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NSU 2.0-Drohschreiben

Betroffene verlangen Antworten

Am Mittwoch gaben die Ermittlungsbehörden einen Einblick in die aktuellen Ermittlungen im „NSU 2.0“-Skandal. Innenminister Beuth hatte zuvor bereits eine Verbindung des Tatverdächtigen zur hessischen Polizei ausgeschlossen; Betroffene zeigten sich darüber „irritiert“.
Lange mussten die Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Betroffenen auf einen Ermittlungserfolg im „NSU 2.0“-Skandal warten; am späten Montagabend wurde schließlich ein Verdächtiger präsentiert. Der 53-jährige Deutsche Alexander M. soll von Berlin aus insgesamt 116 rechtsextremistische Drohschreiben verschickt haben. Am Mittwoch gaben das hessische Landeskriminalamt (LKA) und die Frankfurter Staatsanwaltschaft weitere Details zu den Ermittlungen bekannt.

Bereits unmittelbar nach Bekanntgabe der Festnahme hatte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) in einer Stellungnahme mitgeteilt, es gebe keinerlei Verbindung zwischen dem Tatverdächtigen und der Polizei. Bei der Pressekonferenz der Ermittlungsbehörden stand entsprechend vor allem die Frage im Raum, wie es einem erwerbslosen Mann, ohne direkte Kontakte zur Polizei, möglich gewesen sein kann, Zugriff auf die Daten seiner Opfer zu erhalten. Zumal eben diese Daten zuvor von Polizeicomputern in Frankfurt, Wiesbaden und Berlin abgerufen worden waren.

Tatverdächtiger soll sich als Polizist ausgegeben haben

Die Staatsanwaltschaft betonte, es werde weiter in diese Richtung ermittelt, noch seien nicht alle Fragen zu möglichen Mittäter:innen sowie zum Umfeld des mutmaßlichen Täters geklärt. Ermittlungsleiter Hanspeter Mener sagte, man gehe derzeit von der Hypothese aus, dass es keinen direkt eingeweihten Mittäter gab, sich der Tatverdächtige aber eines „unwissenden Werkzeugs“ bedient habe, sprich, er es geschafft habe, eine oder mehrere Personen so zu manipulieren, dass ihm die entsprechenden Informationen ausgehändigt wurden. Bei diesen Personen wiederum kann es sich durchaus um Bedienstete der Polizei gehandelt haben.

Für diese Theorie spricht laut der Ermittler:innen auch, dass bei der Durchsuchung der Wohnung des Mannes unter anderem psychologische Bücher und einschlägige Ratgeber zum Thema Manipulation gefunden worden seien. Auch zeigten die ersten Ermittlungen zum Werdegang des Tatverdächtigen, dass dieser „sehr rechtskundig“ sei, so Menner. Sein Wissen habe er möglicherweise genutzt, um echte Polizist:innen bewusst zu täuschen.

Untermauert wird diese Annahme dadurch, dass Alexander M. bereits 1992 wegen Amtsanmaßung verurteilt wurde, weil er sich fälschlicherweise als Kriminalbeamter ausgegeben hatte. Bei der Festnahme wurden neben einer Schusswaffe große Datenmengen sichergestellt, die nun ausgewertet werden müssen. Der Vorwurf gegen Alexander M. lautet derzeit Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung sowie Beleidigung.

Irritation bei Betroffenen

In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten sich am Mittwochabend auch mehrere Betroffene zu der Festnahme des Tatverdächtigen, darunter die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız sowie die Linken-Politikerin Janine Wissler. Man sei „äußerst irritiert darüber, dass Hessens Innenminister Beuth öffentlich erklärt, dass kein hessischer Polizist in die Drohserie verwickelt sei, obwohl bisher gar nicht geklärt ist, wie der Tatverdächtige an die Daten gekommen ist und obwohl es erwiesenermaßen rechte Aktivitäten in einem der betroffenen Reviere gegeben hat.“ Dass sich ein unbekannter Anrufer als Polizist ausgeben und so an die Daten einer ganzen Familie gelangen könne, erscheine wenig plausibel.

Noch seien zu viele Fragen offen, unter anderem müsse geklärt werden, welchen Zusammenhang es zwischen der Datenabfrage und der im Zuge der Ermittlungen aufgedeckten rechten Chat-Gruppe im 1. Revier gebe. „Es gibt in Deutschland eine militante, bewaffnete und international vernetzte rechte Szene, von der Bedrohung und Gewalt ausgeht“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme.

„Das reflexhafte Gerede von ‚Einzeltätern‘ ist Teil des Problems, denn das erschwert die Aufklärung von Netzwerken und Unterstützungsstrukturen. Einer wird verhaftet, viele andere machen weiter. Rechte Strukturen müssen entschlossen bekämpft werden.“ Von der Regierung und den Ermittlungsbehörden erwarte man, dass „die zunehmende Gefahr von rechts“ ernst genommen und den Opfern Schutz gewährt werde: „Daran mangelt es bis heute.“
 
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6. Mai 2021, 11.42 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
 
 
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