Alice Sara Ott in der Alten Oper

Klassik ohne Dresscode

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Erst kürzlich präsentierte Alice Sara Ott mit dem isländischen Produzenten Ólafur Arnalds das ungewöhnliche Chopin Project im Mousonturm. Jetzt kommt die Pianistin mit dem hr-Sinfonieorchester und Tschaikowsky in die Alte Oper.

Detlef Kinsler /

JOURNAL FRANKFURT: Chopin on location mit (alten) Instrumenten mit Charakter aufzunehmen und nicht in einer sterilen Studiosituation war der Plan, auf dem Album „The Chopin Project“ erlebt der Hörer einen ganz persönlichen, intimen Zugang zum Komponisten. Das klang nicht danach, es zwingend auch auf Bühnen bringen zu müssen...
Alice Sara Ott: Am Anfang war das überhaupt nicht der Plan. Wir hatten es uns tatsächlich nicht vorstellen können weil es ein sehr, sehr intimes Projekt ist und es um diese Intimität auch im Klang geht. Das wird natürlich je größer der Saal ist umso schwieriger. Aber die Anfrage war ziemlich groß, dann haben wir lange überlegt, wie das möglich ist. Es wird ja nicht akustisch gemacht, überall spielen Mikrophone eine große Rolle und dadurch gibt es wieder die Möglichkeit, diese Musik und auch die ganz leisen Töne durch die Mikrophone und die Lautsprecher dem Publikum näher zu bringen. Also haben die Mikrophone ist sehr große Rolle gespielt - ebenso wie die Atmosphäre. Für mich war das jetzt auch das erste Mal, dass ich mit einem Lightdesigner gearbeitet habe; Licht war dann schon 50% Prozent des ganzen Projektes. Nein, wir wussten ja auch bei der allerersten Show nicht, was uns da letztendlich erwartet und wie das alles am Ende klingen wird. Aber es war eine ganz schöne Erfahrung. Ólafur und ich waren ja sehr skeptisch, aber es hat sich am Ende als sehr schönes Projekt herausgestellt.

In einer Kritik nach dem Konzert im Mousonturm stand, der Abend hätte den Charakter eines Hauskonzertes gehabt...
Früher war das ja tatsächlich Salonmusik, wo die Leute in die Wohnzimmer kamen; da wurde Musik gemacht, da haben die Menschen miteinander Spaß gehabt, so war das ja auch früher tatsächlich. Zu Chopins Zeiten war viel normaler, dass er in einem Wohnzimmer oder kleinem Salon gespielt hat und die Menschen drum herum saßen. Es war alles viel intimer. Ich bin auch gegen den Dresscode, den es im klassischen Konzertsaal gibt, das lässt so viele Menschen auch versteifen, da bleiben manche Generationen fern, die nicht gewohnt sind im Jackett und mit Schlips rumzulaufen. Ich bin der Meinung, dass man sich der Musik nur dann komplett öffnen kann, wenn man sich auch hundertprozentig wohl fühlt. Und das gilt sowohl für das Publikum wie auch für die Künstler. Ich fühle mich halt wohl barfuß auf der Bühne und Ólafur mag es sehr gerne, in Socken rumzulaufen. Und darum geht´s ja auch in der Musik, es ist ein Miteinander, man muss sich öffnen in der Musik, ob sie miteinander teilen zu können. Der Dresscode, der sich im letzten Jahrhundert im Konzertsaal entwickelt hat, ist meiner Meinung nach etwas, was da nicht hingehört. Es gibt keine Regeln in der Musik. Man soll niemanden zeigen, wie er die Musik zu genießen hat, jeder soll seinen eigenen Weg da hineinfinden.

Und da gibt es ja noch dieses „Verbot“ zwischen den Sätzen zu klatschen, egal wie fasziniert man vom Vortrag eben war...
Und dann gibt es ja noch ein Problem was man in jedem Konzert hat: das große Husten. Ich glaube das ist ein Teufelskreis weil die Menschen so versteift sind und das Gefühl haben, dass sie sich nicht bewegen, nicht atmen dürfen. Das führt dann mehr oder weniger zu einem Hustenanfall. Dadurch entsteht das große Husten zwischen den Sätzen, dann denken auch die Leute, die eigentlich gar nicht husten müssen, jetzt ist die einzige Zeit wo ich das darf, also fangen sie auch an zu husten. Dadurch entsteht das große Hustkonzert das eigentlich gar nicht nötig wäre. Das ist ein Teufelskreis, nicht etwas, was was natürlich entsteht, das kommt von dieser Steifheit. Natürlich gibt es Situationen für Musiker auf der Bühne, wo er sich wünscht, dass das Publikum da gerade nicht klatscht. Aber das kann man vermitteln, das hängt davon ab, wie der Künstler auf der Bühne das übermittelt und man kann auch eine Ansage machen, eine Geschichte erzählen, man kann sage, das gehört alles zusammen. Manchmal passiert das einfach. Ich habe kürzlich das „1. Klavierkonzert“ von Tschaikowsky gespielt, der erste Satz ist einfach so lang und so mächtig, das hört auch sehr bombastisch auf, man freut sich, wenn die Leute danach klatschen. Aber da gibt es dann Leute, die pssst machen; das finde ich dann nicht so nett.

Das große Thema der Aufnahmetechnik. Da gibt es ja Listen der Pianos der großen Hersteller, da weiß der Solist wie die klingen und stellt sich das dann mit einem entsprechenden Tonmeister und einem wohlklingenden Raum, gerne auch in schönen Schlössern vor – für eine State of the Art-Produktion...
Wir gehen in ein Aufnahmestudio und erwarten, dass die Klaviere tipptopp gestimmt sind, dass kein Ton uneben klingt, dass es kein unnötiges Geräusch im Saal gibt. Wir sind einfach diese cleane, perfekte Welt gewöhnt, dass alles andere als störend empfunden wird. Das habe ich auch bei mir erlebt. Ich habe diesem Projekt zugestimmt, weil für mich war das ein großes Klangexperiment. Ich habe noch nie so viel mit Klang experimentieren können. Es hat tatsächlich auch sehr, sehr viel Spaß gemacht, aber ich habe selber gemerkt, wie ich mich in manchen Klischees verfangen hatte. Ólafur hat ja alle Mikrophone sehr, sehr nah an die Seiten, an die Pedale, an mich ran gebracht; dann höre ich plötzlich mein Atmen und mein Singen und mein Schnaufen. Meine erste Reaktion war, oh Entschuldigung und dann fing er an zu lachen: Das ist doch genau was wir wollen, das Menschliche in der Musik hervorzubringen! Da habe ich gemerkt, dass ich auch daran gewöhnt bin, dass alles einwandfrei ist ohne störende Geräusche. So ist es ja tatsächlich zu Chopins Zeiten nicht gewesen.

Es gibt ja unterschiedliche Konzepte, junge Leute an die Klassik ranzuführen. Nigel Kennedy leistete da Pionierarbeit, indem er Vivaldi ein paar Beats per Minute mehr auf den Weg gab und visuell mit Quasi Punk Image verkaufte; heute sind es Crossover-Konzerte wie David Garrett ...
Es gibt verschiedene Konzepte, ich respektiere alle Wege, die hier eingeschlagen werden, um der Jugend die Klassik schmackhafter zu machen. Es gibt halt nicht das Nonplusultra und trotzdem bin ich immer wieder erstaunt wie ich bei vielen Yellow Lounges entdeckt habe. Ich dachte auch immer, dass – und da merke ich dann, dass ich die Generationen, die nicht an klassische Musik gewöhnt sind, unterschätzt habe – ich dachte auch immer so was wie Liszt kommt dann besser an, weil es ist laut und schneller und schwungvoller ist, aber dann habe ich öfters erlebt, wie die jungen Menschen gerade auf Beethoven, eine Sonate, die normalerweise nicht eine leichte Kost ist, angesprungen sind und wie sie das faszinierend fanden. Das ist so viel Potential und man kann noch so viel rausholen. Man muss es einfach richtig angehen, man muss die richtige Sprache finden. Und ich habe gemerkt, wenn man was erklärt oder eine Geschichte erklärt, dass man damit viel bewegen kann. Warum fühlen sich Menschen so angezogen von der Popmusik? Da haben sie etwas womit sie sich identifizieren können. Entweder mit dem Lifestyle des Künstlers oder dem Songtext; es ist etwa, man braucht dieses Gleichsein-Gefühl und das gibt´s genauso in der klassischen Musik. Im Vergleich zu deren Leben ist das, was die Rolling Stones gemacht haben gar nix. Was die für Leben geführt haben. Aber das weiß natürlich keiner.

Bliebe nur die Biografien zu lesen. Aber die stammen meist von Wissenschaftlern...
In meiner Generation würde sich ja keiner eine Mozart-Biografie kaufen. Dabei war Mozart eine so versaute Persönlichkeit. Oder Liszt. Der hatte ja zigtausend Affären, auch eine mit Lola Montez und anscheinend war sie so furios, dass er es nicht mehr mit ihr ausgehalten hat, er hat sie ins Zimmer eingesperrt in einem Hotel, die Schlüssel dem Portier gegeben und ihm gesagt, du darfst das Zimmer erst öffnen wenn ich zehn Stunden weg bin. Es gibt lauter Geschichten, so auch die vom „Minutenwalzer“ von Chopin wo ich meine, dass der falsche Titel das Stück bekannt gemacht hat. Das kann man ja nie und nimmer in einer Minute spielen, das tu hoffentlich auch keiner. Da gibt auch diese kleine Anekdote aus Chopins Leben, da gab es dieses kleine Hundebaby von George Sand, seiner Lebenspartnerin, und das hat er beobachtet wie es versuchte, sich in seinen eigenen Schwanz zu beißen und dadurch dreht es sich die ganze Zeit im Kreis, das sind die ganz schnellen Sechzehntel am Anfang), und dann gibt´s noch das mittlere Thema und das ist meiner Meinung nach die Szene, wo der Hund wieder versucht gerade zu laufen, aber dadurch, dass er sich die ganze Zeit im Kreis gedreht hat, läuft er eher wie beschwipst und betrunken. Solche kleinen Geschichten, Eselsohren glaube ich, sind doch sehr wichtig. Und von dort aus, wenn dann das eigene Interesse da ist, fängt man an zu recherchieren...

Nach Auftritten mit Francesco Tristano und Ólafur Arnalds steht jetzt wieder ein ganz klassisches Orchesterkonzert mit dem „Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll op 23“ von Tschaikowsky mit dem hr-Sinfonieorchester in der Alten Oper an...
Für mich ist das ein inzwischen sehr schwieriges Konzert, es ist sicher das Konzert, das ich am meisten, am öftesten gespielt habe, sicher 50, 60 Mal gespielt. Und wenn man ein Stück so oft gespielt hat, dann braucht man eine gewisse Distanz. Ich habe es jetzt eins, zwei Jahre nicht gespielt und jetzt habe ich halt die große Herausforderung, es wieder mit neuen Augen anzugehen und das fällt mir nicht immer ganz leicht bei diesem Stück. Ich habe sehr viele schöne Erinnerungen, die ich mit diesem Stück verbinde, es begleitet mich eigentlich seit zehn Jahren. Deshalb fällt es mir auch manchmal scher mich hinzusetzen und das Stück wie ein neues Stück zu sehen. Da bin ich gerade dran. Wir proben einen Tag in Frankfurt, dann gibt es eine Generalprobe und zwei Konzerte. Dann gehen wir noch auf Tour in Japan.

Früher hatte man den Eindruck, dass junge Klassiksolisten gerne fern gehalten wurden von allen anderen Genres. Heute gehören Jazz, World Music, Rock und Pop ganz sicher zur musikalischen Sozialisation. Gibt es denn Inspirationen außerhalb der Klassik?
Es gibt so viele Künstler, die ich sehr schätze egal in welchem Genre, ob es jetzt in der klassischen Musik ist oder in der Jazz-, Rock- oder Popszene. Bei mir sind diese Künstler meistens auch verbunden mit einem gewissen Stück, d.h. wenn wir jetzt zum Beispiel über das Ravel-Klavierkonzert, dann ist für mich absolut Michelangeli und so ist das auch mit anderen Stücken. Inspiriert als Person werde ich mehr von meinen Mitmenschen. Ich kenne die großen Künstler nicht persönlich, ich kenne nur das Bild von ihnen, das reicht für mich nicht aus, um menschlich inspiriert zu werden. Das sind meine Mitmenschen, meine Familie, da sind kleine Sachen im Alltag. Ich glaube es ist sehr, sehr wichtig eine Balance zu haben zwischen einem gesunden Alltag und der Welt in der wir (Musiker) sind. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich auch die einfachen Sachen schätze, auch nicht unbedingt alle Sachen, die materiell sind. Für mich ist Familie sehr wichtig, meine Freunde, das sind die Menschen, auf deren Meinung ich Wert lege. Um in dieser Welt dann doch lange überleben zu können, muss man doch sehr gut wissen, was ist nur an der Oberfläche, was ist wirklich real.

Ein Schlagzeuger wie Martin Grubinger lässt sich ja Konzerte schreiben. Klar, es gibt weit weniger Schlagzeug- als Klavierliteratur. Trotzdem ist es ja denkbar, sich eigens eigene, neue Musik schreiben zu lassen...
Francesco hat für unser Projekt ein Stück geschrieben, also undenkbar ist das nicht, aber ich habe jetzt noch nicht unbedingt mit diesem Gedanken gespielt. Es gibt so viele interessante Komponisten, undenkbar ist das nicht. Im vergleich zu Martin ist es natürlich so, dass die Klavierliteratur so groß ist, dass man sich da tot spielen kann und man noch nicht das ganze Repertoire durchgespielt. Das ist ja die Aufgabe von uns, unserer Generation, die Musik, die auch jetzt geschrieben wird, weiter zu führen, auch neue Musik in Auftrag zu geben. Aber das ist ja in jeder Epoche so geschehen.

Wie funktioniert denn die Repertoirewahl für Tourneen und Plattenproduktionen?
Man hat immer so ein Bauchgefühl, es gibt einfach Stücke, die einen sehr, sehr interessieren. Die Auswahl ist riesig. Mein nächstes Album ist ein Grieg-Album. Ich hab das Klavierkonzert schon aufgenommen und das kombinieren ich jetzt mit Solostücken von Grieg, die man nicht so kennt.


>>hr-Sinfonieorchester, Alice Sara Ott (Klavier) am 4. November, 19 Uhr (Junge Konzerte) und 5. November, 20 Uhr


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