Partner
Frankfurter Premiere mit Daniel Cohn-Bendit
Eine Ikone und ein Foto
"Das Jahr der Revolte" heißt ein neues Buch, das sich mit dem bewegten Frankfurt 1968 und mit der Wirkung eines besonderen Fotos auseinandersetzt. Am Freitag wird das Werk in Anwesenheit der Autoren und von Daniel-Cohn Bendit vorgestellt.
„Erinnerungen verblassen natürlich“, sagt Daniel Cohn-Bendit. „Aber meinen Sprung über die Polizeibarriere vor der Paulskirche bei der Friedenspreisverleihung sehe ich noch vor mir.“
Das Foto, das davon entstand, war einmalig. Wer die Bildarchive nach dem 22. September 1968 durchforstet, als der Friedenspreis des Buchhandels an den senegalesischen Staatspräsidenten Léopold Sédar Senghor vergeben werden soll, der findet Demonstranten, unruhige Polizisten. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) hatte zuvor die Stundenten dazu aufgerufen, zu versuchen, in die Paulskirche zu gelangen. Den ersten Schritt macht nur einer. Cohn-Bendit erinnert sich: „Mutig, wie sie alle waren, gingen sie auf die Spanischen Reiter zu. Und ich bin rübergesprungen und habe mich umgedreht, da stand ich alleine da. Da wusste ich: So ist das hier in Deutschland: Man schreit Ho Ho Ho Chi Minh und bleibt dann vor der ersten Hürde stehen. Die Bahnsteigkarte zur Paulskirche war offenbar noch nicht gelöst. Dann wollte ich zurückspringen, aber ich wurde festgenommen und in Handschellen abgeführt.“
Der junge Mann ist da schon lange kein Unbekannter mehr. Aus Frankreich verbannt, wieder in Frankfurt niedergelassen, mischt er sich in die Proteste ein: „Ich kam aus Frankreich und wurde von den Habermasianern und Adorniten der Frankfurter Schule sehr misstrauisch beäugt. Vom SDS also. Ich war eher ein Aktionist. Die sprachen zwar immer von der Aktion, aber die spielte sich nur in ihren Köpfen ab. Nachts, in der Kneipe.“ Das Foto nun, dass einst Kurt Weiner für die Frankfurter Rundschau anfertigte, ist dem Instinkt des Fotografen zu verdanken. Kurz vor seinem Tod Anfang 2017 mit 95 Jahren hat sich Herr Weiner noch an diesen Tag erinnert: „Ich ahnte, dass Cohn-Bendit etwas plante, und bin ihm deshalb immer gefolgt“, wie es im nun veröffentlichten Buch heißt.
Aufgeschrieben haben solche und viele andere Geschichten der Rundschau-Journalist Claus-Jürgen Göpfert und Bernd Messinger, einst für die Grünen im Landtag, später Büroleiter von Oberbürgermeisterin Petra Roth. Sie haben mit Zeitzeugen geredet, haben Bücher und Dokumente gewälzt und zusammen mit etlichen Fotografien ist ein beispielhaftes Bild jenes Jahres entstanden, dass bald 50 Jahre her ist. Die Buchvorstellung ist zugleich der Auftakt eines ganzen Veranstaltungsreigens, den die Goethe-Universität für das kommende Jahr plant. Dann wird auch wieder bilanziert. Was bleibt 50 Jahre nach der Studentenbewegung? Und was sagen uns die damaligen Protestformen für heute?
Den Vergleich des Aufstands von links und des Aufbegehrens von rechts, wie er sich heutzutage zeigt, will Daniel Cohn-Bendit nicht sehen. Im Interview sagt er: „Es ist unheimlich einfach, gefährlich und falsch, zu sagen: Revolte ist gleich Revolte. Wir unterschätzen, dass es in den Menschen einen bösen Kern gibt. Dieser böse Kern wird entweder von der Zivilisation in Schach gehalten oder nicht. Der böse Kern kann zur RAF führen oder zum Aufkommen rassistischer Bewegungen von unten. Das hat die Linke leider erst ganz spät verstanden. Lange hat die Linke gezögert, die Taten der RAF zu verurteilen. Heute gibt es eine bösartige, rassistische Revolte von unten.“
>>Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger: Das Jahr der Revolte, Frankfurt 1968, Verlag Schöffling & Co., 22 Euro
>>Buchvorstellung in der Reihe "Frankfurter Premieren" des Kulturdezernats mit den Autoren und Daniel Cohn-Bendit: 29.9., 19.30 Uhr, Hörsaal VI, Gräfstraße 50–54, Moderation: Nils Bremer
Das Foto, das davon entstand, war einmalig. Wer die Bildarchive nach dem 22. September 1968 durchforstet, als der Friedenspreis des Buchhandels an den senegalesischen Staatspräsidenten Léopold Sédar Senghor vergeben werden soll, der findet Demonstranten, unruhige Polizisten. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) hatte zuvor die Stundenten dazu aufgerufen, zu versuchen, in die Paulskirche zu gelangen. Den ersten Schritt macht nur einer. Cohn-Bendit erinnert sich: „Mutig, wie sie alle waren, gingen sie auf die Spanischen Reiter zu. Und ich bin rübergesprungen und habe mich umgedreht, da stand ich alleine da. Da wusste ich: So ist das hier in Deutschland: Man schreit Ho Ho Ho Chi Minh und bleibt dann vor der ersten Hürde stehen. Die Bahnsteigkarte zur Paulskirche war offenbar noch nicht gelöst. Dann wollte ich zurückspringen, aber ich wurde festgenommen und in Handschellen abgeführt.“
Der junge Mann ist da schon lange kein Unbekannter mehr. Aus Frankreich verbannt, wieder in Frankfurt niedergelassen, mischt er sich in die Proteste ein: „Ich kam aus Frankreich und wurde von den Habermasianern und Adorniten der Frankfurter Schule sehr misstrauisch beäugt. Vom SDS also. Ich war eher ein Aktionist. Die sprachen zwar immer von der Aktion, aber die spielte sich nur in ihren Köpfen ab. Nachts, in der Kneipe.“ Das Foto nun, dass einst Kurt Weiner für die Frankfurter Rundschau anfertigte, ist dem Instinkt des Fotografen zu verdanken. Kurz vor seinem Tod Anfang 2017 mit 95 Jahren hat sich Herr Weiner noch an diesen Tag erinnert: „Ich ahnte, dass Cohn-Bendit etwas plante, und bin ihm deshalb immer gefolgt“, wie es im nun veröffentlichten Buch heißt.
Aufgeschrieben haben solche und viele andere Geschichten der Rundschau-Journalist Claus-Jürgen Göpfert und Bernd Messinger, einst für die Grünen im Landtag, später Büroleiter von Oberbürgermeisterin Petra Roth. Sie haben mit Zeitzeugen geredet, haben Bücher und Dokumente gewälzt und zusammen mit etlichen Fotografien ist ein beispielhaftes Bild jenes Jahres entstanden, dass bald 50 Jahre her ist. Die Buchvorstellung ist zugleich der Auftakt eines ganzen Veranstaltungsreigens, den die Goethe-Universität für das kommende Jahr plant. Dann wird auch wieder bilanziert. Was bleibt 50 Jahre nach der Studentenbewegung? Und was sagen uns die damaligen Protestformen für heute?
Den Vergleich des Aufstands von links und des Aufbegehrens von rechts, wie er sich heutzutage zeigt, will Daniel Cohn-Bendit nicht sehen. Im Interview sagt er: „Es ist unheimlich einfach, gefährlich und falsch, zu sagen: Revolte ist gleich Revolte. Wir unterschätzen, dass es in den Menschen einen bösen Kern gibt. Dieser böse Kern wird entweder von der Zivilisation in Schach gehalten oder nicht. Der böse Kern kann zur RAF führen oder zum Aufkommen rassistischer Bewegungen von unten. Das hat die Linke leider erst ganz spät verstanden. Lange hat die Linke gezögert, die Taten der RAF zu verurteilen. Heute gibt es eine bösartige, rassistische Revolte von unten.“
>>Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger: Das Jahr der Revolte, Frankfurt 1968, Verlag Schöffling & Co., 22 Euro
>>Buchvorstellung in der Reihe "Frankfurter Premieren" des Kulturdezernats mit den Autoren und Daniel Cohn-Bendit: 29.9., 19.30 Uhr, Hörsaal VI, Gräfstraße 50–54, Moderation: Nils Bremer
28. September 2017, 10.13 Uhr
Nils Bremer
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Stadtleben
Nach der Besetzung der Kunstbibliothek zeichnet sich eine Lösung ab: Stadt, Land und Universität verhandeln mit dem UFO-Kollektiv über eine kulturelle Zwischennutzung. Erste Gespräche verliefen konstruktiv.
Text: Till Taubmann / Foto: © Bernd Kammerer
StadtlebenMeistgelesen
- Filiale in der BiebergasseUniqlo kommt nach Frankfurt
- Nach Ermittlungen der Frankfurter PolizeiTatverdächtiger Serienvergewaltiger festgenommen
- Zalando Outlet schließtWoolworth übernimmt Laden in Bockenheim
- Besetzung KunstbibliothekLinke und CDU einig zu zentralen Forderungen des UFO-Kollektivs
- NachrufFriedrich von Metzler ist tot
23. November 2024
Journal Tagestipps
Freie Stellen