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„Lange Nacht an Heiligabend“
Victor Starr: „Soziale Arbeit verleiht dem Leben einen höheren Sinn“
Viktor Starr leitet seit 10 Jahren die Wohltätigkeitsveranstaltung „Lange Nacht an Heiligabend“. Im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT verriet er, woher sein soziales Engagement rührt und was er damit verbindet.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Starr, woher rührt ihr soziales Engagement an Weihnachten?
Victor Starr: Ich lebte bis 2009 in New York, USA und dort nahm ich bereits an einer ähnlichen Aktion zu Weihnachten teil. Meine Kinder waren damals recht verzogen und beschwerten sich zu Weihnachten regelmäßig, nicht ausreichend Geschenke zu bekommen. Meine Freundin zu dieser Zeit war Psychologin, sie empfand das Verhalten meiner Kinder auch als bedenklich. Sie stellte den Kontakt zu einer ehemaligen Hippie Community her, die sich in New York jedes Jahr trifft, um zu Weihnachten Essen an Bedürftige aus der Bronx zu verteilen. Ich hatte zwar selbst Angst dort hinzugehen, aber wir fassten den Plan, meine Kinder nur zu beschenken, wenn sie an diesem Projekt teilnehmen würden. Es sollte eine wichtige Erfahrung für sie werden, zu sehen, wie es Menschen geht, die in Armut leben.
Was sagten ihre Kinder dazu?
Sie waren zunächst neugierig, um was es ging, da ich das nicht verriet. Ich kündigte lediglich an, dass sie dafür um 5 Uhr aufstehen müssten, was natürlich keine Begeisterungsstürme auslöste. Aber sie waren neugierig genug, um mitzumachen.
Wurde die Erfahrung so lehrreich, wie erhofft?
Sie kamen auf jeden Fall in Kontakt mit bitterer Armut. Eine Person ohne Beine kam uns auf einem Skateboard entgegen. Wir sahen Einschusslöcher in Wohnungen oder Einkaufskörben, sahen Blut und hörten Geschrei in Wohnungsfluren. Mein ältester Sohn rannte einmal aus einem Haus, weil er sich fürchtete, als eine Frau uns bat, ihr das Essen auf den Tisch zu stellen. Als er dann später von seinen jüngeren Zwillingsbrüdern hörte, was sie alles gesehen und erlebt hatten, war es ihm etwas unangenehm, dass er sich so fürchtete. Aber ich muss wirklich sagen, sie haben das alle drei sehr gut gemacht. Weitere vier Jahre wiederholten wir das zusammen an Weihnachten.
© Charles Schrader / Victor Starr
Wie kam es dann zu Ihrer Beteiligung an der Wohltätigkeitsveranstaltung „Lange Nacht an Heiligabend“ in der Weißfrauen-Diakoniekirche?
Dezember 2008 wurde mir ein Vertrag als Fluglotsenausbilder bei der Deutschen Flugsicherung angeboten. Da ich bereits durch gewisse Umstände ein wenig Deutsch sprechen konnte, nahm ich an und zog im März 2009 nach Deutschland. Ich hatte damals noch keine Freunde und überlegte bereits im Sommer, was ich an Weihnachten machen werde. Ich wollte meinen sozialen Aktivitäten treu bleiben und fragte bei verschiedenen Organisationen nach, ob es etwas zu tun gäbe, bis mich Gerald Hintze von der Diakonie als Helfer für die „Lange Nacht an Heiligabend“ anwarb, die er bereits seit 2005 veranstaltete. Schritt für Schritt übernahm ich bereits im ersten Jahr immer mehr Aufgaben für Herrn Hintze, sodass ein Vertrauensverhältnis entstand und ich bereits 2010 zu den Hauptorganisatoren der Veranstaltung zählte. Anfang 2011 hatte Hintze jedoch traurigerweise einen schweren Fahrradunfall. Nach Monaten im Wachkoma verstarb er 2012. Daraufhin bot mir die Diakonie an, die Veranstaltung zu leiten.
Wie sieht das Programm der Veranstaltung aus?
Wir laden die Menschen an Heiligabend auf ein Mittagessen von einem Caterer ein. Danach verbringen wir den Abend gemeinsam in der Weißfrauen-Diakoniekirche. Dort wird nochmal zu Abend gegessen. Jedes Jahr findet ein Unterhaltungsprogramm statt, bevor die Menschen in der Kirche übernachten können. Am Morgen servieren wir ihnen noch ein Frühstück.
© Viktor Starr
Was hat sich über die Jahre geändert?
Die Veranstaltung wurde immer größer, immer mehr Menschen kamen. Ich musste entscheiden, ob ich die Veranstaltung in einem kleinen Rahmen, also 40 bis 100 Leute, halte oder ob wir expandieren. Da ich gewillt war, so vielen Menschen wie möglich Hilfe anzubieten, vergrößerten wir das Personal, mussten uns um größere Essenslieferungen kümmern, sodass ich mittlerweile eine Woche vor Weihnachten von der Arbeit freigestellt bin, um die Organisation stemmen zu können. Mittlerweile hatten wir einen Weihnachtsabend, bei dem es 850 Leute waren, die kamen. Durchschnittlich sind es aber eher 450, was die Organisation kompliziert macht und uns dazu anhält spontan zu reagieren.
Läuft die Veranstaltung selbst unkompliziert ab?
Insgesamt herrscht definitiv stets eine harmonische Stimmung. Gleichzeitig kann es bei jeder Veranstaltung zu unvorhergesehenen Problemen kommen. So stürzte beispielsweise einer unserer Gäste und blutete stark aus dem Kopf. Zwei weitere Gäste stritten sich darum, in der Kirche rauchen zu dürfen oder nicht. Wir hatten auch alkoholisierte Gäste zu Besuch, die ausfällig wurden, was die Ausnahme ist. Es wurde aber auch schon das ein oder andere Hausverbot ausgesprochen und solche Vorfälle machen es notwendig, dass wir ein paar wenige unserer Mitarbeiter als Sicherheitskräfte engagieren.
Es passieren aber auch unvorhergesehen positive Dinge. Zwei Piloten und zwei Flugbegleiter kamen an Weihnachten nicht vom Flughafen weg, wurden von meinem Arbeitgeber an mich verwiesen und feierten spontan mit uns zusammen.
Auch unser Abendprogramm ist jedes Jahr eine Überraschung. Mal führe ich ein paar Kartentricks vor und lege einen Film ein. Ein anderes Mal kommt eine berühmte Opernsängerin, die sonst für 5000 Euro pro Abend auftritt. Dieses Jahr wird der Frankfurter Singer/Songwriter René Moreno, der gerade beim Deutschen Rock- und Pop-Preis gewann, kommen.
Ich würde auch gerne erwähnen, ohne dabei andere Wohltätigkeitsveranstaltungen schlecht zu reden, dass wir die einzige Veranstaltung sind, die an Heiligabend selbst stattfindet.
© Viktor Starr
Was sind die schönsten Erinnerungen, die Sie mit der Veranstaltung verbinden?
Da gibt es einige. Ich möchte aber erwähnen, dass mich bereits einer unserer Gäste unter dem Jahr auf der Straße traf und mich ansprach. Ich fragte ihn, ob er wieder unser Gast zu Heiligabend sein werde, worauf er antwortete, dass er nicht kommen werde, weil er an Weihnachten arbeiten müsse, eine Frau und Wohnung habe und es ihm sehr gut gehe. So etwas ist natürlich noch schöner als Erinnerungen an die Veranstaltung selbst.
Sind Sie in weitere soziale Projekte involviert?
Von Anfang Oktober bis Ende Januar sammle ich Kleidung für Bedürftige. Vor allem Frauenkleider gebe ich in Frauenhäusern ab. Ich empfinde mein Engagement aber selbst noch nicht als genug. Es gibt Menschen, die jeden Tag im sozialen Bereich arbeiten und dafür meist schlecht bezahlt werden. Sie sind die wahren Helden. Mir gibt diese Arbeit wahrscheinlich sogar mehr zurück, als ich selbst geben kann. Soziale Arbeit verleiht dem Leben einen höheren Sinn als Heiraten, Kinder kriegen und dann sterben.
Ist soziales Engagement etwas typisch Amerikanisches?
Das würde ich nicht behaupten. In New York bekam ich für meine Arbeit keinerlei Aufmerksamkeit von der Presse. Wir haben auch kein derart gutes Sozialsystem wie in Deutschland. Eine Notunterkunft für Obdachlose in einer U-Bahn-Station wie am Eschenheimer Tor wäre in New York undenkbar. Sicherlich gibt es auch in Amerika Menschen, die sich sozial engagieren und aufgrund der Population sind es am Ende wahrscheinlich sogar mehr als in Deutschland. Trotzdem halte ich Deutschland für den sozialeren Staat. In beiden Staaten sind Obdachlose oder Asylbewerber immer noch Gruppen, die oft wenig Unterstützung erhalten, weil die Leute Vorurteile haben.
Victor Starr: Ich lebte bis 2009 in New York, USA und dort nahm ich bereits an einer ähnlichen Aktion zu Weihnachten teil. Meine Kinder waren damals recht verzogen und beschwerten sich zu Weihnachten regelmäßig, nicht ausreichend Geschenke zu bekommen. Meine Freundin zu dieser Zeit war Psychologin, sie empfand das Verhalten meiner Kinder auch als bedenklich. Sie stellte den Kontakt zu einer ehemaligen Hippie Community her, die sich in New York jedes Jahr trifft, um zu Weihnachten Essen an Bedürftige aus der Bronx zu verteilen. Ich hatte zwar selbst Angst dort hinzugehen, aber wir fassten den Plan, meine Kinder nur zu beschenken, wenn sie an diesem Projekt teilnehmen würden. Es sollte eine wichtige Erfahrung für sie werden, zu sehen, wie es Menschen geht, die in Armut leben.
Was sagten ihre Kinder dazu?
Sie waren zunächst neugierig, um was es ging, da ich das nicht verriet. Ich kündigte lediglich an, dass sie dafür um 5 Uhr aufstehen müssten, was natürlich keine Begeisterungsstürme auslöste. Aber sie waren neugierig genug, um mitzumachen.
Wurde die Erfahrung so lehrreich, wie erhofft?
Sie kamen auf jeden Fall in Kontakt mit bitterer Armut. Eine Person ohne Beine kam uns auf einem Skateboard entgegen. Wir sahen Einschusslöcher in Wohnungen oder Einkaufskörben, sahen Blut und hörten Geschrei in Wohnungsfluren. Mein ältester Sohn rannte einmal aus einem Haus, weil er sich fürchtete, als eine Frau uns bat, ihr das Essen auf den Tisch zu stellen. Als er dann später von seinen jüngeren Zwillingsbrüdern hörte, was sie alles gesehen und erlebt hatten, war es ihm etwas unangenehm, dass er sich so fürchtete. Aber ich muss wirklich sagen, sie haben das alle drei sehr gut gemacht. Weitere vier Jahre wiederholten wir das zusammen an Weihnachten.
© Charles Schrader / Victor Starr
Wie kam es dann zu Ihrer Beteiligung an der Wohltätigkeitsveranstaltung „Lange Nacht an Heiligabend“ in der Weißfrauen-Diakoniekirche?
Dezember 2008 wurde mir ein Vertrag als Fluglotsenausbilder bei der Deutschen Flugsicherung angeboten. Da ich bereits durch gewisse Umstände ein wenig Deutsch sprechen konnte, nahm ich an und zog im März 2009 nach Deutschland. Ich hatte damals noch keine Freunde und überlegte bereits im Sommer, was ich an Weihnachten machen werde. Ich wollte meinen sozialen Aktivitäten treu bleiben und fragte bei verschiedenen Organisationen nach, ob es etwas zu tun gäbe, bis mich Gerald Hintze von der Diakonie als Helfer für die „Lange Nacht an Heiligabend“ anwarb, die er bereits seit 2005 veranstaltete. Schritt für Schritt übernahm ich bereits im ersten Jahr immer mehr Aufgaben für Herrn Hintze, sodass ein Vertrauensverhältnis entstand und ich bereits 2010 zu den Hauptorganisatoren der Veranstaltung zählte. Anfang 2011 hatte Hintze jedoch traurigerweise einen schweren Fahrradunfall. Nach Monaten im Wachkoma verstarb er 2012. Daraufhin bot mir die Diakonie an, die Veranstaltung zu leiten.
Wie sieht das Programm der Veranstaltung aus?
Wir laden die Menschen an Heiligabend auf ein Mittagessen von einem Caterer ein. Danach verbringen wir den Abend gemeinsam in der Weißfrauen-Diakoniekirche. Dort wird nochmal zu Abend gegessen. Jedes Jahr findet ein Unterhaltungsprogramm statt, bevor die Menschen in der Kirche übernachten können. Am Morgen servieren wir ihnen noch ein Frühstück.
© Viktor Starr
Was hat sich über die Jahre geändert?
Die Veranstaltung wurde immer größer, immer mehr Menschen kamen. Ich musste entscheiden, ob ich die Veranstaltung in einem kleinen Rahmen, also 40 bis 100 Leute, halte oder ob wir expandieren. Da ich gewillt war, so vielen Menschen wie möglich Hilfe anzubieten, vergrößerten wir das Personal, mussten uns um größere Essenslieferungen kümmern, sodass ich mittlerweile eine Woche vor Weihnachten von der Arbeit freigestellt bin, um die Organisation stemmen zu können. Mittlerweile hatten wir einen Weihnachtsabend, bei dem es 850 Leute waren, die kamen. Durchschnittlich sind es aber eher 450, was die Organisation kompliziert macht und uns dazu anhält spontan zu reagieren.
Läuft die Veranstaltung selbst unkompliziert ab?
Insgesamt herrscht definitiv stets eine harmonische Stimmung. Gleichzeitig kann es bei jeder Veranstaltung zu unvorhergesehenen Problemen kommen. So stürzte beispielsweise einer unserer Gäste und blutete stark aus dem Kopf. Zwei weitere Gäste stritten sich darum, in der Kirche rauchen zu dürfen oder nicht. Wir hatten auch alkoholisierte Gäste zu Besuch, die ausfällig wurden, was die Ausnahme ist. Es wurde aber auch schon das ein oder andere Hausverbot ausgesprochen und solche Vorfälle machen es notwendig, dass wir ein paar wenige unserer Mitarbeiter als Sicherheitskräfte engagieren.
Es passieren aber auch unvorhergesehen positive Dinge. Zwei Piloten und zwei Flugbegleiter kamen an Weihnachten nicht vom Flughafen weg, wurden von meinem Arbeitgeber an mich verwiesen und feierten spontan mit uns zusammen.
Auch unser Abendprogramm ist jedes Jahr eine Überraschung. Mal führe ich ein paar Kartentricks vor und lege einen Film ein. Ein anderes Mal kommt eine berühmte Opernsängerin, die sonst für 5000 Euro pro Abend auftritt. Dieses Jahr wird der Frankfurter Singer/Songwriter René Moreno, der gerade beim Deutschen Rock- und Pop-Preis gewann, kommen.
Ich würde auch gerne erwähnen, ohne dabei andere Wohltätigkeitsveranstaltungen schlecht zu reden, dass wir die einzige Veranstaltung sind, die an Heiligabend selbst stattfindet.
© Viktor Starr
Was sind die schönsten Erinnerungen, die Sie mit der Veranstaltung verbinden?
Da gibt es einige. Ich möchte aber erwähnen, dass mich bereits einer unserer Gäste unter dem Jahr auf der Straße traf und mich ansprach. Ich fragte ihn, ob er wieder unser Gast zu Heiligabend sein werde, worauf er antwortete, dass er nicht kommen werde, weil er an Weihnachten arbeiten müsse, eine Frau und Wohnung habe und es ihm sehr gut gehe. So etwas ist natürlich noch schöner als Erinnerungen an die Veranstaltung selbst.
Sind Sie in weitere soziale Projekte involviert?
Von Anfang Oktober bis Ende Januar sammle ich Kleidung für Bedürftige. Vor allem Frauenkleider gebe ich in Frauenhäusern ab. Ich empfinde mein Engagement aber selbst noch nicht als genug. Es gibt Menschen, die jeden Tag im sozialen Bereich arbeiten und dafür meist schlecht bezahlt werden. Sie sind die wahren Helden. Mir gibt diese Arbeit wahrscheinlich sogar mehr zurück, als ich selbst geben kann. Soziale Arbeit verleiht dem Leben einen höheren Sinn als Heiraten, Kinder kriegen und dann sterben.
Ist soziales Engagement etwas typisch Amerikanisches?
Das würde ich nicht behaupten. In New York bekam ich für meine Arbeit keinerlei Aufmerksamkeit von der Presse. Wir haben auch kein derart gutes Sozialsystem wie in Deutschland. Eine Notunterkunft für Obdachlose in einer U-Bahn-Station wie am Eschenheimer Tor wäre in New York undenkbar. Sicherlich gibt es auch in Amerika Menschen, die sich sozial engagieren und aufgrund der Population sind es am Ende wahrscheinlich sogar mehr als in Deutschland. Trotzdem halte ich Deutschland für den sozialeren Staat. In beiden Staaten sind Obdachlose oder Asylbewerber immer noch Gruppen, die oft wenig Unterstützung erhalten, weil die Leute Vorurteile haben.
20. Dezember 2018, 10.27 Uhr
Karl Linsler
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26. November 2024
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