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Interview mit Meron Mendel
Warum feiert die Stadt erst jetzt den Anne Frank-Tag?
72 Jahre nach dem Tod Anne Franks würdigt die Stadt am Montag die einstige Bürgerin mit einem Ehrentag. Wir sprachen mit Meron Mendel, dem Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, der die Idee dafür hatte
Vor 72 Jahren starb Anne Frank. Was macht sie noch heute zu einem aktuellen Thema?
Anne Frank ist bis heute eine Identifikationsfigur. Jugendliche lesen bis heute das Tagebuch – in der Schule, aber auch freiwillig. Ihre Gedanken sind für viele weiterhin Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit wichtigen Fragen des Erwachsenwerdens: Wie erlebe ich heute Ungerechtigkeit, wofür lohnt es sich zu streiten, in welcher Welt will ich leben? Anne Franks Schicksal macht Themen wie Zugehörigkeit, Diskriminierung und Ausschluss, Flucht, Hilfe und Rettung, Krieg und Genozid zugänglich und greifbar – und verbindet die Geschichte mit der Gegenwart.
Warum hat sich die Stadt Frankfurt so schwer damit getan, ihrer bekanntesten Bürgerin zu gedenken?
Frankfurt hat sich hinsichtlich einer lebendigen Erinnerungskultur genauso schwer getan wie die übrige BRD. Bis in die neunziger Jahre hatten Stadtpolitik und Stadtgesellschaft kaum Interesse an der Verbindung von Anne Frank und der Stadt Frankfurt gezeigt.
Zwar gab es von 1957 an, unter dem Eindruck der Inszenierung des Theaterstückes im Frankfurter Schauspiel, am Geburtstag von Anne Frank jährlich eine Gedenkveranstaltung, doch die schwindenden Teilnehmerzahlen führten 1970 zu einem Ende dieses Rituals. Als das Geburtshaus von Anne Frank zum Verkauf stand, hat die Stadt kein Interesse an diesem historischen Ort gezeigt. 1991 wurde dann für kurze Zeit die Sonderausstellung „Anne aus Frankfurt“ im Historischen Museum gezeigt.
Ganz besonders hervorzuheben ist bei der Wahrnehmung der Verbindung von Anne Frank zu Frankfurt das bürgerschaftliche Engagement vor Ort. Anne Franks Vater Otto Frank regte bereits 1962 eine internationale Begegnungsstätte für Frankfurt an. Die Gründung des Vereins Jugendbegegnungsstätte (heute Bildungsstätte) Anne Frank im Jahr 1994 ist Ausdruck der bürgerschaftlichen Erinnerungsarbeit und des Engagements vieler Menschen unserer Stadt. Seitdem ist die Bildungsstätte der zentrale Ort der Erinnerung an Anne Frank in Frankfurt/Main. Die Verbindung von Anne Frank zu Frankfurt ist nicht mehr wegzudenken.
Und das gilt auch für ihre Familie: Spätestens mit der Verleihung der Ehrenplakette an Anne Franks Cousin Buddy Elias im Jahr 2012 und der Unterstützung des Familie Frank-Zentrums im Jüdischen Museum, das eine jüdische Familie im Wandel der Jahrhunderte dokumentiert, hat die Stadt inzwischen auch anerkannt, dass die Familie Frank eine Frankfurter Familie ist.
Wie kam es zu der Idee des Anne Frank-Tages?
Unser Ziel ist, dass die Erinnerung an Anne Frank sich nicht in einem Gedenkritual vollzieht, sondern als Anlass genommen wird, sich immer wieder aufs Neue mit den Inhalten des Tagebuchs zu beschäftigen. Die Idee kam mir in den Sinn, als Uwe Becker den Vorschlag machte, Anne Frank posthum zur Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt zu ernennen. Aus unserer Sicht hielten wir es für sinnvoller und zeitgemäßer, statt eines rein symbolischen Akts der Ehrung vielmehr einen Tag zu etablieren, an dem man sich aktiv mit dem Schicksal von Anne Frank und der humanistischen Botschaft ihres Tagebuchs auseinandersetzt. Anfang 2016 habe ich mich an alle Fraktionen im Römer mit dem Vorschlag gewendet und war sehr froh darüber, dass die Idee fraktionsübergreifend Zustimmung gefunden hat.
Hat die Bildungsstätte die zentrale Koordination des Tages übernommen? Könnte man sich also mit Ideen für den Gedenktag fürs kommende Jahr an die Bildungsstätte wenden?
Nachdem die Stadtverordnetenversammlung den Anne Frank-Tag verabschiedet hat, bat mich Peter Feldmann darum, ein Konzept zu erarbeiten und es zu realisieren. Erfreulicherweise konnten wir gemeinsam mit der neuen Dezernentin für Bildung und Integration viele weitere wichtige Organisationen und Einrichtungen von der Idee begeistern und in relativ kurzer Zeit ein spannendes und anspruchsvolles Programm für den ersten Anne Frank-Tag auf die Beine stellen. Die Bildungsstätte Anne Frank ist bereit, auch in Zukunft die federführende Rolle bei der Gestaltung des Tages zu übernehmen. Und wir freuen uns über jede Einrichtung oder Einzelperson, die sich bei der Ausgestaltung des Tages einbringen möchte. Wir werden gleich nach dem 12. Juni dieses Jahres damit anfangen, den Anne Frank-Tag 2018 zu planen und laden alle dazu ein, sich dabei aktiv zu beteiligen.
Bis Sommer 2018 soll die Dauerausstellung in der Bildungsstätte Anne Frank abgebaut sein und einem interaktiven Lernlabor weichen. Was ist das?
Das Konzept des Lernlabors ersetzt das Format der klassischen pädagogischen Ausstellung, die wir in den letzten vierzehn Jahren gezeigt haben. Wie der Begriff Labor nahelegt, geht es uns vor allem darum, einen bewertungsfreien Raum für Gedankenexperimente zu schaffen. Im Zentrum steht jede Besucherin und jeder Besucher mit ihren und seinen eigenen Meinungen, Interessen und Fragen. In den einzelnen interaktiven Stationen werden spannende Dilemmata visualisiert und diskutiert. Themen aus dem Tagebuch von Anne Frank wie Diskriminierung, Verfolgung, Krieg und Gerechtigkeit bleiben so nicht nur in der Vergangenheit, sondern werden mit den aktuellen Lebensrealitäten der Jugendlichen verbunden. Der Besuch des Lernlabors soll nicht allein ein neues Licht auf die Person Anne Frank werfen, sondern auch den Blickwinkel von Jugendlichen über das Zusammenleben in unserer Gesellschaft heute erweitern und sie gegen aktuelle Formen von Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz zu stärken. Innovative Ausstellungstechnologien ermöglichen ein individuelles Besichtigungserlebnis. Wir sind momentan in den letzten Phasen der Konzeption und freuen uns schon heute auf die bevorstehende Eröffnung des Lernlabors im Rahmen des Anne Frank-Tages 2018!
Anne Frank ist bis heute eine Identifikationsfigur. Jugendliche lesen bis heute das Tagebuch – in der Schule, aber auch freiwillig. Ihre Gedanken sind für viele weiterhin Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit wichtigen Fragen des Erwachsenwerdens: Wie erlebe ich heute Ungerechtigkeit, wofür lohnt es sich zu streiten, in welcher Welt will ich leben? Anne Franks Schicksal macht Themen wie Zugehörigkeit, Diskriminierung und Ausschluss, Flucht, Hilfe und Rettung, Krieg und Genozid zugänglich und greifbar – und verbindet die Geschichte mit der Gegenwart.
Warum hat sich die Stadt Frankfurt so schwer damit getan, ihrer bekanntesten Bürgerin zu gedenken?
Frankfurt hat sich hinsichtlich einer lebendigen Erinnerungskultur genauso schwer getan wie die übrige BRD. Bis in die neunziger Jahre hatten Stadtpolitik und Stadtgesellschaft kaum Interesse an der Verbindung von Anne Frank und der Stadt Frankfurt gezeigt.
Zwar gab es von 1957 an, unter dem Eindruck der Inszenierung des Theaterstückes im Frankfurter Schauspiel, am Geburtstag von Anne Frank jährlich eine Gedenkveranstaltung, doch die schwindenden Teilnehmerzahlen führten 1970 zu einem Ende dieses Rituals. Als das Geburtshaus von Anne Frank zum Verkauf stand, hat die Stadt kein Interesse an diesem historischen Ort gezeigt. 1991 wurde dann für kurze Zeit die Sonderausstellung „Anne aus Frankfurt“ im Historischen Museum gezeigt.
Ganz besonders hervorzuheben ist bei der Wahrnehmung der Verbindung von Anne Frank zu Frankfurt das bürgerschaftliche Engagement vor Ort. Anne Franks Vater Otto Frank regte bereits 1962 eine internationale Begegnungsstätte für Frankfurt an. Die Gründung des Vereins Jugendbegegnungsstätte (heute Bildungsstätte) Anne Frank im Jahr 1994 ist Ausdruck der bürgerschaftlichen Erinnerungsarbeit und des Engagements vieler Menschen unserer Stadt. Seitdem ist die Bildungsstätte der zentrale Ort der Erinnerung an Anne Frank in Frankfurt/Main. Die Verbindung von Anne Frank zu Frankfurt ist nicht mehr wegzudenken.
Und das gilt auch für ihre Familie: Spätestens mit der Verleihung der Ehrenplakette an Anne Franks Cousin Buddy Elias im Jahr 2012 und der Unterstützung des Familie Frank-Zentrums im Jüdischen Museum, das eine jüdische Familie im Wandel der Jahrhunderte dokumentiert, hat die Stadt inzwischen auch anerkannt, dass die Familie Frank eine Frankfurter Familie ist.
Wie kam es zu der Idee des Anne Frank-Tages?
Unser Ziel ist, dass die Erinnerung an Anne Frank sich nicht in einem Gedenkritual vollzieht, sondern als Anlass genommen wird, sich immer wieder aufs Neue mit den Inhalten des Tagebuchs zu beschäftigen. Die Idee kam mir in den Sinn, als Uwe Becker den Vorschlag machte, Anne Frank posthum zur Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt zu ernennen. Aus unserer Sicht hielten wir es für sinnvoller und zeitgemäßer, statt eines rein symbolischen Akts der Ehrung vielmehr einen Tag zu etablieren, an dem man sich aktiv mit dem Schicksal von Anne Frank und der humanistischen Botschaft ihres Tagebuchs auseinandersetzt. Anfang 2016 habe ich mich an alle Fraktionen im Römer mit dem Vorschlag gewendet und war sehr froh darüber, dass die Idee fraktionsübergreifend Zustimmung gefunden hat.
Hat die Bildungsstätte die zentrale Koordination des Tages übernommen? Könnte man sich also mit Ideen für den Gedenktag fürs kommende Jahr an die Bildungsstätte wenden?
Nachdem die Stadtverordnetenversammlung den Anne Frank-Tag verabschiedet hat, bat mich Peter Feldmann darum, ein Konzept zu erarbeiten und es zu realisieren. Erfreulicherweise konnten wir gemeinsam mit der neuen Dezernentin für Bildung und Integration viele weitere wichtige Organisationen und Einrichtungen von der Idee begeistern und in relativ kurzer Zeit ein spannendes und anspruchsvolles Programm für den ersten Anne Frank-Tag auf die Beine stellen. Die Bildungsstätte Anne Frank ist bereit, auch in Zukunft die federführende Rolle bei der Gestaltung des Tages zu übernehmen. Und wir freuen uns über jede Einrichtung oder Einzelperson, die sich bei der Ausgestaltung des Tages einbringen möchte. Wir werden gleich nach dem 12. Juni dieses Jahres damit anfangen, den Anne Frank-Tag 2018 zu planen und laden alle dazu ein, sich dabei aktiv zu beteiligen.
Bis Sommer 2018 soll die Dauerausstellung in der Bildungsstätte Anne Frank abgebaut sein und einem interaktiven Lernlabor weichen. Was ist das?
Das Konzept des Lernlabors ersetzt das Format der klassischen pädagogischen Ausstellung, die wir in den letzten vierzehn Jahren gezeigt haben. Wie der Begriff Labor nahelegt, geht es uns vor allem darum, einen bewertungsfreien Raum für Gedankenexperimente zu schaffen. Im Zentrum steht jede Besucherin und jeder Besucher mit ihren und seinen eigenen Meinungen, Interessen und Fragen. In den einzelnen interaktiven Stationen werden spannende Dilemmata visualisiert und diskutiert. Themen aus dem Tagebuch von Anne Frank wie Diskriminierung, Verfolgung, Krieg und Gerechtigkeit bleiben so nicht nur in der Vergangenheit, sondern werden mit den aktuellen Lebensrealitäten der Jugendlichen verbunden. Der Besuch des Lernlabors soll nicht allein ein neues Licht auf die Person Anne Frank werfen, sondern auch den Blickwinkel von Jugendlichen über das Zusammenleben in unserer Gesellschaft heute erweitern und sie gegen aktuelle Formen von Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz zu stärken. Innovative Ausstellungstechnologien ermöglichen ein individuelles Besichtigungserlebnis. Wir sind momentan in den letzten Phasen der Konzeption und freuen uns schon heute auf die bevorstehende Eröffnung des Lernlabors im Rahmen des Anne Frank-Tages 2018!
Web: www.bs-anne-frank.de
9. Juni 2017, 09.02 Uhr
Nicole Brevoord
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