"Lost Christmas" im YokYok und im Bahnhofsviertel

Wenn Junkies sich was wünschen könnten

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Über die Drogenszene im Bahnhofsviertel wurde schon viel diskutiert, aber nur selten kamen die Betroffenen zu Wort. Durch eine Fotoausstellung und eine Guerilla-Galerie sollen Drogenkranke ein Forum bekommen.

Nicole Brevoord /

„Uns ist es ein dringendes Bedürfnis die Drogenszene aus der Sicht der Betroffenen darzustellen“, sagt der Fotograf Ulrich Mattner. Der Journalist wohnt im Bahnhofsviertel, zahlreiche Junkies kennt er beim Namen, sie laufen teilweise seit Jahrzehnten durchs Quartier und waren oft schon Thema bei politischen Debatten über den Frankfurter Weg. Aber nur selten wurden die Drogenkranken selbst nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt. Das holte Mattner für seine Fotoaktion „Lost Christmas“ nach.

Neun Junkies lichtete er ab, nicht schwach wie Kranke oder Abhängige, sondern wie die Persönlichkeiten, die sie sind. Die ehemalige Drogensüchtige Jennifer Blaine näherte sich den Fotografierten auf eine andere Art. Mit dem nötigen Verständnis für deren Situation fragte sie die Abhängigen nach ihren Wünschen. Und die offenbaren, dass die Stadt vielleicht doch noch ein paar Verbesserungen jenseits des bisherigen Frankfurter Wegs vornehmen könnte.

Eingerahmt hat Mattner einige seiner Bilder und diese wild im Bahnhofsviertel verteilt. „Mal schauen, wie lange sie hängen“. Man findet aber auch ausgedruckte Plakate an den Hausfassaden an elf Stationen verteilt oder man läuft bis zum Jahresende gezielt zum Kiosk Yok-Yok in der Münchener Straße, wo alle Bilder zu bestaunen sind und vor allem auch die Sicht der Süchtigen dargestellt ist. Im winzigen Hinterraum des Kiosks ist an einer großen Bilderwand die Wandlung der 12-jährigen Jennifer Blaine hin zu einer schwerabhängigen, kranken Frau zu verfolgen und es beruhigt, der jungen Frau nun wieder fest im Leben stehend zu begegnen. „Ich habe ganz viel Glück gehabt“, sagt Blaine. „Es gibt die Leute, die auf einen spucken und die, die einem helfen.“



„Im Bahnhofsviertel finden wir eine Situation vor wie auf der Intensivstation. Wir reden hier über schwerkranke Leute mit Ekzemen, Hepatitis, Aids, die völlig am Ende sind und durchschnittlich vierzig Jahre alt sind“, sagt Mattner. „Sie tragen die Konsequenzen von Entscheidungen, die sie trafen als sie vierzehn oder fünfzehn Jahre alt waren.“ Die oberste Priorität habe der Suchtdruck. Rund 100 Euro brauche etwa die drogenabhängige Michaela am Tag. Nur für den Stoff, ohne Essen und Trinken. Nicht umsonst gebe es Straßenprostitution schon für fünf Euro. Wenn die Polizei Dealer bei Razzien festnehme, sei das wie ein Kampf gegen Windmühlen, denn das Geschäft sei so profitabel, dass immer wieder was nachkomme, sagt Mattner und die Unruhe im Viertel sei eine Belastung für die Abhängigen. Diese seien den ganzen Tag nur damit beschäftigt, wie auch immer, das Geld für den nächsten Rausch zu beschaffen. Ein Crackstein koste zehn Euro, die Wirkung dauere zehn Minuten an. In Kolumbien sei die Droge für 2 Cent zu haben. Das seien ordentliche Gewinnmargen, zumal die Reinheit der Drogen im Bahnhofsviertel nur bei ungefähr zehn Prozent liege. Man zahle also viel für schlechte Qualität.

Mattner verweist auf die fortschrittliche Drogenpolitik der Schweiz oder Portugals und kritisiert, dass es der Stadt an einer Vision fehle. „1990 gab es 147 Drogentote in Frankfurt, seit 1996 wurde die Zahl auf 22 bis 44 Drogentote im Jahr reduziert“, sagt Mattner und bemängelt, dass man sich offenbar mit dem Resultat zufriedengebe. Die Druckräume müssten auch nachts geöffnet sein. Es helfe nicht, wenn es das Eastside fernab des Bahnhofsviertels mit Übernachtungsplätzen gebe, das zu weit weg von den Dealern sei, wenn der Stoff ausgehe. Mehr Hilfsangebote oder eine Abgabe reiner Drogen seien auch mögliche Ansatzpunkte, findet Mattner, der sich durch die Aussagen der befragten Drogenabhängigen bestärkt sieht.
YokYok-Betreiber Nazim Alemdar sieht auch einen Handlungsbedarf beim Frankfurter Weg. „Ich bin seit 37 Jahren 18 Stunden am Tag hier im Viertel und kenne die Drogenabhängigen zu einem großen Teil seit Jahren. Aber was vor zwanzig oder dreißig Jahren funktioniert hat, tut es jetzt nicht mehr unbedingt. Der Frankfurter Weg muss weiterentwickelt werden.“

Bis Ende des Jahres ist die Ausstellung „Lost Christmas“ im YokYok on der Münchener Straße zu sehen, täglich ab 10 Uhr.


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