In der Wetterau-Gemeinde Altenstadt wurde ein NPD-Funktionär zum Ortsvorsteher gewählt. Mitglieder von CDU, SPD und FDP hatten für den 33-jährigen Rechtsextremen gestimmt, da dieser als einziger mit Computern umgehen und Mails verschicken könne.
Ronja Merkel /
Deutschland hinkt in Sachen Digitalisierung deutlich hinterher. So oder so ähnlich müssen auch die Politikerinnen und Politiker der kleinen hessischen Gemeinde Altenstadt im Wetteraukreis gedacht haben, als sie parteiübergreifend einen NPD-Funktionär zum Ortsvorsteher gewählt haben. Am Donnerstagabend stimmten alle sieben anwesenden und stimmberechtigten Mitglieder, darunter auch Vertreter von CDU, SPD und FDP, einstimmig für den Vize der hessischen NPD Stefan Jagsch. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Jagsch sei jung, und der einzige, „der sich mit Computern auskennt, der Mails verschicken kann“, nannte Norbert Szielasko, CDU-Mitglied und eine der Personen, die Jagsch gewählt hat, als Begründung, warum der 33-jährige Rechtsextreme, der bereits mehrfach mit dem Verfassungsschutz des Landes Hessen in Berührung kam, in die Position gewählt wurde. Man habe das Ganze im Vorfeld „nicht so ernst genommen“.
Die Wahl hat bundesweit Empörung ausgelöst. Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Bundesvorsitzende, sagte im Interview mit der ARD, die Wahl müsse rückgängig gemacht werden. Zudem müsse parteiintern diskutiert werden, wie so etwas überhaupt passieren konnte. „Die Wahl eines NPD-Funktionärs zum Ortsvorsteher in Altenstadt unter Mitwirkung von CDU-Mandatsträgern entsetzt mich sehr“, twitterte der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Tauber. „Wer als Demokrat Radikalen den Weg in ein Staatsamt ebnet, geht unverantwortlich, pflicht- und geschichtsvergessen mit seinem Mandat um.“ Auch die SPD zeigt sich schockiert. „Die SPD hat eine ganz klare Haltung: Wir kooperieren nicht mit Nazis! Niemals! Das gilt im Bund, im Land, in den Kommunen. Die Entscheidung in Altenstadt ist unfassbar und mit nichts zu rechtfertigen. Sie muss sofort rückgängig gemacht werden“, teilte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil mit.
Auch in Wetterau ist man fassungslos. „Mit Entsetzen und absolutem Unverständnis haben wir einen Tag nach der Wahl von diesem Vorgang erfahren“, erklärten die CDU-Kreisvorsitzende Lucia Puttrich und Altenstadts CDU-Vorsitzender Sven Müller-Winter in einer gemeinsamen Stellungnahme. Man verurteile die Wahl „in aller Schärfe“. Dem stimmen auch die Wettererauer Grünen und die FDP zu. Stefan Jagsch zeigt sich davon unbeeindruckt. Er werde sich weiterhin für die Interessen des Ortsteils Altenstadt-Waldsiedlung einsetzen und wolle konstruktiv parteiübergreifend arbeiten, „aus dem Volk – für das Volk“.
Stefan Jagsch ist auch in Frankfurt kein Unbekannter. 2014 wurde er von der Stadt Frankfurt entlassen, nachdem die politische Gesinnung des damals im Jobcenter Höchst Angestellten bekannt geworden war. Die Stadt begründete die Entscheidung damals mit ihrem Selbstverständnis insbesondere einer weltoffenen und toleranten Stadtpolitik verpflichtet zu sein. Die Zweifel an der Verfassungstreue Jagschs stellten einen „nicht behebbaren Eignungsmangel“ für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst dar. „Als aktives Mitglied und Funktionär der NPD tritt er für die Ziele der NPD ein. Diese sind nach überwiegendem gesellschaftlichem Konsens als verfassungswidrig zu beurteilen. Auch verschiedene Äußerungen in der Öffentlichkeit, wie zum Beispiel ‚Deutschland den Deutschen - wir sind das Volk‘, belegen die erheblichen Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers und damit seiner Eignung für die Tätigkeit im Jobcenter Höchst“, teilte die Stadt im Kontext der Kündigung mit. Das Amtsgericht Frankfurt erklärte die Kündigung jedoch für unwirksam, da Jagsch als „einfacher Büroangestellter im Jobcenter Höchst eine Tätigkeit verrichtet, die kein besonderes, sondern ‚nur‘ ein einfaches Maß an Verfassungstreue erfordert“.
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin.