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„Nie gefragt – nie erzählt“
Nie erzählte Traumata von Holocaust-Überlebenden
Hans Riebsamen stellt in seinem Buch „Nie gefragt – nie erzählt“ 31 Porträts von Söhnen, Töchtern und Enkeln von Holocaust-Überlebenden vor. Begleitet werden die Texte mit Fotos von Rafael Herlich.
Der Vater hatte eine erste Familie in Polen. Doch Moszek Szanckower hat seinem Sohn Majer nie von seiner ersten Frau und ihren Kindern erzählt. Er hat überhaupt nichts erzählt. Vielleicht hätte der Sohn ihn fragen sollen. Hat er aber nie getan.
Der 1947 in Berlin geborene Majer Szanckower, von Beruf Verwalter der sieben jüdischen Friedhöfe in Frankfurt, kann sich bis heute nicht erklären, warum er nie den Vater drängte, ihm etwas von dessen Holocaust-Vergangenheit zu erzählen. Majer Szanckower ist einer von 31 Nachfahren von Holocaust-Überlebenden, die im Buch „Nie gefragt – nie erzählt“ zu Wort kommen. 31 Porträts von Söhnen, Töchtern und Enkeln, die von der Lebensgeschichte ihrer Großeltern, Eltern sowie vom Aufwachsen in „Schweige-Familien“ berichten.
Riebsamen beschäftigte sich über 30 Jahre mit jüdischem Leben
Hans Riebsamen hat diese Geschichten aufgezeichnet. Als Redakteur bei der FAZ hat er sich mehr als 30 Jahre mit dem jüdischen Leben beschäftigt. Seiner Überzeugung nach ist Deutschland erst vollständig zur Normalität einer zivilisierten Kultur zurückgekehrt, wenn Juden hier ganz selbstverständlich Teil der Gesellschaft sind und der Antisemitismus ausgerottet ist.
Das Buch ist in neun Kapitel gegliedert. Sie heißen: Lebensunfähigkeit, Schweigen, Verdrängen, Trauma der Enkel und Kinder, Stolz, Trutzburg Familie, Viertes Reich, Engagement und Einsamer Überlebender. Unter jedem Kapitel finden sich mehrere Porträts. Eine Ausnahme bildet das letzte Kapitel. Hier ist nur ein einzelnes Porträt zu finden ‒ das von Siegmund Freund. Wer seine Geschichte liest, versteht, warum. „Er ist ein Freund für uns alle“, sagte Trude Simonsohn einmal über ihn. Freund starb vor zwei Jahren im Alter von 102 Jahren.
Michel Friedman: „Ohne Schindler gäbe es mich nicht“
Rafael Herlichs Fotografien begleiten die berührenden Texte. Zu sehen ist beispielsweise eine Aufnahme von Michel Friedman, der ein Foto in seinen Händen hält. Es zeigt ihn als Kind zusammen mit seinen Eltern. Friedmans Eltern wurden von Oskar Schindler vor dem KZ gerettet. „Ohne Schindler gäbe es mich nicht“, sagt Friedman. Seine Eltern hatten Schuldgefühle, weil sie überlebt hatten, erinnert sich Friedman. Sie hätten ihm immer gesagt: „Du bist der Sinn des Lebens.“
Rafael Herlich macht mit seinem Foto die enge Familienbindung deutlich. Herlich gilt als Chronist des jüdischen Lebens in Deutschland, vor allem in Frankfurt. Seit fast 50 Jahren fotografiert er und besitzt ein riesiges Archiv an Aufnahmen. Seine Fotos zeigen aber auch glückliche Momente: Hochzeiten, Bar-Mitzwa-Feiern. Auch seine Geschichte ist im Buch niedergeschrieben. Er erfuhr erst spät, dass er einen Halbbruder hat. Beide teilen das gleiche Schicksal: Beide wurden von ihrem Vater, Emanuel Herlich, alleingelassen. Nach langwierigen und schmerzhaften Recherchen glaubt er, eine Antwort auf das Verhalten seines Vaters gefunden zu haben: „Mein Vater ist nicht Holocaust-Überlebender, er ist immer im Holocaust geblieben“, sagt Rafael Herlich.
Info
Hans Riebsamen, Rafael Herlich: Nie gefragt – nie erzählt. Das vererbte Trauma in den Familien der Holocaust-Überleben-den, erschienen im Societäts-Verlag Frankfurt
Der 1947 in Berlin geborene Majer Szanckower, von Beruf Verwalter der sieben jüdischen Friedhöfe in Frankfurt, kann sich bis heute nicht erklären, warum er nie den Vater drängte, ihm etwas von dessen Holocaust-Vergangenheit zu erzählen. Majer Szanckower ist einer von 31 Nachfahren von Holocaust-Überlebenden, die im Buch „Nie gefragt – nie erzählt“ zu Wort kommen. 31 Porträts von Söhnen, Töchtern und Enkeln, die von der Lebensgeschichte ihrer Großeltern, Eltern sowie vom Aufwachsen in „Schweige-Familien“ berichten.
Hans Riebsamen hat diese Geschichten aufgezeichnet. Als Redakteur bei der FAZ hat er sich mehr als 30 Jahre mit dem jüdischen Leben beschäftigt. Seiner Überzeugung nach ist Deutschland erst vollständig zur Normalität einer zivilisierten Kultur zurückgekehrt, wenn Juden hier ganz selbstverständlich Teil der Gesellschaft sind und der Antisemitismus ausgerottet ist.
Das Buch ist in neun Kapitel gegliedert. Sie heißen: Lebensunfähigkeit, Schweigen, Verdrängen, Trauma der Enkel und Kinder, Stolz, Trutzburg Familie, Viertes Reich, Engagement und Einsamer Überlebender. Unter jedem Kapitel finden sich mehrere Porträts. Eine Ausnahme bildet das letzte Kapitel. Hier ist nur ein einzelnes Porträt zu finden ‒ das von Siegmund Freund. Wer seine Geschichte liest, versteht, warum. „Er ist ein Freund für uns alle“, sagte Trude Simonsohn einmal über ihn. Freund starb vor zwei Jahren im Alter von 102 Jahren.
Rafael Herlichs Fotografien begleiten die berührenden Texte. Zu sehen ist beispielsweise eine Aufnahme von Michel Friedman, der ein Foto in seinen Händen hält. Es zeigt ihn als Kind zusammen mit seinen Eltern. Friedmans Eltern wurden von Oskar Schindler vor dem KZ gerettet. „Ohne Schindler gäbe es mich nicht“, sagt Friedman. Seine Eltern hatten Schuldgefühle, weil sie überlebt hatten, erinnert sich Friedman. Sie hätten ihm immer gesagt: „Du bist der Sinn des Lebens.“
Rafael Herlich macht mit seinem Foto die enge Familienbindung deutlich. Herlich gilt als Chronist des jüdischen Lebens in Deutschland, vor allem in Frankfurt. Seit fast 50 Jahren fotografiert er und besitzt ein riesiges Archiv an Aufnahmen. Seine Fotos zeigen aber auch glückliche Momente: Hochzeiten, Bar-Mitzwa-Feiern. Auch seine Geschichte ist im Buch niedergeschrieben. Er erfuhr erst spät, dass er einen Halbbruder hat. Beide teilen das gleiche Schicksal: Beide wurden von ihrem Vater, Emanuel Herlich, alleingelassen. Nach langwierigen und schmerzhaften Recherchen glaubt er, eine Antwort auf das Verhalten seines Vaters gefunden zu haben: „Mein Vater ist nicht Holocaust-Überlebender, er ist immer im Holocaust geblieben“, sagt Rafael Herlich.
Hans Riebsamen, Rafael Herlich: Nie gefragt – nie erzählt. Das vererbte Trauma in den Familien der Holocaust-Überleben-den, erschienen im Societäts-Verlag Frankfurt
24. Januar 2025, 10.48 Uhr
Jasmin Schülke
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. Mehr von Jasmin
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Text: Lukas Mezler / Foto: Symbolbild © Adobestock/ Igor
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24. Januar 2025
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