Die Tickets waren schnell weg für den Tag der offenen Tür der Hanauer Pioneer-Kaserne am Sonntag. Wir haben uns das Gelände angeschaut, auf dem bis 2021 rund 1500 Wohnungen entstehen sollen.
Nicole Brevoord /
Wie ein offener Fächer liegt die halbkreisförmige Pioneer-Kaserne im Hanauer Stadtteil Wolfgang vor uns. In wenigen Jahren sollen hier mehr als 4000 Menschen wohnen, rund 1500 Wohnungen werden auf dem Grundstück entstehen. Wir aber sind neugierig auf den Charme des Vergänglichen und besichtigen den abgeschotteten Ort, der nur selten, wie etwa am 29. Oktober, für eine limitierte Besucherzahl zugänglich ist.
Mit einem Rasseln öffnet sich die Kette des Zauns und wir fahren auf das seit Jahren brachliegende Gelände, dessen Gemäuer teilweise noch aus dem Jahr 1938 stammen, als die Wehrmacht hier noch ansässig war. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezogen die US-Streitkräfte die Kaserne und blieben.
Bis zu 30 000 Amerikaner waren an verschiedenen Standorten rund um Hanau stationiert. Aber das ist längst Geschichte. Im November 2008 wurde auch in Hanau-Wolfgang das Sternenbanner eingerollt. Vermutlich auf dem Exerzierplatz, der mittlerweile mit hüfthohem Unkraut bedeckt ist.
Übriggeblieben sind rund 50 leerstehende Gebäude im Grünen, darunter neben einstigen Unterkünften auch eine gigantische Kantine, eine Kirche, eine Turnhalle, ein Kino und ein Kraftwerk.
Verwunschen und geheimnisvoll wirken die Gemäuer, manchmal bröckelt der Putz – was sehr dekorativ sein kann. In der sonst recht gut erhaltenen Großkantine, in der in den 90er-Jahren bis zu 6000 Essen am Tag ausgegeben wurden, ist die Decke vom schwarzen Schimmel befallen, das restliche Inventar sieht aus, als könnte hier ein Caterer bald wieder zum Einsatz kommen.
An einer Glastür hat sich von außen ein Strauch durch eine Ritze gekämpft, um drinnen geschützt weiter zu wachsen. Die Natur erobert sich ihren Platz zurück.
Devotionalien haben die Amerikaner nicht übriggelassen, es liegt nichts herum. An den Fenstern eines länglichen Gebäudes bilden einzelne Buchstaben auf Plakaten den Begriff „Library“, doch Bücher gibt es darin nicht mehr.
Wir laufen durch unendliche düstere Flure, der Boden quietscht unter unseren Schritten, die Ecken zu den Türeingängen sind eigentümlicherweise abgerundet und auf jeder Etage prangt ein Divisionsemblem.
An manchen Wänden finden sich Nischen mit Garderobenhaken, darunter gibt es Mulden, worin die Gewehre Halt finden sollten. Das wirkt wie aus der Zeit gefallen.
Was wohl in dem Tresorraum lagerte, der sich hinter einem einstigen Bankschalter befand? Und angesichts einer antiquierten kleinen Bühne in der mit Basketballkörben ausgerüsteten Turnhalle fragen wir uns, ob der in der Nähe stationierte Elvis Presley hier vielleicht mal die Hüften geschwungen hat.
Rostige Schilder, skurrile Beschriftungen – wie an einer Türe: „Maintenance Rocks The House“, und der beeindruckende Backsteinbau des kaserneneigenen Kraftwerks lassen uns die Kameras zücken. Jedes Bild ist wie eine Zeitreise.
Die rund 50 Hektar große Kaserne wird sich ab 2018 verändern. Ein städtebauliches Konzept von AS+P Albert Speer liegt schon vor. „Frankfurt ist in seinem Wachstum begrenzt, aber wir im Osten der Metropolregion können noch wachsen“, sagt Marc Weinstock, einer der Geschäftsführer der LEG Hessen-Hanau, die das an der B 8 liegende Areal gekauft hat und bis 2021 darauf 1500 Wohnungen realisieren will. Teils in den bereits bestehenden Gebäudetrakten, in denen auch ein Bildungscampus mit einer Schule und einer Kindertagesstätte unterkommen könnte, teils durch Nachverdichtung. Der alte Baumbestand, die parkähnliche Grünfläche und die markante Fächerform sollen aber erhalten bleiben. Geplant sind unter anderem Stadthäuser mit bis zu 15 Wohneinheiten, darunter auch Mietwohnungen. Rund 300 entstehende, in etwa 100 Quadratmeter große, Wohnungen sollen für bis zu 250 000 Euro zu haben sein. „Das liegt deutlich unter dem Marktpreis und der Verkauf soll nur an Eigennutzer erfolgen“, sagt Martin Bieberle von der LEG Hessen-Hanau. Man wolle auch für die Mittelschicht, für Polizisten und Krankenschwestern, bezahlbaren Wohnraum bieten. „Wir wollen kein Reichenviertel und bestimmt auch keine Gated Community“, sagt Marc Weinstock. Und wenn die Strecke der S 8 und S 9 um die Haltestelle Wolfgang verlängert würde, wozu es eine Machbarkeitsstudie gebe, dann sei auch Frankfurt gar nicht mehr so weit weg.
Dieser Artikel ist im JOURNAL FRANKFURT Ausgabe 23/17 erschienen