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Interview: Willkür bei der Schulplatzvergabe

„Wir wären in einem Regime, wenn wir uns einfach mit einer vom Staat mitgeteilten Entscheidung abfinden müssten“

Mirjam Rose hat vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen das hessische Schulauswahlverfahren der Gymnasialplätze geklagt. Im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT erklärt die Rechtsanwältin die Problematik der aktuellen Rechtslage und was das Urteil für die Zukunft bedeutet.
JOURNAL FRANKFURT: Frau Rose, bis zum Bundesverfassungsgericht ist es ein weiter Weg. Wie kam es zu dieser Verfassungsbeschwerde?

Mirjam Rose: Wir haben eine Mandantin vertreten, die auf ein bestimmtes Gymnasium hier in Frankfurt aufgenommen werden wollte, aber abgelehnt wurde. Sie war zuvor auf einer französischen Schule und hat sich folglich auch explizit gewünscht, ein Gymnasium mit französischem Schwerpunkt zu besuchen. Sie hat auch alle Kriterien des aufnehmenden Gymnasiums erfüllt, ist aber trotzdem nicht aufgenommen worden. Einige andere Schülerinnen und Schüler hingegen, die all das nicht erfüllt haben, wurden im Gegenzug zu ihr aufgenommen. Mit der Ablehnung unserer Mandantin waren wir nicht einverstanden und sind deshalb dagegen vorgegangen.

Und der Weg führte dann über mehrere Gerichte.

Wir sind den Rechtsweg der Eilgerichtsbarkeit komplett durchlaufen. Wir haben beim Verwaltungsgericht Frankfurt und beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel den Fall verloren und haben dagegen noch einmal eine Anhörungsrüge beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel erhoben. Doch es wurde erneut abgelehnt, woraufhin wir mit einer Verfassungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht gegangen sind.

Es handelt sich bei der Klage der Schülerin um eine Aufnahme aus dem Jahr 2016, der Fall war also jahrelang anhängig und die junge Frau ist bereits auf einer anderen Schule. Wozu dann der lange Weg bis hin zur Verfassungsbeschwerde?

Der Angriff der Verfassungsbeschwerde war unter anderem auch gegen die Umgestaltung des Verfahrens des Staatlichen Schulamts in Frankfurt gerichtet. Früher ist es so gewesen, dass die Grundschulen die Eltern im Vorfeld informiert haben, ob die beiden angegebenen Prioritäten auf gewünschte Gymnasien erfüllt werden können. Wenn nicht, konnten die Familien noch entscheiden, ob sie ein anderes Gymnasium wählen möchten, das noch freie Plätze hatte. Diese Regelung wurde dann abgeschafft und der Schulleitung wurde untersagt, die Eltern im Vorfeld über die gewünschte Aufnahme zu informieren. Das heißt also, dass alle Bescheide auf einmal versandt wurden. Dadurch hat sich das Schulamt eine Rechtsprechung vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof zunutze gemacht: Diese besagt, dass, wenn alle Schulplätze vergeben worden sind, das sogenannte Teilhaberecht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, untergegangen ist. Das bedeutet, dass nicht aufgenommene Schülerinnen und Schüler, selbst wenn die Entscheidung der Schulleitung fehlerhaft war, ihren Anspruch nicht mehr geltend machen können.

Wie lauten die Argumente Ihrer Kritik?

Wir sind gegen das hessische System der Schulplatzvergabe vorgegangen, weil wir den beschriebenen Ablauf als einen Verstoß gegen den effektiven Rechtsschutz, das Rechtsstaatsprinzip ansehen. Wir wären ja in einem Regime und nicht in einem Rechtsstaat, wenn wir uns einfach mit einer vom Staat mitgeteilten Entscheidung abfinden müssten. Und letztlich ist die Rechtsprechung, so wie sie momentan ist, genau das: Man setzt jemandem etwas vor und sagt: „Du kannst nichts mehr dagegen tun.“ Und das ist es, was uns aufstößt. Das bedeutet nicht, dass jedes Verfahren jetzt durchlaufen kann. Es geht einfach darum, dass man Entscheidungen prüfen kann und dass man vor allem auch prüfen kann, ob jemand willkürlich auf eine Schule aufgenommen wurde, der oder die diesen Platz gar nicht hätte haben dürfen. Die Problematik des Systems ist nämlich auch, dass allein die Schulleitung oder bei Verteilung abgelehnter Bewerberinnen und Bewerber das Schulamt über die Schulplatzvergabe entscheidet. Und eine Behörde, die ohne überprüft zu werden agieren kann, ist natürlich nicht mehr gehalten, ordentlich zu arbeiten. Und da besteht eine ganz große Gefahr, dass willkürlich Entscheidungen getroffen werden.

Ihre Verfassungsbeschwerde wurde angenommen – ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, dass lediglich zwei Prozent aller Verfassungsbeschwerden durchlaufen. Aber was bedeutet dieses Ergebnis nun konkret?

Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben und dem Verwaltungsgerichtshof aufgegeben, die bisherige Rechtsprechung unter Berücksichtigung der zentralen Argumente, die wir vorgebracht haben, zu überdenken. Wenn man sich die Entscheidung allerdings durchliest, dann kann man zwischen den Zeilen durchaus lesen, dass das Bundesverfassungsgericht erhebliche Zweifel an dem momentanen Verfahren hat – sonst hätte es dieses nicht aufgehoben. Es hat formale Gründe, warum das Verfassungsgericht die Angelegenheit endgültig noch nicht selbst bescheiden konnte. Es ist eine Voraussetzung, um zum Verfassungsgericht zu kommen, dass man den Rechtsweg der Fachgerichte komplett durchlaufen hat. Und aktuell besteht die Möglichkeit, dass das Verfahren der hessischen Schulplatzvergabe im Hauptsacherechtsweg noch korrigiert wird. Deswegen muss die Fachgerichtsbarkeit jetzt über die Sache entscheiden.

Der gesamte Ablauf klingt sehr kompliziert und zeitraubend. Mit welcher Perspektive betreiben Sie den Aufwand?

Ich erhoffe mir natürlich, dass das gesamte Verfahren umgestaltet wird und man wieder gegen Entscheidungen der Schulplatzvergabe vorgehen kann, so wie es auch in anderen Bundesländern möglich ist. Das sind die Grundrechte eines Rechtsstaats, dass man das Handeln einer Behörde prüfen darf.

Und wenn der Verwaltungsgerichtshof nicht so entscheiden sollte?

Sollte dieser Fall eintreten, wären wir wieder beim Verfassungsgericht. Und das Urteil war schon ein Wink mit dem Zaunpfahl an den Verwaltungsgerichtshof mit der Botschaft: „Ihr müsst das Verfahren ganz dringend überdenken.“ Ob der Verwaltungsgerichtshof das dann tut, das lässt sich natürlich im Vorfeld nicht vorhersehen. Schließlich hat dieser auch eine eigene richterliche Freiheit.

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Über Mirjam Rose: Mirjam Rose wurde in Marburg geboren und absolvierte ihr Rechtswissenschaftsstudium an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt am Main. Sie ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt auf das Hochschulzulassungsrecht, Hochschul- und Prüfungsrecht, Promotionsrecht sowie das Schulrecht.
 
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3. Juni 2019, 10.49 Uhr
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