Es gibt genau einen Ort in Frankfurt, in dem das Leben und das Tagebuch der Anne Frank lebendig sind. Die Bildungsstätte am Dornbusch setzt sich mit Ausstellungen und Projekten für eine Welt ohne Hass und Diskrimierung ein.
Nicole Brevoord /
Vor 70 Jahren starb die berühmte Frankfurterin Anne Frank im KZ Bergen-Belsen. Was blieb, war ihr Tagebuch, das in all den Jahrzehnten nichts an Aktualität eingebüßt hat. In 70 Sprachen übersetzt, kennt man es auf der ganzen Welt. Es setzt ein deutliches Zeichen gegen Ausgrenzung, Rassismus und Diskriminierung. Auch das mag Anne Vater, Otto Frank, dazu bewogen haben, die Aufzeichnungen seiner Tochter nach deren Tod zu veröffentlichen. „Den Wunsch nach einer Jugendbegegnungsstätte hatte Otto Frank schon in den 50er-Jahren geäußert, und die sollte in Frankfurt sein“, sagt Eva Berendsen, die Sprecherin der Bildungsstätte Anne Frank, die sich im Stadtteil Dornbusch befindet, wo einst die Familie Frank lebte.
Diese Institution wurde erst 1994 auf eine Bürgerinitiative hin von dem Verein Jugendbegegnungsstätte Anne Frank gegründet. Seither gibt es in der Einrichtung, die 2013 in Bildungsstätte Anne Frank umgetauft wurde, an der Hansaallee 150 nicht nur die erlebenswerte multimediale Dauerausstellung „Anne Frank. Ein Mädchen aus Deutschland“ zu sehen, es werden auch Workshops für Jugendliche aber auch Lehrkräfte zu Themen wie Antisemitismus, Rassismus, Zivilcourage, Menschenrechten und religiöser Vielfalt durchgeführt. Anne Franks Thematik wird also auf die heutige Zeit übertragen. Zeitzeugengespräche mit Überlebenden des Nationalsozialismus und Wanderausstellungen gehören ebenso zum Portfolio der Bildungsstätte. Nirgendwo sonst ist Anne Frank mit der humanitären Botschaft ihres Tagebuchs in Frankfurt so präsent.
Céline Wendelgaß führt regelmäßig Schulklassen und Gruppen durch die Dauerausstellung, die seit 2003 gezeigt wird und in Zusammenarbeit mit dem Anne Frank Haus in Amsterdam und dem Anne Frank Zentrum in Berlin entwickelt wurde. Seit vergangenem Jahr können die Besucher auch auf den Spuren der Familie Frank, wie sie im 19. und 20. Jahrhundert in Frankfurt lebte, wandeln. „Die Ausstellung ist multimedial, interaktiv und pädagogisch“, sagt Wendelgaß, oder wie wir bei unserem Besuch fast enttäuscht feststellten: Warum hat es das zu unserer Schulzeit noch nicht gegeben? Denn hier ist die Geschichte greifbar. „Jeder soll einen eigenen Zugang finden. Es geht darum, ins Gespräch zu kommen“, erklärt Wendelgaß. „Anne Frank fungiert als Türöffner, weil sie Jugendliche im Teenageralter abholt. Auf schöne Weise gelangt man durch die Ausstellung in eine Diskussion um Themen wie Nationalsozialismus, Flucht, KZ oder Antisemitismus.“ Man wolle veranschaulichen, dass Anne Frank nicht nur ein Opfer war, sondern dass sie auch gelebt habe, erklärt die Ausstellungskoordinatorin. Es gehe um eine Vermittlung auf Augenhöhe.
„Man darf alles in der Ausstellung anfassen.“ Manchmal muss man das auch, um an Informationen zu gelangen. Die Ausstellung über Anne Frank selbst befindet sich in einem wegen der Bildschirme abgedunkelten quadratischen Raum. Hier taucht man ab in eine andere Welt, erfährt von der Geschichte der Judenverfolgung, sieht ein Faksimile des rotweiß karierten Tagebuchs, liest Briefe der Familie Frank, lauscht Radiobeiträgen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs oder sieht Filmausschnitte. Mal öffnet man eine Klappe, um Informationen zu bekommen, mal hebt man einen Kopfhörer ab, um Zeitzeugen zu hören. Ein virtueller Rundgang durch das Anne Frank Haus, in dem sich Anne mit sieben anderen Personen in Amsterdam vor den Nazis versteckte, ist ebenso möglich wie der Blick auch auf andere Perspektiven. Die Regaltür, die sinnbildlich für das Amsterdamer Versteck im Hinterhaus steht, wurde für die Bildungsstätte nachgebaut. Darin findet man Aktenordner, in denen man alle Informationen zu den Versteckten findet, aber auch Ordner zu Menschen, die sich dem Nazi-Regime zugehörig fühlten oder auch von Widerstandskämpfern. Auch deren Aussagen werden widergegeben, damit sich ein vollständiges Bild der damaligen Geschichte ergibt.
Fragen wie „Wer bin ich?“, „Was geschieht mit mir?“ und „Was ist mir wichtig?“, alles Themen, die in Anne Franks Tagebuch zu finden sind, werden in der Ausstellung aufgeworfen. „Der moralische Zeigefinger ist für die Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht förderlich“, sagt Céline Wendelgaß, die seit sieben Jahren Gruppen begleitet. Bis zu drei Stunden beschäftigen sich die Besucher jeweils mit der Schau. „Das ist keine historische Ausstellung, sondern eine pädagogische“. In den kommenden Jahren soll die Dauerausstellung noch mal überarbeitet und vor allem auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Doch auch heute schon vermittelt die Bildungsstätte Anne Frank – unter anderem mit Workshops und Projekten – dass eine Welt ohne Hass und Diskriminierung für jeden ein erstrebenswertes Ziel sein sollte.