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Hammer Forum
„Staaten leisten oft eine Art Fehlentwicklungshilfe in Krisengebieten“
Das „Hammer Forum“ leistet in Krisengebieten medizinische Hilfe für Kinder. Auch der Frankfurter Chirurg Thilo Saul hilft vor Ort mit. Im Interview mit dem JOURNAL spricht er über die eigentlichen Probleme der Hilfsindustrie.
Sie arbeiten regelmäßig für das Hilfswerk „Hammer Forum“ und reisen in Krisengebiete, um medizinische Hilfe vor Ort zu leisten. Wie kamen Sie zum „Hammer Forum“?
Ein befreundeter Kollege, mit dem ich mehrere Jahre im Krankenhaus zusammen gearbeitet habe, hat mich vor einigen Jahren auf die eher kleine Hilfsorganisation „Hammer-Forum“ aufmerksam gemacht und gefragt, ob ich Interesse hätte, mich ebenfalls als Arzt ehrenamtlich bei humanitären Einsätzen zu engagieren. Da ich schon immer vorhatte, mich so einzusetzen, bin ich dann vor drei Jahren das erste Mal mitgeflogen und wir hatten einen sehr anstrengenden, aber auch erfolgreichen und aufregenden Hilfseinsatz in Burkina Faso.
Für mich ist es eine sehr gute Möglichkeit, zusätzlich zu meinem ärztlichen Alltag in Frankfurt, der vor allem aus kleineren chirurgischen Eingriffen im Gesichts- und Kieferbereich bei Erwachsenen besteht, mit größeren und sehr dringlichen operativen Eingriffen bei Kindern helfen zu können, die deren Lebensqualität bedeutend verbessern.
Das „Hammer Forum“ ist eine kleinere Hilfsorganisation, die sich seit über 30 Jahren um die medizinische Versorgung von Kindern in Krisengebieten kümmert. Qualifizierte Teams fliegen in die Krisengebiete und behandeln vor Ort. Jedes Jahr werden so viele tausend Kinder operiert, die ansonsten keinen Zugang zu einer fachärztlichen Behandlung hätten. Des Weiteren kümmern sich die Teams in den Einsatzländern um die Aus- und Fortbildung einheimischer Ärzte sowie Pfleger. Ziel der Auslandsprojekte ist der Aufbau einer geeigneten medizinischen Infrastruktur für Kinder, angepasst an die jeweiligen Verhältnisse vor Ort. So sollen mittelfristig vor Ort eigene Strukturen entstehen, die auf größere weitere Hilfe aus dem Ausland verzichten können.
„Vor Ort darf man nicht westlich-belehrend oder gar überheblich handeln“
Mit wem arbeitet das „Hammer Forum“ zusammen?
Wichtig für die Zusammenarbeit sind öffentliche und staatliche Institutionen vor Ort, Krankenhäuser, Ärzte und Hilfspersonal und natürlich die ehrenamtlichen Mitarbeiter aus und in Deutschland. Zudem gibt es Mitglieder, Förderer und Freunde. Das Forum ist auch in die Aktion „Deutschland hilft“ eingebunden.
Vor wenigen Wochen waren Sie in Somalia. Wie gestaltete sich die Arbeit vor Ort? Wie wird die Hilfe angenommen und welchen Gefahren ist man ausgesetzt?
Insgesamt ist die Region der Hauptstadt des autarken Somaliland relativ sicher. Die allermeisten Menschen sind froh, dass Hilfe aus Deutschland kommt und Ihre Kinder kostenlos und gut operiert und versorgt werden. Wir haben uns insgesamt relativ sicher gefühlt und es kam zu keinen wirklich bedrohlichen Situationen. Wichtig ist es natürlich, sich vor Ort landesüblich zu verhalten und sich auf den Hilfseinsatz zu konzentrieren und nicht „westlich-belehrend“, überheblich oder gar respektlos zu handeln. Ich freue mich schon auf den nächsten Einsatz im Dezember.
Traditionelle Entwicklungshilfe in Afrika laut Shikwati kontraproduktiv
Versäumt es der globale Norden bzw. der Westen, stärker humanitär tätig zu sein in Krisengebieten? Es scheint manchmal, als ob sich die Staaten aus der Verantwortung stehlen und es den Ehrenamtlichen – also Privaten – überlassen würden, vor Ort akute Hilfe zu leisten.
Meiner ganz persönlichen Ansicht nach: größtenteils ja. Mein Eindruck ist, dass die Staaten und große internationale Hilfsorganisationen oft eine Art „Fehlentwicklungshilfe“ leisten. Hier möchte ich gerne James Shikwati zitieren:
„Traditionelle Entwicklungshilfe hat Afrika letztlich nicht vorangebracht. Stattdessen hat sie oft Volkswirtschaften geschwächt, autoritäre Führer gestärkt, freies Unternehmertum ausgehebelt und Möglichkeiten zu eigenständigen afrikanischen Lösungsansätzen untergraben. Nach mehr als einem halben Jahrhundert Entwicklungshilfe ist Afrika stärker verschuldet und wirtschaftlich labiler als jemals zuvor. Entwicklungshilfe nützt vor allem den großen Gebern und den afrikanischen Eliten. Paradoxerweise liegt es nicht im Interesse der Hilfsindustrie, einheimische afrikanische Lösungsansätze zu fördern, da sie von den afrikanischen Problemen lebt.“
Sätze, die mich sehr nachdenklich gemacht haben und sicherlich größtenteils zutreffen. Umso wichtiger erachte ich den Einsatz von kleineren und direkten Hilfsprogrammen.
Fördergelder für Eigenständigkeit reduzieren auch Armutsmigration
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um die humanitäre Hilfe in Krisenregionen zu stärken und zu verbessern?
Vor allem natürlich die Zustände vor Ort, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Aber auch die internationale Zusammenarbeit mit mehr Verständnis und Interesse an den individuellen kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen vor Ort und der offenen Toleranz und Respekt der lokalen Gegebenheiten und Traditionen.
Die Gelder von staatlichen und internationalen Förderprogrammen sollten gesteuert lokal für Programme der „Hilfe zur Selbsthilfe“ eingesetzt werden, damit Eigenständigkeit gefördert und Abhängigkeit reduziert werden kann. Nur so kann eine Armutsmigration aus sehr armen Ländern langfristig reduziert werden. Genau dies haben ja auch die mittelfristig zeitlich begrenzten Einsätze des „Hammer-Forums“ zum Ziel: Lokale Strukturen und Personal sollen ausgebildet werden, damit unsere Hilfe nach und nach nicht mehr notwendig ist.
Und was noch?
Ein humanitäres Miteinander zur Behebung der schlimmsten Umstände und Hilfe der schwächsten der Schwachen: der Kinder. Ganz wichtig: Es mangelt leider an engagierten Helfern. Es braucht mehr Interesse und aktive Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements von Ärzten und Krankenschwestern, Pflegern und Hilfspersonal. Dazu auch Spendengelder und aktive und passive Mitgliedschaften im „Hammer-Forum“.
Info
Thilo Saul ist in Frankfurt niedergelassener Facharzt für Mund-Kiefer-plastische Gesichtschirurgie. Für das Hilfswerk „Hammer Forum“ reist er regelmäßig in Krisengebiete, um vor Ort ehrenamtliche Hilfe für Kinder zu leisten.
© Thilo Saul
Nähere Informationen zum „Hammer Forum“ erfahren Sie hier.
Ein befreundeter Kollege, mit dem ich mehrere Jahre im Krankenhaus zusammen gearbeitet habe, hat mich vor einigen Jahren auf die eher kleine Hilfsorganisation „Hammer-Forum“ aufmerksam gemacht und gefragt, ob ich Interesse hätte, mich ebenfalls als Arzt ehrenamtlich bei humanitären Einsätzen zu engagieren. Da ich schon immer vorhatte, mich so einzusetzen, bin ich dann vor drei Jahren das erste Mal mitgeflogen und wir hatten einen sehr anstrengenden, aber auch erfolgreichen und aufregenden Hilfseinsatz in Burkina Faso.
Für mich ist es eine sehr gute Möglichkeit, zusätzlich zu meinem ärztlichen Alltag in Frankfurt, der vor allem aus kleineren chirurgischen Eingriffen im Gesichts- und Kieferbereich bei Erwachsenen besteht, mit größeren und sehr dringlichen operativen Eingriffen bei Kindern helfen zu können, die deren Lebensqualität bedeutend verbessern.
Das „Hammer Forum“ ist eine kleinere Hilfsorganisation, die sich seit über 30 Jahren um die medizinische Versorgung von Kindern in Krisengebieten kümmert. Qualifizierte Teams fliegen in die Krisengebiete und behandeln vor Ort. Jedes Jahr werden so viele tausend Kinder operiert, die ansonsten keinen Zugang zu einer fachärztlichen Behandlung hätten. Des Weiteren kümmern sich die Teams in den Einsatzländern um die Aus- und Fortbildung einheimischer Ärzte sowie Pfleger. Ziel der Auslandsprojekte ist der Aufbau einer geeigneten medizinischen Infrastruktur für Kinder, angepasst an die jeweiligen Verhältnisse vor Ort. So sollen mittelfristig vor Ort eigene Strukturen entstehen, die auf größere weitere Hilfe aus dem Ausland verzichten können.
Mit wem arbeitet das „Hammer Forum“ zusammen?
Wichtig für die Zusammenarbeit sind öffentliche und staatliche Institutionen vor Ort, Krankenhäuser, Ärzte und Hilfspersonal und natürlich die ehrenamtlichen Mitarbeiter aus und in Deutschland. Zudem gibt es Mitglieder, Förderer und Freunde. Das Forum ist auch in die Aktion „Deutschland hilft“ eingebunden.
Vor wenigen Wochen waren Sie in Somalia. Wie gestaltete sich die Arbeit vor Ort? Wie wird die Hilfe angenommen und welchen Gefahren ist man ausgesetzt?
Insgesamt ist die Region der Hauptstadt des autarken Somaliland relativ sicher. Die allermeisten Menschen sind froh, dass Hilfe aus Deutschland kommt und Ihre Kinder kostenlos und gut operiert und versorgt werden. Wir haben uns insgesamt relativ sicher gefühlt und es kam zu keinen wirklich bedrohlichen Situationen. Wichtig ist es natürlich, sich vor Ort landesüblich zu verhalten und sich auf den Hilfseinsatz zu konzentrieren und nicht „westlich-belehrend“, überheblich oder gar respektlos zu handeln. Ich freue mich schon auf den nächsten Einsatz im Dezember.
Versäumt es der globale Norden bzw. der Westen, stärker humanitär tätig zu sein in Krisengebieten? Es scheint manchmal, als ob sich die Staaten aus der Verantwortung stehlen und es den Ehrenamtlichen – also Privaten – überlassen würden, vor Ort akute Hilfe zu leisten.
Meiner ganz persönlichen Ansicht nach: größtenteils ja. Mein Eindruck ist, dass die Staaten und große internationale Hilfsorganisationen oft eine Art „Fehlentwicklungshilfe“ leisten. Hier möchte ich gerne James Shikwati zitieren:
„Traditionelle Entwicklungshilfe hat Afrika letztlich nicht vorangebracht. Stattdessen hat sie oft Volkswirtschaften geschwächt, autoritäre Führer gestärkt, freies Unternehmertum ausgehebelt und Möglichkeiten zu eigenständigen afrikanischen Lösungsansätzen untergraben. Nach mehr als einem halben Jahrhundert Entwicklungshilfe ist Afrika stärker verschuldet und wirtschaftlich labiler als jemals zuvor. Entwicklungshilfe nützt vor allem den großen Gebern und den afrikanischen Eliten. Paradoxerweise liegt es nicht im Interesse der Hilfsindustrie, einheimische afrikanische Lösungsansätze zu fördern, da sie von den afrikanischen Problemen lebt.“
Sätze, die mich sehr nachdenklich gemacht haben und sicherlich größtenteils zutreffen. Umso wichtiger erachte ich den Einsatz von kleineren und direkten Hilfsprogrammen.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um die humanitäre Hilfe in Krisenregionen zu stärken und zu verbessern?
Vor allem natürlich die Zustände vor Ort, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Aber auch die internationale Zusammenarbeit mit mehr Verständnis und Interesse an den individuellen kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen vor Ort und der offenen Toleranz und Respekt der lokalen Gegebenheiten und Traditionen.
Die Gelder von staatlichen und internationalen Förderprogrammen sollten gesteuert lokal für Programme der „Hilfe zur Selbsthilfe“ eingesetzt werden, damit Eigenständigkeit gefördert und Abhängigkeit reduziert werden kann. Nur so kann eine Armutsmigration aus sehr armen Ländern langfristig reduziert werden. Genau dies haben ja auch die mittelfristig zeitlich begrenzten Einsätze des „Hammer-Forums“ zum Ziel: Lokale Strukturen und Personal sollen ausgebildet werden, damit unsere Hilfe nach und nach nicht mehr notwendig ist.
Und was noch?
Ein humanitäres Miteinander zur Behebung der schlimmsten Umstände und Hilfe der schwächsten der Schwachen: der Kinder. Ganz wichtig: Es mangelt leider an engagierten Helfern. Es braucht mehr Interesse und aktive Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements von Ärzten und Krankenschwestern, Pflegern und Hilfspersonal. Dazu auch Spendengelder und aktive und passive Mitgliedschaften im „Hammer-Forum“.
Thilo Saul ist in Frankfurt niedergelassener Facharzt für Mund-Kiefer-plastische Gesichtschirurgie. Für das Hilfswerk „Hammer Forum“ reist er regelmäßig in Krisengebiete, um vor Ort ehrenamtliche Hilfe für Kinder zu leisten.
© Thilo Saul
Nähere Informationen zum „Hammer Forum“ erfahren Sie hier.
17. Oktober 2023, 09.06 Uhr
Till Geginat
Till Geginat
Jahrgang 1994, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Goethe Universität Frankfurt, seit November 2022 beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Till
Geginat >>
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24. November 2024
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