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Familie Falke haust im Commerzbankturm

Eidechsen und Turmfalke, Graureiher, Fuchs und Kaninchen – in der dicht bebauten Frankfurter Innenstadt sind mehr Tiere zuhause, als man erwarten würde. Nicht immer verläuft das Zusammenleben von Mensch und Tier ganz reibungslos, und doch nehmen die Städter bereitwillig Rücksicht auf das Tierwohl, bis dahin, dass ihretwegen auch mal Bauarbeiten ruhen.

Sie kam mit der Bahn, und sie kam nicht allein. Plötzlich jedenfalls war sie da, und zwar in großer Zahl, die selten gewordene Mauereidechse, und wohnte mitten in der Stadt, auf der 90 Hektar großen Brache des ehemaligen Frankfurter Güterbahnhofgeländes, wo sie sich inmitten von Geröll, rostigen Gleisen und wucherndem Unkraut richtig wohl zu fühlen schien. Auch der Wanderfalke, der in den 60er und 70er Jahren fast ganz ausgestorben war, hat Frankfurt als neuen Lebensraum entdeckt. Ihm haben es vor allem die vielen Hochhäuser in der City angetan. Denn so kann er sich von ganz oben auf seine Beute – Tauben, wie praktisch – herabstürzen und sie im Flug ergreifen. Außerdem bieten die Bankentürme ihm , dem Felsenbrüter, einen idealen Nistplatz. 1982 bezog erstmals ein Falkenpaar den Fernsehturm in Ginnheim, auch der "Henninger Turm" ist unter den Greifvögeln beliebt. Und bereits im vierten Jahr hat der falco peregrinus sein Nest hoch oben im Commerzbankturm gebaut. Gerade sind dort unterm Dach, auf nacktem Beton, wieder drei Jungvögel flügge geworden. Jeden Pieps von ihnen, jeden Flügelschlag zeichnet eine Webcam auf. Und deshalb konnte Michael Sauer, Leiter der technischen Betriebsführung in der Bank, auch beobachten, dass die drei Jungfalken noch ein bisschen Zeit brauchten, bis sie reif genug waren, um von zu Hause auszuziehen. Also wurde die geplante Montage des nach der Fusion mit der Dresdner Bank neugestalteten Logos am Westturm, wo Familie Falke residiert, kurzerhand verschoben.

Zwei Beispiele von vielen, die belegen: Frankfurt, bislang vor allem als bevorzugtes Biotop von Heuschrecken, Finanzhaien und Baulöwen bekannt, wird mehr und mehr zum attraktiven Lebensraum für Tiere, die man an einem so dicht besiedelten Ort niemals erwartet hätte. "Städte werden zum Fluchtpunkt der Artenvielfalt", meint der Journalist und Biologe Cord Riechelmann, der mitten in Berlin der Spur von Fuchs, Wildschwein und Waschbär gefolgt ist. In ihnen hole sich "die Natur zurück, was ihr auf dem Land genommen wurde: einen Platz zum Leben". Doch nicht immer funktioniert dieses Zusammenleben reibungslos. Am Gesang der Amsel auf dem nachbarlichen Dachfirst können wir uns erfreu en, wie auch an den vielen Eichhörnchen, die überall in der Innenstadt auf den Bäumen herumturnen. Aber was, wenn einem so ein possierlicher Nager plötzlich auf dem eigenen Balkon – und das im neunten Stock – begegnet, wie es einer Frankfurterin unlängst widerfuhr? Auch den erhabenen Graureiher, dessen natürlicher Lebensraum an Flussufern und Feuchtwiesen fast verschwunden ist, finden die meisten sicher schützenswert, solange er nicht den eigenen Zierfischteich plündert. Aus Frankfurts Parks ist er nicht mehr wegzudenken, man sieht ihn überall, wie er regungslos am Wasserrand verharrt, bis er plötzlich vorschnellt und mit einem zappelnden Goldfisch im Schnabel wieder auftaucht. Nur nachmittags ist er kaum anzutreffen. Denn es hat sich inzwischen unter Frankfurts Reihern herumgesprochen, wo es besonders leichte Beute gibt: im Zoo, wenn dort die Seehunde und Robben mit frischem Fisch gefüttert werden. Graugänse hingegen haben das Schwimmbad als idealen Ort zum Verweilen entdeckt, denn dort gibt es kurzrasige Wiesen zum ! Fressen und Wasser zum Planschen für sie – und jede Menge Ärger wegen ihres Kots.

Graugans und Graureiher - sie sind klassische "Kulturfolger", wie auch der Fuchs und das Kaninchen, die beide mittlerweile zu echten Städtern geworden sind. Anders das Wildschein, das nur die Hungersnot aus dem Wald in die Menschensiedlung treibt, wo es in Gärten und Friedhöfen nach eiweißhaltigen Engerlingen und Larven gräbt. Sein Auftauchen provoziert jedes Mal Wut und Angst: Was für eine Aufregung, als einmal ein Wildschein durch eine Glasscheibe mitten in die morgendliche Frühstücksrunde in einem Kindergarten am Frankfurter Stadtrand einbrach. Übrigens: Auch Wildschweine sind clever. So suchen sie sich bevorzugt Autobahnböschungen als Ruheraum aus, denn dort wird natürlic h nicht geschossen.

Und das Verhalten der menschlichen Stadtbewohner? Zwei Dinge hat Christa Mehl-Rouschal von der Unteren Naturschutzbehörde des Frankfurter Umweltamts beobachtet. Zum einen die sentimentale Tierliebe, die längst nicht nur von - verbotenerweise - Tauben fütternden älteren Damen Besitz ergriffen hat und zu jenem Phänomen führt, das die Expertin "Verhausschweinung" nennt: "Die Tiere verlieren ihre na-türliche Scheu und gewöhnen sich an den Menschen." Auf der anderen Seite ist sie immer wieder beeindruckt, wie bereitwillig Rücksicht auf das Tierwohl genommen wird. Da ruhen Bauarbeiten, nachdem im sanierungsbedürftigen Dachstuhl eine Kolonie von jungen Fledermäusen entdeckt wurd e. Netze, die normalerweise an Baugerüsten als Staubfänger befestigt werden, bleiben fort, damit dem brütenden Turmfalkenpärchen nicht die Einflugschneise zum Nest versperrt wird. Manchmal wird die Rücksichtnahme aber auch per Gesetz verordnet, wie im Beispiel der Mauereidechse, die auf der Roten Liste Hessens zu den stark gefährdeten Arten zählt. So musste der Investor, der auf dem Frankfurter Güterbahnhofgelände das neue Europaviertel hochziehen will, einen Teil des wertvollen Baulands als Reservat für die raren Reptilien opfern. Was er sogleich und ohne Murren tat.

Barbara Goldberg (pia)
 
Fotogalerie:
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10. Juli 2010, 17.37 Uhr
red
 
 
 
 
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