Das Jüdische Museum widmet sich derzeit dem speziellen Verhältnis von Axel Springer zu den Juden. Günter Wallraff hat wiederum ein ganz spezielles Verhältnis zum Springer Verlag, von dem er nun erzählte.
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Geht es um investigativen Journalismus, geht es meist auch um Günter Wallraff. Der 69-Jährige verkleidet sich gerne. Er schlich sich als Gastarbeiter Ali bei Thyssen ein und ließ sich schwarz anmalen, um Rassismus in Deutschland zu erfahren. Bereits 1977 schaffte er es in die Hannoversche Redaktion der von ihm ungeliebten Bild-Zeitung. Unter dem Namen Hans Esser arbeitete er etwas mehr als drei Monate für das Boulevard-Blatt, bis er enttarnt wurde und rausflog.
Dass Günter Wallraff ein Publikumsmagnet ist, war abzusehen. Einen ähnlichen Andrang wünschen sich die Museumsmitarbeiter auch für die aktuelle Ausstellung „Bild Dir Dein Volk! Axel Springer und die Juden“. Der kleine Raum im zweiten Stock des Jüdischen Museums, indem das Gespräch stattfand, bot einfach nicht genügend Platz für die rund 150 Besucher. „Da sehen sie mal, wie dringend wir den Erweiterungsbau des Museums brauchen“, nutzten die Freunde und Förderer des Jüdischen Museums die Gelegenheit, noch schnell für sich zu werben, bevor die Journalistin Ulrike Holler Günter Wallraff zu seinen Erfahrungen mit der Bild-Zeitungen befragte. Der Westfale bekannte zunächst jedoch, dass seine Karriere eben hier in Frankfurt ihren Anfang nahm.
Bei der IG Metall-Zeitung veröffentlichte er seine ersten Industriereportagen. Und wie seine späteren Arbeiten waren seine Anfänge umstritten. „Ohne Jakob Moneta, der meine Arbeiten abdruckte, wäre meine Arbeit wohl in eine ganz andere Richtung gegangen“, bekennt Wallraff. Neugierde, Unwissenheit und Abenteuerlust hätten ihn angetrieben, immer wieder nach Geschichten zu suchen. „Und dann sind sie 1977 zum Spiegel gegangen … ach, zur Bild meine ich“, so Holler. Wallraff nahm den kleinen Patzer dankbar auf: „Och, der Spiegel hätte es eigentlich auch nötig gehabt.“ Dennoch durfte Hans Esser, wie sich Wallraff nunmehr nannte, in der Bild-Redaktion in Hannover seine Arbeit aufnehmen.
Der Anfang war schon mal gar nicht so leicht: Ein „konservatives Auftreten“ musste her. Der Journalist stutze die Haare, streifte sich einen Siegelring über den Finger und ließ Empfehlungsschreiben für Hans Esser schreiben. Und schwupps, saß er im Penthouse des Redaktionsleiters, der ihn auf seine Tauglichkeit überprüfen wollte. „Die Prüfung bestand aus Whiskey-Trinken, Blitz-Schach spielen und Gewehrschießen“, erinnert sich Wallraff. Blitz-Schach sei wie Bild-Zeitung machen, habe der Chef ihm erklärt. Man müsse in der Lage sein, zackig etwas rauszuhauen. Um das Wettschießen konnte sich der Under Cover-Journalist erfolgreich drücken. Den Job bekam er trotzdem.
Eine Zensur der Mitarbeiter sei bei der Bild damals gar nicht nötig gewesen. Die sei ohnehin schon vollkommen verinnerlicht gewesen: Linksliberale Themen kamen nicht vor, soziale Themen ebenso. Die Überschrift des Artikels stand in der Regel schon am Morgen fest. Ob die Mitarbeiter dann vor Ort ein ganz anderes Szenario vorfanden, interessierte nicht. „Und wehe, sie sagten, dass es dort ganz anders aussah“, sagt Wallraff. Diesen Fehler machte man höchstens zweimal.
Günter Wallraff zeichnete ein (Achtung, Kalauer!) erschreckendes Bild von den Zuständen. Er erzählte von einer Kollegin, die ihm offenbarte, dass sie sich vor sich selbst ekelt. Er erzählte von den Praktiken, wie die Bild an Fotos von Verstorbenen gelangt: „Man geht zur Familie, fragt nach Fotos und fügt an, dass man sich zur Not welche aus dem Leichenschauhaus besorgt, was dann ungleich unschöner wäre.“ Er erzählte von Gruppenzwängen in der Redaktion, von Erniedrigungen vor versammelter Mannschaft und von Hetzkampagnen, die die Bild gegen Politiker und Asylanten fuhr. „Ich sage immer: Die Bild ist ein gemeingefährlicher Triebtäter, der unter Beobachtung stehen muss“, sagt Wallraff. Und dann befand er, dass sich zumindest die Hetzkampagnen deutlich verringert hätten: „Von Sarrazin nahm die Bild Abstand, aus der innerdeutschen Politik hält sie sich weitestgehend raus.“ Chefredakteur Kai Diekmann bemühe sich offensichtlich. Dafür seien die Griechen nun das Lieblingsziel des Boulevards und Karl-Theodor zu Guttenberg noch immer der Lieblingszögling der Zeitung.
Zum 60. Geburtstag der Bild erhielt Günter Wallraff überraschend eine Einladung zur Geburtstagsfeier nach Berlin. Immerhin gehört das Kapitel Günter Wallraff zur Geschichte der Bild-Zeitung. Günter Wallraff kam nicht. So sehr hat sich die Bild dann doch nicht weiterentwickelt.