In Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet leben weit mehr als 10 000 russischsprachige Menschen, wobei die Russlanddeutschen, die einen deutschen Pass haben, nicht erfasst sind.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland. Die Mehrheit aber siedelte im Zuge von Perestroika und deutscher Wiedervereinigung über. Seit Anfang der neunziger Jahre kamen außerdem viele russische Juden als so genannte "Kontingentflüchtlinge".
Heute stellt diese Gruppe in Frankfurt ein stattliches Drittel aller rund
7.000 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde.
Das Wirtschaftsleben in Frankfurt profitiert von den russischen Neubürgern. Nach Angaben der Wirtschaftsförderung gibt es
mittlerweile rund 218 russische Unternehmen.
Kürzlich eröffnete die Handels- und Industriekammer Russland ein Büro in der
Mainmetropole, länger schon hat der Russische Unternehmerverband
hier eine Niederlassung. Welche Bedeutung Frankfurt für Russland und die
Russen hat, spiegelt sich auch darin, dass im November letzten Jahres das
Russische Generalkonsulat in bester Innenstadtlage eröffnet wurde. >br>
Aber nicht nur die Wirtschaft profitiert von den russischen Frankfurtern. In
Isaak Herzlichs Kellergewölbe-Restaurant "Watra" im Westend kann der Gast
sich durch die komplette westukrainische und galizische Küche essen.
Herzlich kam mit seiner Frau Liliana, einer Pianistin, und Tochter Elena
1992 als einer der ersten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach
Frankfurt. Russen, die lieber selber kochen, finden alle wichtigen Zutaten
im Ostend, nahe beim Frankfurter Zoo. Hier betreibt das Ehepaar Titov ein
kleines Geschäft. Im Schaufenster stehen riesige Matroschkas, die in sich
verschachtelten hölzernen Püppchen, die so typisch für Russland sind. Und
Gläser, jede Menge Gläser, für Wodka, für Bier, Sekt und Likör. In einer
kleinen Kühltheke liegen Würste und Teigtaschen. "Besonders beliebt sind
gesalzene und getrocknete Fische", sagt Igor, der Sohn der Titovs, der BWL
studiert und nur manchmal im Laden aushilft.
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Ein deutsch-russischer Kindergarten wurde im September letzten Jahres im
Stadtteil Bockenheim eröffnet, 40 Kinder finden im "Nezabudka" eine an
beiden Kulturen gleichermaßen orientierte pädagogische Betreuung. Zusätzlich
zum Kindergarten möchte der Verein auch eine deutsch-russische Schule
gründen, mit einer Förderstufe bis zur siebten Klasse. Später will man die
Schüler bis zum Abitur führen. Und auch eine russische Zeitschrift hat ihren
Sitz am Main. "Neue Zeiten"-Chefredakteur Alexander Cherkaskyy kam 1997 aus
der Ukraine nach Frankfurt. Was Leser mit russischer Biografie interessiere?
Vor allem Informationen zu Alltagsdingen, zum Beispiel, wie das mit den
Fernsehgebühren oder dem Kranken-kassensystem funktioniere. Blättert man in
der Zeitschrift, fallen die vielen Geschäftsanzeigen auf. Reisebüros,
Rechtsanwälte, Ärzte, Bauunternehmen, Handwerker und Restaurants - alles
Sparten, in denen Russen stark vertreten sind. Cherkaskyys Verlag hat auch
einen Reiseführer "Frankfurt auf Russisch" herausgebracht. "Weil viele
russische Touristen und Geschäftsleute nur den Flughafen sehen und mehr
nicht."
Auch die russische Intelligenzia fühlt sich wohl in der Mainmetropole.
Menschen wie der Schriftsteller Oleg Jurjew und seine Frau, die Lyrikerin
und Übersetzerin Olga Martinova. Die Gesellschaft Possev, die aus dem
gleichnamigen Verlag entstanden ist, der einst Solschenizyn und Sacharow
publizierte, lädt zu Diskussionen rund um Politik, Geschichte und Kunst ein.
Auch in religiöser Hinsicht sind die Russen längst in Frankfurt angekommen.
Russisch-orthodoxe Gläubige können Gottesdienste mit Erzpriester Dimitri
Graf Ignatiew in der Kirche St. Nikolaus in Hausen mit ihrem Zwiebeltürmchen
besuchen. Rund 500 Gläubige zählen zum Kern der Gemeinde im Frankfurter
Westen.
Eine Größe im russischen Kultur- und Musikgeschäft ist Michael Friedmann.
Der 47 Jahre alte gebürtige Russe eröffnete 1992 eine Konzertagentur in
Frankfurt. Er holt die ganz großen russischen Stars nach Deutschland -
Popgrößen wie Alla Pugacheva, Sofia Rotaru oder Philip Kirkorov. Friedmann
organisiert aber auch klassische Konzerte mit Musikern von Weltrang,
Kindertheateraufführungen, Ka-barett und Comedy. An ein junges, russisches,
tanzbegeistertes Publikum richten sich die "Parlament"-Clubnächte. Dreimal
im Monat legen DJs in Frankfurter Nightlife-Stätten auf, darunter auch das English Theatre oder das Schirn-Café, auf: „Wir spielen zu 40 Prozent
russische Musik, vor allem House, Rock und Pop", sagt der 21-jährige Geschäftsführer Jakov Ashurov. Die Gar nicht so selten ist die
Parlament-Crew übrigens auch auf den Schiffen der Primus-Linie zu Gast.