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Auf der Spur einer tückischen Krankheit
Die Diagnose ist niederschmetternd: Leukämie, Blutkrebs. Jahr für Jahr trifft sie Tausende Menschen. Wissenschaftler der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität erforschen eine seltene, aber besonders aggressive Form der Krankheit. Sie suchen gezielt nach Auslösern von akuter Leukämie, um daraus bessere Therapien abzuleiten.
Das seit 2005 bestehende "Diagnostikzentrum für Akute Leukämie" (DCAL) genießt weltweit einen exzellenten Ruf als Referenzzentrum für Hochrisikoleukämien. Die Frankfurter Wissenschaftler um die Professoren Rolf Marschalek, Theo Dingermann und Thomas Klingebiel sind spezialisiert auf die Diagnose von Leukämieformen, bei der ganze Chromosomenstücke ihren Platz tauschen. "Zwei Chromosomen brechen auseinander, verbinden ihre losen Enden überkreuz miteinander, so dass jedes ein Teil des Erbguts des anderen erhält", erläutert DCAL-Leiter Dr. Claus Meyer die Translokation genannte genetische Veränderung. Es entsteht ein neues Gen, dessen Eiweiß die Zelle verändert und entarten lässt. Sie teilt sich perma nent. Die Folge ist Blutkrebs.
Besonders oft tritt eine der gefährlichen Formen bei Babys und Kleinkindern auf. Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 60 Kinder, weltweit sind es etwa 2000. Dazu kommen zahlreiche Erwachsene. Die Heilungschancen liegen bei geringen 30 bis 50 Prozent. Gerade das Schicksal der jüngsten Patienten spornt das DCAL-Team an. Tag für Tag untersuchen Meyer und seine Kollegen an der Uniklinik Frankfurt Proben mit speziell eingelagertem DNA-Material von Leukämiepatienten, das Mediziner aus dem In- und Ausland an den Main schicken. Ihnen liefert das Diagnostikzentrum Aufschluss darüber, an welcher Stelle das Erbgut durcheinandergeraten ist. Heilung bringt dies zwar nicht, aber die Ärzte können anhand der DCAL-Diagnose die belastende Chemotherapie für jeden einzelnen Patienten optimieren.
Die Wissenschaftler spüren in wenigen Tagen mit einer am Diagnostikzentrum entwickelten Methode die exakten Bruchstellen an den Chromosomen und die falsch zusammengefügten DNA-Stücke auf. Hinweise auf die Fehler liefern unter anderem bestimmte Anhaltspunkte im Blut. Am Ende beschreibt die Analyse ein für den Kranken typisches, einzigartiges Muster, "einen Marker in Form einer Buchstabenfolge", so Meyer. Den in Frankfurt gewonnenen molekularen Fingerabdruck schickt der Chemieingenieur per Mail an seine Kollegen in den Krankenhäusern zurück. Die Mediziner dort nutzen die Erkenntnisse zur Kontrolle des Behandlungsverlaufs. Der "Test auf minimale Resterkrankung" hilft, das Wiederauftauchen der tückischen Kr ankheit sehr früh zu erkennen. Das gelingt dank des extrem empfindlichen Markers bereits bei kleinsten Mengen an Tumorzellen. Meyer: "Mit ihm ist sogar noch eine einzige entartete Zelle unter 150.000 gesunden zuverlässig nachweisbar." Die Behandlung kann entsprechend angepasst werden – je schneller, desto besser. Die Zahl der verbliebenen Krebszellen gilt laut Professor Marschalek inzwischen als wichtigster Hinweis zu einer Überlebensaussage für Blutkrebspatienten.
Die leistungsfähige Methode ist mittlerweile internationaler medizinischer Standard. Seit 2009 überwachen alle europäischen Studiengruppen ihre Leukämiepatienten mit Hilfe des Testverfahrens. Diagnostikzentren unter anderem aus den Niederlanden, Großbritannien, Italien und Tschechien schicken bei Verdacht auf akute Leukämie ihr Material zur Feinuntersuchung an den Main. Am häufigsten vertrauen französische und deutsche Kliniken auf die Kompetenz der Frankfurter Wissenschaftler. Kleine Plastikgefäße mit DNA-Material kommen aber auch aus Argentinien, Australien, Brasilien, Israel, Italien, Korea, Schweden, Russland oder der Schweiz.
"Wir sind mit rund 300 Untersuchungen pro Jahr ausgelastet", berichtet Claus Meyer, der das Zentrum seit dessen Gründung leitet. Seit 2005 bekamen rund 1700 Menschen Gewissheit über ihre Krankheit, für 1100 war die Diagnose positiv. Die Analyse ist kostenlos. "Damit haben auch ärmere Länder oder Institutionen die gleichen fairen Bedingungen", begründet Marschalek den Service. Finanziert wird die Arbeit im Rahmen der Grundlagenforschung von der Universität, Geld kommt zudem vom Land Hessen und von der Deutschen Krebshilfe, Sponsoren sind willkommen. Das "Universitäre Centrum für Tumorerkrankungen", in dem Forscher und Onkologen gemeinsam an Therapien für Krebs- und Leukämiepatienten arbeiten, erkannte die Kr ebshilfe jüngst als "Onkologisches Spitzenzentrum" an.
Das Diagnostikzentrum für Akute Leukämie treibt seine Forschung in Richtung neuer Wirkstoffe voran. Dazu wollen die Forscher am Main zunächst herausfinden, welches Gen wo mit wem warum zusammengeht. Rund 40 Prozent der 70 krebsauslösenden Partnergene haben die Forscher am DCAL bis jetzt identifiziert; ihre Entdeckung soll in Zukunft helfen, sowohl Therapien genauer einzustellen, als auch Wege zu neuen Behandlungsmethoden öffnen. Auf dem Biotechnologie-Campus der Frankfurter Uni am Riedberg arbeitet ein Team um Rolf Marschalek bereits daran.
Margarete Lausberg (pia)
Das seit 2005 bestehende "Diagnostikzentrum für Akute Leukämie" (DCAL) genießt weltweit einen exzellenten Ruf als Referenzzentrum für Hochrisikoleukämien. Die Frankfurter Wissenschaftler um die Professoren Rolf Marschalek, Theo Dingermann und Thomas Klingebiel sind spezialisiert auf die Diagnose von Leukämieformen, bei der ganze Chromosomenstücke ihren Platz tauschen. "Zwei Chromosomen brechen auseinander, verbinden ihre losen Enden überkreuz miteinander, so dass jedes ein Teil des Erbguts des anderen erhält", erläutert DCAL-Leiter Dr. Claus Meyer die Translokation genannte genetische Veränderung. Es entsteht ein neues Gen, dessen Eiweiß die Zelle verändert und entarten lässt. Sie teilt sich perma nent. Die Folge ist Blutkrebs.
Besonders oft tritt eine der gefährlichen Formen bei Babys und Kleinkindern auf. Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 60 Kinder, weltweit sind es etwa 2000. Dazu kommen zahlreiche Erwachsene. Die Heilungschancen liegen bei geringen 30 bis 50 Prozent. Gerade das Schicksal der jüngsten Patienten spornt das DCAL-Team an. Tag für Tag untersuchen Meyer und seine Kollegen an der Uniklinik Frankfurt Proben mit speziell eingelagertem DNA-Material von Leukämiepatienten, das Mediziner aus dem In- und Ausland an den Main schicken. Ihnen liefert das Diagnostikzentrum Aufschluss darüber, an welcher Stelle das Erbgut durcheinandergeraten ist. Heilung bringt dies zwar nicht, aber die Ärzte können anhand der DCAL-Diagnose die belastende Chemotherapie für jeden einzelnen Patienten optimieren.
Die Wissenschaftler spüren in wenigen Tagen mit einer am Diagnostikzentrum entwickelten Methode die exakten Bruchstellen an den Chromosomen und die falsch zusammengefügten DNA-Stücke auf. Hinweise auf die Fehler liefern unter anderem bestimmte Anhaltspunkte im Blut. Am Ende beschreibt die Analyse ein für den Kranken typisches, einzigartiges Muster, "einen Marker in Form einer Buchstabenfolge", so Meyer. Den in Frankfurt gewonnenen molekularen Fingerabdruck schickt der Chemieingenieur per Mail an seine Kollegen in den Krankenhäusern zurück. Die Mediziner dort nutzen die Erkenntnisse zur Kontrolle des Behandlungsverlaufs. Der "Test auf minimale Resterkrankung" hilft, das Wiederauftauchen der tückischen Kr ankheit sehr früh zu erkennen. Das gelingt dank des extrem empfindlichen Markers bereits bei kleinsten Mengen an Tumorzellen. Meyer: "Mit ihm ist sogar noch eine einzige entartete Zelle unter 150.000 gesunden zuverlässig nachweisbar." Die Behandlung kann entsprechend angepasst werden – je schneller, desto besser. Die Zahl der verbliebenen Krebszellen gilt laut Professor Marschalek inzwischen als wichtigster Hinweis zu einer Überlebensaussage für Blutkrebspatienten.
Die leistungsfähige Methode ist mittlerweile internationaler medizinischer Standard. Seit 2009 überwachen alle europäischen Studiengruppen ihre Leukämiepatienten mit Hilfe des Testverfahrens. Diagnostikzentren unter anderem aus den Niederlanden, Großbritannien, Italien und Tschechien schicken bei Verdacht auf akute Leukämie ihr Material zur Feinuntersuchung an den Main. Am häufigsten vertrauen französische und deutsche Kliniken auf die Kompetenz der Frankfurter Wissenschaftler. Kleine Plastikgefäße mit DNA-Material kommen aber auch aus Argentinien, Australien, Brasilien, Israel, Italien, Korea, Schweden, Russland oder der Schweiz.
"Wir sind mit rund 300 Untersuchungen pro Jahr ausgelastet", berichtet Claus Meyer, der das Zentrum seit dessen Gründung leitet. Seit 2005 bekamen rund 1700 Menschen Gewissheit über ihre Krankheit, für 1100 war die Diagnose positiv. Die Analyse ist kostenlos. "Damit haben auch ärmere Länder oder Institutionen die gleichen fairen Bedingungen", begründet Marschalek den Service. Finanziert wird die Arbeit im Rahmen der Grundlagenforschung von der Universität, Geld kommt zudem vom Land Hessen und von der Deutschen Krebshilfe, Sponsoren sind willkommen. Das "Universitäre Centrum für Tumorerkrankungen", in dem Forscher und Onkologen gemeinsam an Therapien für Krebs- und Leukämiepatienten arbeiten, erkannte die Kr ebshilfe jüngst als "Onkologisches Spitzenzentrum" an.
Das Diagnostikzentrum für Akute Leukämie treibt seine Forschung in Richtung neuer Wirkstoffe voran. Dazu wollen die Forscher am Main zunächst herausfinden, welches Gen wo mit wem warum zusammengeht. Rund 40 Prozent der 70 krebsauslösenden Partnergene haben die Forscher am DCAL bis jetzt identifiziert; ihre Entdeckung soll in Zukunft helfen, sowohl Therapien genauer einzustellen, als auch Wege zu neuen Behandlungsmethoden öffnen. Auf dem Biotechnologie-Campus der Frankfurter Uni am Riedberg arbeitet ein Team um Rolf Marschalek bereits daran.
Margarete Lausberg (pia)
24. Juli 2010, 17.22 Uhr
red
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