertrauen in die Institution Polizei wurde nachhaltig erschüttert. Der PP, wie Gerhard Bereswill von seinem Team genannt wird, findet den pauschalen Generalverdacht, unter den die Polizei aktuell gestellt wird, „unsäglich“. „Viele der Kolleginnen und Kollegen waren und sind emotional getroffen und schockiert, dass es in den eigenen Reihen Personen gibt, gegen die so schwere Vorwürfe im Raum stehen“, sagt der Polizeipräsident. „Wenn von dem 1. Revier als ‚Nazirevier‘ gesprochen wird, ist das natürlich bitter für all die Kolleginnen und Kollegen, die nicht in die Vorfälle involviert waren, aber dennoch weiterhin dort arbeiten und rund um die Uhr versuchen, der Gesellschaft zu helfen.“ Auch ihm selbst gehen die Vorwürfe „unter die Haut“, auch jetzt noch, Monate später: „Es ist noch immer ein Thema für mich und uns alle dahingehend, dass wir uns seitdem mit verschiedenen Fragen beschäftigen müssen. Was ist da passiert? Wieso ist dieser Vorfall aufgetreten? Wie muss man damit umgehen? Was kann man tun? Was sind passende und richtige Präventionsmaßnahmen, um so
etwas in Zukunft zu vermeiden?“




Polizeipräsident Gerhard Bereswill © Harald Schröder

„Rechtstechnokraten mit Gewaltlizenz“

Mit ähnlichen Fragen befasst sich auch Rafael Behr seit vielen Jahren. Der 61-Jährige ist Professor für Polizeiwissenschaften mit den Schwerpunkten Kriminologie und Soziologie am Fachhochschulbereich der Polizeiakademie Hamburg und leitet die Forschungsstelle „Kultur und Sicherheit“. Als junger Mann war Behr selbst Polizist, 15 Jahre lang war er Polizeibeamter bei der hessischen Bereitschaftspolizei und im Frankfurter Polizeipräsidium. Nach seinem Psychologie- und Soziologie-Studium an der Goethe-Universität promovierte er unter der Überschrift „Cop Culture“ über die Organisationskultur und das Gewaltmonopol der Polizei. Er gilt als scharfer Kritiker des Systems, in dem er sich noch immer bewegt und dessen Nachwuchs er mitausbildet.

Einen Generalverdacht lehnt auch er ab, dennoch sieht er die Polizei in der Pflicht, sich grundlegend zu verändern. „Wir bilden Rechtstechnokraten mit Gewaltlizenz aus“, moniert Behr. „Polizistinnen und Polizisten können die ersten zehn Artikel des Grundgesetztes runterbeten, aber das macht noch keine reflektierten Personen aus, die sich in das Gegenüber einfühlen können. Wir haben da großen Nachholbedarf.“ So herrsche in der Polizei beispielsweise ein großer Mangel an Supervisionsverfahren und Reflexionsseminaren. Thematisiert werde dies nur, wenn es zu gravierenden Vorfällen kommt. Dabei könnte man einigen Problemen bereits in der Ausbildung begegnen: „Die Studierenden lernen beispielsweise kaum etwas über die Identitäre Bewegung, die Prepperszene oder rechtspopulistische Tendenzen. Wie sollen die jungen Menschen denn einem Reichsbürger argumentativ begegnen, wenn sie nichts über deren Ideologie wissen?“ Das zentrale Problem der Polizei seien nicht die Einzelfälle, also Menschen, die sich offen rechtsextrem äußern, sondern die schweigende Mehrheit, denn „das sind diejenigen, die unentschlossen in der Mitte stehen und erdulden, das Einzelne übergriffig werden. Kameradschaft ist immer noch mehr wert als Integrität. Der Code of Silence der Cop Culture verhindert Zivilcourage.“

Über den rechten Rand der Polizei ist nur wenig bekannt, abgeschottete Zirkel aufzudecken gelingt nur selten. Zudem seien geschlossene Gruppen innerhalb der Polizei, die sich laut Behr durch ein gewisses Standesgefühl und eine besondere Kameradschaft auszeichnen, nicht immer mit Rechtsextremismus in Verbindung zu bringen. Er beobachte aber, „dass das Menschenbild vieler Polizisten negativer wird und sich schneller die Bereitschaft zu Diskriminierungshandlungen zeigt. Nicht, weil dahinter zwangsläufig eine politische Haltung steht, sondern weil man glaubt, der Staat müsse sich so hart zeigen.“

Korpsgeist und Kritikresistenz

Die Polizei agiere viel zu intransparent und riegele sich zu oft hermetisch ab, ist Behr überzeugt, es sei beinahe unmöglich geworden, Kritik zu äußern. „Und das ruft die große Vertrauenskrise der Polizei hervor.“ Bestimmte Leute schäumten, wenn er sich kritisch äußere, sagt Rafael Behr. Es gebe nicht viele Stimmen in der Polizei, die sich trauen, offen zu sprechen. Er erhalte regelmäßig Anrufe von Polizistinnen und Polizisten, die ihm sagen, dass sie gemobbt werden oder sich als Opfer des Systems sehen, sich aber nicht öffentlich dazu äußern können. „Man erhält kaum Einblicke in das Innere der Polizei. Dabei sage ich ja nur, was viele denken. Das bedeutet nicht, dass die gesamte Polizei rassistisch und gewalttätig ist, aber die Problemfälle sind eben nicht nur einige schwarze Schafe.“

„Es gibt bei der Polizei eine Binnenstruktur mit einer unglaublich starken Loyalitätserwartung“, stellt auch Daniel Loick fest. Der Philosoph und Sozialwissenschaftler befasst sich schwerpunktmäßig mit der Entwicklung einer kritischen Theorie des Rechts und der Staatsgewalt. Bei einem Einsatz, so Loick, seien die Beamtinnen und Beamten darauf angewiesen, sich aufeinander verlassen zu können. Vertrauen sei mit das Wichtigste im polizeilichen Alltag, das führe aber auch zu einer Abwehr von Kritik und einem gewissen Korpsgeist. „Hinzu kommen die ausgeprägten, männlich dominierten Hierarchien, die Intransparenz und Kritikresistenz fördern“, sagt Loick. Den NSU 2.0Fall bezeichnet er als „absolut skandalös“: „Nazisymbole, die in einem Whats­app-Chat verschickt wurden, Drohungen, ein Kind zu ermorden. Der Aufschrei wäre ungleich größer, wenn es sich um Islamisten handelte – dabei sprechen wir hier von Menschen, denen das staatliche Gewaltmonopol anvertraut wurde.“

Staatsgewalt vs. kriminelle Gewalt

Doch was bedeutet es eigentlich, das Gewaltmonopol innezuhaben? Wann endet die Staatsgewalt und wann beginnt die unverhältnismäßige, die kriminelle Gewalt? In Hessen wurden diese Fragen insbesondere nach den Blockupy-Protesten von 2013 heftig diskutiert; selbst Polizistinnen und Polizisten kritisierten damals die Härte, mit der die Einsatzkräfte gegen die Demonstrierenden vorgingen, vereinzelt wurde sogar der Rücktritt des damaligen Innenministers Boris Rhein (CDU) gefordert. Doch man muss nicht so weit in der Vergangenheit zurückgehen, um auf umstrittene Polizeieinsätze zu stoßen. Nach einer Anti-Nazi-Demo in Kassel Ende Juli dieses Jahres kursierten online Videos, in denen zu sehen ist, wie Polizeibeamte mit Pfefferspray gegen die sitzenden Demonstrierenden vorgehen und zudem einige der jungen Menschen grob wegzerren. Die Videos zeigten nur Ausschnitte des Geschehens, rechtfertigte sich die Polizei im Nachhinein, die internen Ermittlungen laufen. Ähnliches wurde auch in Frankfurt nach einem Einsatz auf der Frankfurter Zeil mitgeteilt. Auch hier verbreiteten sich in den sozialen Medien Videos, auch hier kam Pfefferspray zum Einsatz, das Vorgehen der Polizei sieht in den Mitschnitten für Außenstehende brutal aus.




© Facebook/privat

Genau das sei der Knackpunkt, so Behr: „Der Begriff ‚Gewalt‘ ist das Alleinstellungsmerkmal der Polizei. Die Gewaltausübung selbst ist nach wie vor problematisch, da Außenstehende die Art, wie Polizistinnen und Polizisten Gewalt anwenden, anders bewerten als es juristisch der Fall ist. Die Staatsgewalt ist etwas anderes als die kriminelle Gewalt.“ Dennoch seien auch Polizistinnen und Polizisten nicht davor gefeit, kriminelle Gewalt anzuwenden, merkt Behr an: „Und das trifft den Nerv der Polizei. Die Polizei ist eine hochmoralische Organisation, vergleichbar mit der katholischen Kirche. In der Kirche ist Sexualität das sensible Tabuthema, bei der Polizei ist es die Gewalt. Bereits den Auszubildenden muss daher vermittelt werden: Ihr müsst fähig sein, Gewalt auszuüben, aber ihr dürft nicht gewaltaffin werden.“

Der Frankfurter Polizeipräsident sieht die eigentliche Problematik weniger bei Übergriffen, die durch seine Kolleginnen und Kollegen verübt werden, als vielmehr in der Gewalt gegen diese. Der Vorfall auf der Zeil sei ein gutes Beispiel dafür. Man nehme eine deutliche Zunahme der Gewaltbereitschaft wahr, insbesondere bei jungen, oft alkoholisierten Männern; der Polizeiberuf sei deutlich härter geworden, so Gerhard Bereswill. „Ich erinnere mich an die Zeiten vor 30, 40 Jahren, da war es nicht erforderlich, Schutzwesten zu tragen. Wir haben heute Schutzausstattungen in unterschiedlichster Form, für die unterschiedlichsten Einsätze und das ist nicht einfach so, weil es Spaß macht, das zu tragen, sondern, weil es notwendig geworden ist.“ Den vielfach geäußerten Vorwurf, dass die Polizei zu intransparent ist und es überdies kaum möglich sei, Kritik zu äußern, kann der PP nicht nachvollziehen. Es sei alltäglich, so Bereswill, dass Kritik an der Polizei geübt wird. „Wir leben in einer Demokratie und in einer Demokratie ist kein staatliches Organ frei von Betrachtungen und von Kontrolle. Das halte ich für selbstverständlich und das erfolgt auch.“

Doch „die Berichte über Polizeischikane fallen nicht einfach vom Himmel“, argumentiert Daniel Loick. Besonders Racial Profiling gehöre in Städten wie Frankfurt zum Alltag: „People of Color, schwarze Menschen und sozial wie finanziell schwächer gestellte Menschen erleben jeden Tag Diskriminierung und Gewalt durch die Polizei. Ihren Berichten schenkt man häufig keinen Glauben. Das heißt nicht, dass alle Polizistinnen und Polizisten Na-
zis sind oder die AfD wählen, aber es gibt ein nicht zu leugnendes strukturelles Problem.“ Und auch Rafael Behr sieht die Selbstverständlichkeit der Polizei kritisch. Zwar seien die Arbeitsbedingungen tatsächlich komplexer geworden, aber das habe nicht nur mit Gewalt zu tun, sondern vor allem mit Interaktion und Kommunikation. „Wenn man genau hinschaut“, stellt der Professor fest, „sieht man, dass diejenigen, die ihrerseits die Klientel respektlos behandeln, am meisten über Respektverlust klagen. Diejenigen, die auch in einem Kriminellen noch das Humane sehen, beklagen sich interessanterweise am wenigsten.“ Die Polizei habe etwas Wesentliches nicht vollstän-
dig internalisiert, ist sich Behr sicher: „Heutzutage wird nicht mehr automatisch ein Kniefall vor einer Uniform oder einer staatlichen Institution gemacht. Man muss sich Respekt in jeder Situation wieder erarbeiten.“

Die Pflicht, den staatlichen Willen durchzusetzen

Gerhard Bereswill bleibt dabei: Die Hemmschwellen und der Respekt gegenüber der Polizei sind gesunken und werden „wohl auch immer weiter sinken“. Das zeige sich in den unterschiedlichsten Situationen. Offene Beleidigungen oder tätliche Angriffe gehören zum Alltag der Einsatzkräfte. „Und das ist völlig inakzeptabel.“ Gleichwohl muss auch der Polizeipräsident einräumen, dass der Beruf der Polizistin oder des Polizisten nach wie vor ganz oben unter den beliebtesten Jobs in Deutschland rangiert. So hoch auch die Wellen sind, die vermeintliche Skandale schlagen, so umfangreich sind meist auch die Loyalitätsbekundungen gegenüber der Polizei durch die Zivilgesellschaft. Nach dem Vorfall auf der Zeil „wurden wir sehr stark kritisiert“, so Bereswill, „aber sobald der Gesamtzusammenhang deutlicher wurde und wir erklärt haben, dass die Videos nicht alles zeigen, wir diese Dinge aber durch entsprechende Ermittlungen und justizielle Befassungen überprüfen werden, wurde die ganze Debatte sachlicher. Sehr viele Menschen haben sich positiv geäußert und dargestellt, dass es wichtig ist, der Polizei den Rücken zu stärken, damit sie in solchen Situationen eben nicht zurückweicht.“




© Harald Schröder

Rafael Behr ist überzeugt, dass Polizistinnen und Polizisten im Vergleich zu Normalbürgerinnen und -bürgern privilegiert behandelt werden. Die Berichte über Einsatzkräfte, die Opfer von Gewalt werden, seien vor allem auf die Polizeigewerkschaften zurückzuführen, die Polizistinnen und Polizisten „gerne als Opfer inszenieren mit dem Ziel der Gesetzesverschärfung. Es wird darauf hingewiesen, wie viel sich die Beamtinnen und Beamten gefallen lassen müssen. Beleidigungen und Anspucken wird dabei auch als Gewalt dargestellt“, kritisiert Behr. „Polizistinnen und Polizisten werden dabei jedoch im Vergleich zu Normalbürgerinnen und -bürgern privilegiert behandelt, mit dem neuen Paragraphen 114 Strafgesetzbuch, der heißt ,Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte‘, gibt es keine Gleichbehandlung mehr vor dem Gesetz. Weil hier der Angriff auf Polizeibeamte härter bestraft wird als ein Angriff auf andere Menschen.“

Der Frankfurter Polizeipräsident kann dem nicht zustimmen. Die Polizei habe in der Gesellschaft eine besondere Funktion, „nämlich den staatlichen Willen durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass der Rechtsstaat funktioniert. Die Polizei ist nach dem Legalitätsprinzip sogar verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen und einzuschreiten und ist als einzige Institution dazu berechtigt, Gewalt anzuwenden. Notfalls müssen dann Dinge mit Zwang durchgesetzt werden, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit.“ Auf Basis der Demokratie seien Polizist*innen und Normalbürger*innen jedoch vor dem Gesetz gleichgestellt. „Ich sehe überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln“, so der PP.

Arenen der Männlichkeit?

Auf die Frage, ob die ständige Konfrontation mit Gewalt und Kriminalität zu einer Verrohung bei den Beamtinnen und Beamten selbst führe, antwortet Gerhard Bereswill, dass der Gedanke zwar nachvollziehbar, aber nicht der entscheidende Punkt sei. „Polizistinnen und Polizisten arbeiten über Jahre hinweg an den Rändern der Gesellschaft und haben fast ausschließlich mit deren Schattenseiten zu tun. Daher ist es sehr wichtig, dass die Beamtinnen und Beamten wahrnehmen, dass das, was sie in ihrem Berufsalltag erleben, nicht das tatsächliche Abbild der Gesellschaft ist“, sagt er. Deswegen werden die Beamtinnen und Beamten auch kontinuierlich im Alltag begleitet und erhalten bei Bedarf psychosoziale Unterstützung. Die Angebote werden gut genutzt, so der Polizeipräsident. „Als ich noch ein junger Polizist war, ist der Dienstgruppenleiter mit einem rausgegangen, man hat eine Zigarette geraucht, kurz über das Problem gesprochen – und dann war das Thema abgehakt“, erinnert sich Gerhard Bereswill. „Heute dürfen auch männliche Polizisten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen – und machen das auch. Gerade die Spezialeinheiten, die ja meist am ,männlichsten‘ erscheinen, nutzen die psychologischen Hilfsangebote mit großer Selbstverständlichkeit.“

Überhaupt habe sich die Polizei dahingehend entspannt, dass heute auch Frauen ihren festen Platz haben, was der Institution insgesamt guttue, so Bereswill. „Vor der Öffnung Anfang der 80er-Jahre gab es durchaus eine männlich dominierte Verhaltensweise, die vor allem auf Stärke ausgerichtet war, die sich aber mit dem steigenden Frauenanteil gravierend verändert hat“, erklärt Gerhard Bereswill. „Als die ersten Frauen in die Dienstgruppen bei der Schutzpolizei kamen, hat es schon etwas geknirscht angesichts des Umbruchs, der da entstand, aber heutzutage ist es vollkommen normal, dass wir einen starken Anteil an Frauen haben.“ Gleiches gelte im Übrigen auch für Menschen mit ausländischen Staatsangehörigkeiten. „Früher musste man Deutscher oder Deutsche sein und auch in Deutschland leben, um sich bei der Polizei bewerben zu können – heute denken wir europäisch.“ Der Präsident ist froh, dass die Polizei heute stärker ein Abbild der Gesellschaft darstellt.

Über die rund 30 Prozent Frauenanteil, die Gerhard Bereswill lobend hervorhebt, kann sich Rafael Behr nur bedingt freuen. Frauen, so der Professor, fänden in der Polizei mehrheitlich in den unteren Rängen statt. Das Männlichkeitsbild habe sich in den vergangenen Jahren zwar weiterentwickelt, aber im Kern bleibe die Polizei maskulin dominiert. „Frauen dürfen dabei sein, aber ihnen wird oft abgesprochen, so gut wie die Männer zu sein. Besonders sichtbar wird das bei den Spezialeinsatzkommandos: Das sind reine Arenen der Männlichkeit.“ Durchsetzungsvermögen und Robustheit, als Merkmale von Männlichkeit, würden in der Polizei wertgeschätzt. Mit diesem rückständigen Bild hängen zahlreiche Probleme der Polizei zusammen, ist Behr überzeugt. Denn es seien kaum Fälle bekannt, in denen Gewalt oder Gewaltverherrlichung von Polizistinnen ausging.

Kein Platz für Rassismus

Die Frankfurter Polizei jedenfalls ist sensibilisiert, wenn es um kritische Fälle geht; weitere Skandale möchte man tunlichst vermeiden. Als nach einem Einsatz am Frankfurter Hauptbahnhof ein Foto auftaucht, auf dem ein uniformierter Beamter einen auffälligen Ring mit Totenkopf-Motiv und Freimaurer-Spruch trägt, erfolgt die Rückmeldung auf unsere Anfrage prompt. In den nachfolgenden Tagen meldet sich regelmäßig ein Beamter der Führungsgruppe „Kriminalinspektion Staatsschutz“ der Frankfurter Kriminaldirektion, um, soweit erlaubt, über den aktuellen Ermittlungsstand zu informieren. Die Polizei bemüht sich um Transparenz und den Eindruck, dass Anregungen und Vorwürfe ernst genommen werden. Denn Uniform und fragwürdige Symbole passen nicht zusammen, weiß auch Bereswill. Zumal ein Totenkopf kein Zeichen ist, das Harmlosigkeit ausdrückt. Die Kombination aus Uniform und Totenkopf ist angesichts der deutschen Geschichte besonders problematisch. Dass es sich bei dem abgebildeten Beamten weder um einen Frankfurter, noch um einen hessischen Beamten handelt, sei bereits sicher, dennoch müsse dieser Einzelfall, so Bereswill, betrachtet werden, um zu prüfen, „inwieweit derjenige, der einen solchen Ring trägt, damit gegen das Neutralitätsverbot verstößt“. Ihm persönlich gefalle der Ring, der theoretisch auch ein harmloses Schmuckstück sein kann, nicht: „Das Tragen der Uniform soll einen bestimmten Polizisten verkörpern, dazu passt ein solcher Ring meiner Meinung nach nicht. Das würde ich dem Kollegen versuchen zu vermitteln.“

Gerhard Bereswill will weg von dem pauschalen Generalverdacht, unter dem seine Polizei seit Monaten leidet. Ihm ist aber auch wichtig zu betonen, dass er keinerlei Verständnis hat für Polizistinnen und Polizisten, die ausländerfeindliche oder rechtsnationale Tendenzen entwickeln – ganz gleich, wie sehr diese auch am Rande der Gesellschaft agieren müssen. Da wird der sonst so besonnene PP deutlich: „Die Kolleginnen und Kollegen, die bei der Polizei arbeiten, sind angehalten, sich für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzusetzen. Wer diese Aufgabenstellung
hat und darauf einen Eid ablegt, muss zu 100 Prozent auf dem Boden dieser Verfassung stehen. Bei uns, bei der Polizei Frankfurt, ist kein Platz für Rassismus. Es ist auch kein Platz für extremistische Tendenzen, egal in welche Richtung. Wer sich rassistisch oder diskriminierend verhält, oder auch nur so denkt, hat bei uns nichts verloren.“

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 09/2019 im JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
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18. Oktober 2019, 10.24 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
 
 
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